DiaBuchtipp: Puerto-Ricanerin, Typ-1-Diabetikerin – und Richterin am Obersten Gericht der USA

Sonia Sotomayors Autobiographie beschreibt, wie sie sich durchkämpfte & welche Rolle ihr Typ-1-Diabetes dabei spielte.

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In den 1950er Jahren als Puerto-Ricanerin in der New Yorker Bronx aufzuwachsen, ist schon kein leichtes Schicksal. Sonia Sotomayor  hatte außerdem noch einen alkoholkranken Vater, eine überarbeitete Mutter und seit frühester Kindheit auch einen Typ-1-Diabetes. Trotz (oder vielleicht sogar wegen?) all dieser erschwerenden Umstände hat sie es bis ins höchste Richteramt geschafft, das man in den USA erreichen kann, den Supreme Court, vergleichbar mit dem Bundesverfassungsgericht in Deutschland. Ich lese gern Biographien starker Frauen, die in ihrem Leben Ungewöhnliches erreicht haben. „Meine geliebte Welt“ aber hat mich ganz besonders in ihren Bann gezogen. Klar, schließlich verbindet mich der Typ-1-Diabetes mit der Autorin, auch wenn ich im Vergleich zu ihr aus sehr behüteten Verhältnissen stamme und einen wesentlich leichteren Zugang zu Bildung und Teilhabe hatte als sie.

Kontrolle über die Erkrankung – Kontrolle über Ausbildung und Karriere

Als Sonia Sotomayor im Alter von acht Jahren mithörte, wie ihre Eltern darüber stritten, wer der Tochter die lebensnotwendige Insulinspritze geben muss (der alkoholkranke Vater, der seine zittrigen Hände kaum unter Kontrolle hatte, oder die überarbeitete Mutter, die als Krankenschwester Extraschichten schob, um die Familie über Wasser zu halten und ihrem Mann möglichst selten in der Wohnung zu begegnen?), beschloss sie, ihren Diabetes selbst in die Hand zu nehmen. Sie kochte am Gasherd Kanüle und Glasspritze aus und übernahm ab jenem Tag selbst die Verantwortung für ihr Leben. Ihre darauffolgende Biographie liest sich einfach ganz erstaunlich: Es ist eben die Ausnahme und nicht die Regel, dass ein Mädchen aus der Bronx die Aufnahmeprüfung für die Elite-Universität Princeton besteht und nach ihrem Bachelor noch ein Studium der Rechtswissenschaften in Yale absolviert. Dass eine Frau, die in ihrem direkten Umfeld keinerlei positive Karrierevorbilder hatte, dennoch den Weg nach ganz oben auf der Karriereleiter findet.  

Der Diabetes lehrte sie Disziplin und strebsames Arbeiten

Ihre Erkrankung ist zwar nur ein Randthema in Sotomayors Autobiographie, das insgesamt nur einen kleinen Teil der über 300 Seiten ausmacht. Doch die Autorin macht ihren Lesern sehr früh klar, dass sie ihrem Typ-1-Diabetes einiges zu verdanken hat: Zum einen lehrte er sie Disziplin. Und zum anderen trieb er sie mit ihren ehrgeizigen Zielen zur Eile an, denn in den 1950er Jahren waren die Möglichkeiten der Therapie des Typ-1-Diabetes noch begrenzt, so dass die Ärzte ihr kein allzu langes Leben vorhergesagt hatten. Genau wegen dieser Prognose verzichtete Sotomayor auch auf eigene Kinder – zu groß waren ihre Angst vor Schwangerschaftskomplikationen und auch ihre Sorge, sie würde möglicherweise nicht lange genug leben, um ein Kind großzuziehen.

Sotomayor will zeigen, dass Diabetes kein Hindernis sein muss

Erst relativ spät – Sotomayor arbeitete bereits in einer angesehenen Anwaltskanzlei in New York – begann sie, sich öffentlich zu ihrer Erkrankung zu bekennen. „Mir lag nichts an Offenbarungen, die als Appell an das Mitgefühl anderer hätten ausgelegt werden können“, schreibt sie. Und: „Als Teenager in einer Gegend mit so vielen Junkies hatte ich wenig Lust, von meinen Nadeln und Spritzen viel Aufhebens zu machen.“ Bei einer Party zu ihrem 37. Geburtstag outete sie sich unfreiwillig, als sie im unterzuckerten Zustand einer Kollegin recht grob ein Stück Geburtstagstorte aus der Hand riss – und ab diesem Moment beschloss, nun im Interesse ihrer eigenen Gesundheit und Sicherheit offener mit ihrem Typ-1-Diabetes umzugehen. Inzwischen erleichtern es Blutzuckermessgeräte und bessere Insuline auch Sonia Sotomayor, ihren Stoffwechsel besser einzustellen. Doch heute gibt es andere Gründe, warum sie kein Geheimnis mehr aus ihrer Krankheit macht: „Und nun, da die schlimmste Gefahr gebannt ist, habe ich in meinem jetzigen Amt einen weiteren guten Grund, mich öffentlich zu meiner Krankheit zu bekennen. Ich weiß nicht, ob Kinder mit Diabetes auch heute noch eine Liste verbotener Berufe in die Hand gedrückt bekommen, aber es macht mich stolz, den lebenden Beweis dafür liefern zu können, dass hochfliegende Träume keineswegs tabu sein müssen.“ Das ist schön gesagt, finde ich. Und da ist sie wieder, die Brücke von dieser tollen Richterin zu meinem etwas gewöhnlicheren Leben: Auch ich (und neben mit vermutlich auch alle anderen Diabetes-Blogger) möchte gern die Botschaft nach draußen tragen, dass der Diabetes mich nicht von einem abwechslungsreichen, erfüllten und ambitionierten Leben abhalten kann – vielleicht sogar ein bisschen im Gegenteil.

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