Von Blutzucker, Basal und einer Bitch

Beziehungskisten stecken oft voller Überraschungen. Insbesondere wenn einer von beiden Diabetiker ist. Das stellte auch Manuela fest als sie mit Sascha zusammenkam.

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Bis vor zwei Jahren habe ich mir über diese Dinge niemals Gedanken gemacht. Diabetes war mir zwar ein Begriff und ich wusste auch, dass es Typ 1 und Typ 2 gibt, aber damit war mein Wissen auch schon fast erschöpft. Klar kannte ich auch ein paar Diabetiker, aber das waren alles Typ-2er, die ihre Tabletten nehmen und sich sonst nicht besonders um ihre Erkrankung kümmern. Warum also sollte ich es tun?

Das änderte sich dann im Herbst 2012. Nach fast zwanzig Jahren hatte ich plötzlich wieder Kontakt zu Sascha. Wir kennen uns seit unserem 10. Lebensjahr, haben uns nach der langen Zeit auf Facebook wieder getroffen und ab und zu mal miteinander gechattet. Beim Blick in sein Profil bemerkte ich, dass er einiges über Diabetes geteilt bzw. „geliked“ hatte, und so fragte ich ihn eines Abends im Chat: „Sag mal, hast Du Diabetes?“ Er antwortete: „Ja, habe ich mir 2008 mal so zugezogen!“ Dann folgte eine kleine Diskussion über Diabetes. Mehr habe ich zu Beginn auch erst einmal nicht davon mitbekommen.

Als wir uns die ersten Male „live“ trafen, bemerkte ich zwar, dass Sascha hin und wieder seinen Blutzucker maß und sich abends und morgens Basalinsulin spritzte, aber das tatsächliche Ausmaß von Diabetes war mir bis dahin noch nicht richtig klar. Das hat sich aber relativ schnell geändert, da ich schon immer sehr interessiert an medizinischen Themen war.

Doch ich hätte niemals geahnt, wie sehr sich auch mein Leben durch Saschas Diabetes verändert hat. Es ist so viel passiert. Schönes, nicht so Schönes und auch viel Lustiges.

Die Hypo zum Dauerlauf

Da Sascha ziemlich chaotisch ist, kann es schon einmal passieren, dass sein Notfall-Traubenzucker im Auto liegt oder er nur noch Reste in seinen Taschen hat. Als wir vorletzten Winter mit den Hunden spazieren waren, wurde Sascha plötzlich immer langsamer. Er schwitzte und sah ziemlich schlecht aus. Als ich ihn fragte, was denn los sei, meinte er, dass er unterzuckert sei. Er aß ein paar Traubenzucker, leider reichte das nicht. Ich hatte auch noch ein bisschen in meiner Tasche, aber nicht genug. An einer Bank angekommen, setzten wir uns erst einmal hin, damit Sascha seinen Blutzucker messen konnte. Durch die Kälte funktionierte das allerdings erst im dritten Anlauf. 28 mg/dl! (1,6 mmol/l!) Sascha meinte daraufhin: „So tief war ich noch nie!“ Ich antwortete: „Danke, dass Du mich an diesem historischen Moment teilhaben lässt!“ Fand das aber irgendwie so gar nicht lustig. Ich hatte Angst! Große Angst! So lange war ich mit seiner Krankheit ja noch nicht konfrontiert. Ich fragte, was ich jetzt machen soll. Krankenwagen rufen, nach Hause laufen und mein Auto holen? Hilfe! Sascha meinte, ich solle mein Auto holen. Also schnappte ich mir mein Zwergschnauzer-Mädchen Käthe und rannte los. Somy, Saschas Hündin, ließ ich bei ihm.

Wir waren einen knappen Kilometer von zuhause entfernt und ich rannte. Leider nicht sehr lange! Über zehn Jahre hatte ich keinen Sport mehr gemacht und so war nach drei-/vierhundert Metern Schluss mit meinem Spurt. Mir hing die Zunge bis auf den Boden und ich keuchte, wie eine alte Dampflok. Also weiter im schnellen Schritt. Endlich am Haus angekommen, riss ich die Tür auf, schubste Käthe rein, holte Traubenzucker, eine Banane und meinen Autoschlüssel. Tür zu, rein ins Auto und losgefahren. Zum Glück fand ich den Weg zu Sascha sofort, da der Weg mit dem Auto ein anderer ist als zu Fuß und ich noch nie zuvor diesen Weg gefahren war. Auf der kurzen Fahrt kam mir so langsam der Gedanke, dass das Ganze eine Schnapsidee war und ich besser den Krankenwagen gerufen hätte. Ich betete die ganze Zeit, dass es Sascha gut ging und er nicht ohnmächtig geworden war. Dann war ich endlich wieder an der Bank, wo ich die beiden zurückgelassen hatte. Hund und Herrchen saßen noch dort und waren zum Glück ganz munter. Mann, da polterte erst einmal ein ganzes Gebirge von meinem Herzen!

Sprechen konnte ich noch nicht. Ich schnaufte immer noch vor mich hin, war nass geschwitzt und hatte schwere Beine. Meine Güte, ich bin 800 Meter gelaufen und mir ging es richtig schlecht. Ständig musste ich husten, mein Bauch tat weh und meine Beine waren aus Gummi und das mehrere Tage lang. Ich war so böse auf mich selbst, dass ich so dermaßen unsportlich war. Das konnte so nicht weitergehen. Früher habe ich immer Sport gemacht, Badminton, Volleyball, Radfahren und Reiten. Aber alles leider nun schon einige Jahre her. Also beschloss ich, demnächst mit dem Joggen anzufangen. Ein paar Wochen später, nachdem der Schnee weg war, legte ich also los. Gehen und Joggen im Wechsel, zwei-/dreimal die Woche, und es funktionierte. Nach ca. drei Monaten habe ich dann sogar meinen ersten 5-km-Lauf mit Erfolg absolviert.

Inzwischen laufe ich häufiger und fahre auch wieder Fahrrad. Ich habe mir geschworen, dass mir so etwas, wie nach Saschas Hypo, nie wieder passieren wird. Bis heute halte ich meinen Vorsatz. So kann also auch eine Hypo etwas Gutes haben! Inzwischen habe ich übrigens überall Traubenzucker deponiert. Im Auto, in meinen Jacken und Handtaschen, an allen erdenklichen Orten findet man bei mir die Notfall-Helfer. Mir ist es dann doch lieber, meine sportlichen Aktivitäten zu planen.

Die beleidigte Köchin

Als ich das erste Mal für Sascha gekocht habe, kam es zu einem Missverständnis. Ich fragte ihn vorher, ob ich irgendetwas beachten muss, aber er sagte, er dürfe alles essen. Also legte ich los. Thailändisches Hühnercurry mit Reis stand auf meinem Plan. Als ich Sascha seinen Teller füllte und vor ihn hinstellte, fragte er mich, was denn da alles drin sei. Ich schluckte und bemerkte, wie mein Blutdruck stieg. Oh nein, nicht schon wieder so ein Pingel, dachte ich und war völlig beleidigt. Dazu muss ich sagen, dass mein Ex-Mann ziemlich schwierig in Bezug auf Essen war. An allem, was ich zubereitet hatte, roch er erst einmal. Dann kam meistens noch die Frage hinterher: „Was ist denn da drin?“ Zum Glück hatte ich mich unter Kontrolle und habe erst einmal ganz betont freundlich gefragt, was er denn genau damit meint. Sascha erklärte mir dann, dass er ja für Kohlenhydrate Insulin spritzen muss, und er wollte wissen, ob noch irgendetwas Verstecktes in der Soße ist. Ich Depp! Natürlich! Daran hatte ich überhaupt nicht gedacht. Ich grinste vor mich hin und gab die gewünschte Auskunft. Irgendwann später habe ich ihm dann meinen Beinahe-Ausflipper gestanden.

Die Dreier-WG

Vor einigen Monaten sind Sascha und ich dann auch zusammengezogen, aber er kam nicht alleine. Im Schlepptau hatte er eine Lady, die er liebevoll seine „Diabetes-Bitch“ nennt. Seitdem führen wir sozusagen ein Leben zu dritt. Vermutlich ist es auch gar nicht Sascha, der überall seine Blutzucker-Teststreifen liegen und fallen lässt. Nein, es ist bestimmt die nörgelige Dame, die er mit sich herumschleppt. Ich bin mir sicher, sie hat einen Heidenspaß dabei, wenn sie sich immer wieder neue Verstecke für die kleinen Plastik-Dinger einfallen lässt. Meine Handtasche, Schuhe, Waschmaschine und auch das Bett sind dabei bevorzugte Plätze. Naja, eigentlich sind sie im ganzen Haus. Bisher habe ich noch keinen Streifen im Essen gefunden und hoffe, das bleibt so.

Dreier-WG
Quelle: Manuela Vollmer

Ich weiß, was Du letzte Nacht getan hast

Auch immer wieder schön anzusehen sind die morgendlichen Schöpfungen abstrakter Kunst aus Müll. Wenn Sascha nachts von einer Hypo heimgesucht wurde, kann man an den hinterlassenen Spuren eindeutig erkennen, welche Arten von Kohlenhydraten den Weg in seinen Magen gefunden haben. Mich begrüßt dann ein Gebilde aus Schokoladenpapier, Keksschachteln, leeren Weingummitüten und einem Löffel mit verräterischen Spuren einer braunen Nuss-Nougat-Masse. Wenn der Süßigkeiten-Schrank allerdings leer ist, greift Sascha dann gezwungenermaßen zu Traubenzucker. Das Schlimme am Traubenzucker ist, neben seinem Geschmack, wie ich finde, diese fürchterliche Kunststoff-Verpackung. Wirklich gruselig. Überall finde ich diese kleinen Plastik-Reste. Wenn ich sie dann aufhebe, um sie in den Müll zu werfen, sind sie anhänglich wie eine Klette und ich werde sie nur mühsam los. Um wenigstens dieses Müllproblems Herr zu werden, bin ich dazu übergegangen, alle paar Wochen Berge von Traubenzucker auszupacken und in kleine Frischhalteboxen umzufüllen. Diese Boxen sind jetzt im Auto und auf Saschas Nachttisch. Problem gelöst!

Lezte Nacht A
Quelle: Manuela Vollmer

Ballade pour Elise

Im März haben wir dann Zuwachs bekommen. Elise zog in unsere Dreier-WG ein. Noch eine Frau und ich freue mich darüber? Ja! Elise ist nämlich der Spitzname von Saschas Insulinpumpe, für die er so lange gekämpft hat. Ich freue mich so sehr für ihn, dass er endlich seine Pumpe genehmigt bekommen hat. Sein HbA1c ist dadurch innerhalb kurzer Zeit deutlich gesunken. Auch im Alltag macht Elise das Leben deutlich angenehmer. Sascha muss sich nun nicht mehr ständig in den Bauch piksen. Im Restaurant fallen nun keine neugierigen Blicke mehr auf ihn, wenn er sich fürs Essen spritzen muss. Das geht dank Elise völlig unauffällig. Damit Elise brav ihren Dienst erledigt, muss sie alle paar Tage neu mit Insulin befüllt werden. Das gehört seitdem zu meinen Aufgaben. Des Nachts gibt die Pumpe manchmal Alarm. Das kann verschiedene Gründe haben. Leider hört Sascha diesen Alarm eher selten, ich dafür um so mehr! Da Sascha einen wirklich tiefen Schlaf hat, suche ich erst einmal die Pumpe unter der Decke und gucke, warum sich Elise beschwert. Ist es etwas Harmloses, stelle ich den Alarm ab. Wenn aber z.B. der Schlauch abgeknickt ist und keine Insulinabgabe erfolgen kann, wecke ich Sascha auf, damit er sich darum kümmern kann.

Manchmal wird er leider nicht richtig wach, dann geht der Alarm alle paar Minuten. Immer wenn ich gerade wieder eingeschlafen bin, geht es wieder los. Da könnte ich ehrlich gesagt ausrasten und werde dann auch entsprechend motzig. Aber im Großen und Ganzen harmonieren Elise und ich ziemlich gut. Ich bin schon morgens mit ihr im Arm aufgewacht.

Pour-Elise
Quelle: Manuela Vollmer

Was hat sich sonst in meinem Leben verändert? Mich interessieren plötzlich Kohlenhydrate in Lebensmitteln. Wenn es mir irgendwie möglich ist, wiege ich Saschas Portionen aus und sage ihm, wie viele Gramm Kohlenhydrate seine Portion enthält. Leider ist das nicht immer möglich, dann ist Schätzen angesagt. Ansonsten ist Diabetes schon täglich Thema bei uns. Das liegt aber vermutlich daran, dass Sascha sehr engagiert ist, einen Blog über seine Krankheit schreibt und sich auch intensiv mit anderen Diabetikern austauscht. Noch nie habe ich ihn resignieren sehen. Ich finde es ganz toll, mit wie viel Hingabe er sich der Materie Diabetes widmet, und es macht mich stolz, einen so „süßen“ Partner zu haben!

Pour Elise_B
Quelle: Manuela Vollmer

 

 

 

 

 



 


Was tun, wenn der oder die Partner*in unterzuckert ist und man vor schwierigen Situationen steht? Heike hat Tipps in ihrem Beitrag “Unterzucker und Partnerschaft – 4 Tipps für eine ausgeglichene Beziehung

3 Kommentare zu “Von Blutzucker, Basal und einer Bitch

  1. Es tut sooo gut, zu lesen, dass andere sich mit den gleichen Problemen rumschlagen und vor allem die gleichen Marotten entwickeln (sowohl als Diabetiker als auch als “Anhang”)! Außerdem finde ich es sehr spannend, das ganze mal aus der Perspektive eines Nicht-Diabetikers erzählt zu bekommen. Da erkenne ich meinen Freund durchaus wieder. Ich finde es ganz toll, dass du dich da so intensiv damit beschäftigst und deinen Freund so unterstützt. Ich habe da mit meinem Freund glücklicherweise auch eine gute Unterstützung an meiner Seite, aber ich glaube, dass das nicht selbstverständlich ist!

  2. Ich habe seit meinen 31 Lebensjahr Diabetis, habe es immer für normal gehalten. Aber jetzt inm Alter (70) wird alles Lästiger. (z.Beispiel messen,spritzen, Gewicht halten.) Auch der Umgang mit den Arzten wird schwieriger.- Ich habe manchmal keine Lust an Leben. –Ja:” es finden nicht alle Diabetiker so eine liebe Partnerin die das Alles mitmacht. (So wie in diesem Forum geschrieben steht.) Als ich eine Unterzuckerung hatte wurde ich angeschrien, wie blöd ich bin. Jetzt lebe ich allein. Dazu fällt mir Peter Mafay ein, wo er den Text singt. Manchmal wünsche ich mir mein Schaukelpferd zurück. Gruß:

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