DiaDiscuss: Sind wir wirklich „schwerbehindert“?

Jeder Diabetiker steht im Laufe seines Lebens vor einer wichtigen Entscheidung: Soll ich einen Schwerbehindertenausweis beantragen oder nicht?

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Behinderung Viele sehen die (gesetzlichen) Vorteile, andere entscheiden sich bewusst gegen einen Behintertenausweis. Dabei spielt vor allem ein Gedanke eine Rolle: Will ich als „behindert“ gelten? Während ich über einen Ausweis nachgedacht habe, habe ich mich eins gefragt:

BIN ich überhaupt behindert?

Laut dem Sozialgesetzbuch sind Menschen dann behindert wenn „ihre körperliche Funktion, geistige Fähigkeit oder seelische Gesundheit mit hoher Wahrscheinlichkeit länger als sechs Monate von dem für das Lebensalter typischen Zustand abweichen und daher ihre Teilhabe am Leben in der Gesellschaft beeinträchtigt ist“. (SGB IX §2) Uff – ein Paradebeispiel für das allseits bekannte Bürokratendeutsch! Den ersten Teil dieses Paragraphen erfüllen Typ-1-Diabetiker ausnahmslos: Schließlich ist unser fauler Kumpel, die Bauchspeicheldrüse, definitiv länger als 6 Monate im Streik und somit ist unsere vollständige „körperliche Funktion“ futsch. Der zweite Teil ist tatsächlich das, worüber ich mir viele Gedanken gemacht habe:

Bin ich in meinem alltäglichen Leben wirklich so stark beeinträchtigt?

Bin ich darin eingeschränkt, an Aktivitäten, Aktionen und generell am sozialen Leben teilzunehmen? Letztendlich habe ich für mich festgestellt: Ja, ich bin eingeschränkt!

#1 (Nächtliche) Hypos und Hypers

Wer kennt es nicht? Nach einer nächtlichen Hypoglykämie inklusive Fressattacke wacht man morgens total gerädert auf – Hypo-Kater lässt grüßen! Aber auch saftige Hyperglykämien können ganz schön einschränkend sein: Ketone verfrachten einen da schnell mal für Stunden auf die Couch oder der unerklärliche 300er-Wert am Morgen sorgt für eine Mischung aus brodelnder Wut und hoffnungsloser Verzweiflung. Viele bleiben dann (mehr oder weniger notgedrungen) eher zu Hause, als sich durch ein Familienessen zu quälen oder sich im Club beschallen zu lassen.

#2 Psyche

Wertechaos, Krankenhausaufenthalte, Vorurteile oder gar Diskriminierung: Nicht ohne Grund leiden etwa ein Viertel aller Diabetiker an Depressionen. Doch auch wer nicht von psychischen (Folge)Erkrankungen durch den Diabetes betroffen ist, kennt sicher Situationen, in denen man sich Zukunftsängsten, scheinbar unüberwindbaren Hindernissen oder einfach dem puren Diabetes-Stress gegenübersieht.

#3 Aufwand

Pen, Messgerät, Teststreifen, Stechhilfe, Ersatzkatheter und Traubenzucker mitnehmen; auf Reisen immer einen großen Vorrat in den Koffer quetschen und an die Kühlung für das Insulin denken; mehrmals täglich messen, Insulindosen berechnen, Katheter wechseln, regelmäßig Arzttermine wahrnehmen… Das alles sind nur einige Dinge, die im täglichen „Aufgabenplan“ eines Typ-1ers stehen. Bei 6-maligem Messen am Tag kommen so pro Jahr mehr als 6 Stunden nur fürs Blutzuckermessen zusammen – und dabei sind weder Tagebuchführen noch Täschchenausmisten oder irgendetwas anderes mit eingerechnet. Antrag Feststellung Grad Behinderung Alles in allem kann ich zumindest für mich persönlich sagen: Ja, ich bin eingeschränkter als ein vollkommen Gesunder. Doch vielleicht grade WEIL ich es mir einmal deutlich vor Augen geführt habe, was ein Leben mit Diabetes wirklich bedeutet, bin ich umso beeindruckter von all den Menschen da draußen, die Tag für Tag wieder aufstehen und das Beste aus ihrem Leben machen! Eine dicke DiaBroFist 😉 Ich persönlich habe mich deshalb auch FÜR die Beantragung eines Schwerbehindertenausweises entschieden. Ich empfinde einen solchen Ausweis eher als Honorierung meiner Bemühungen als als eine Stigmatisierung. Außerdem möchte ich die Vorteile des Ausweises nutzen können.

Vorteile des Behindertenausweises

  • Steuererleichterungen
  • 5 Tage mehr Urlaub
  • Erhöhter Kündigungsschutz
  • Eventuell bessere Jobchancen (vor allem im öffentlichen Dienst)
  • Vergünstigungen (Fernbusse, Freizeitparks, Kino etc.)
  • (Je nach Merkzeichen):
    • Behindertenparkausweis
    • Kostenlose Nutzung von Bus und Bahn
    • Kostenloses Mitnehmen einer Begleitperson (Kino, Freizeitpark etc.)
Habt ihr einen Schwerbehindertenausweis? Fühlt ihr euch selbst in eurem Alltag behindert oder findet ihr, ihr seid nicht eingeschränkter als Gesunde?

5 Kommentare zu “DiaDiscuss: Sind wir wirklich „schwerbehindert“?

  1. Als Langgzeitdiabetiker bisher ohne Spätfolgen an ich nur zustimmen. Diabetes ist eine schwere Behinderung und toll ist es, wenn wir es schaffen, positiv damit umzugehen. Ein SB-Ausweis ist keine Stigmatisierung, sondern ein gesetzlicher Anspruch! Ein guter Artikel, besonders weil er von einer jungen Diabetikerin ist. Super!!!

  2. Diabetes ist eine Behinderung die man GOTTSEIDANK :::selber steuern und beeinflussen kann, Ich bin seit über 25 Jahren Diabetiker und bin trotz Diabetes Krankheit noch immer topfit!!!! (Ich bin kein Fanatiker der sich selbst beweisen muss und Sport treibt, nur weil er Diabetes hat) Wir Diabetiker haben das immense! Glück unsere Krankheit durch unsere Lebensweise zu steuern.
    Gemuese, Fisch, wenig Fleisch, Obst , Yoghurt, Vollkornbrot (Honig) Kaese,Kohlenhydrate nur in wenigen Mengen
    Dies ist ja schon fast ein Geschenk wenn du dir einfach nur vorstellst wieviele andere kranke Menschen sich diesen Ausgangspunkt wünschen würden

  3. Guter Artikel.
    Ich selbst bin vor 19 Jahren an Gestationsdiabetes erkrankt. Des öfteren habe ich bei meinen Ärzten nachgefragt ob ich wohl einen SB-Ausweis bekommen würde, wenn ich diesen beantragte. Selbst vor 3 Jahren, als eine koronare Herzkrankheit dazukam sagte mein Kardiologe : Sie können es ja versuchen , aber wahrscheinlich nicht!
    Nun habe ich es versucht, und – oh Wunder – habe ohne Probleme einen bekommen – unbefristet versteht sich.
    Wenn man das möchte, sollte man sich nicht allzusehr beeinflussen lassen, und unbedingt selbst versuchen den SB-Ausweis zu beantragen

  4. Habe nunmehr seit 37 Jahren meinen Diabetes – bisher ohne Folgeerkrankungen. Zu DDR-Zeiten habe ich schon als Kind einen SB-Ausweis bekommen. Nach der Wende wurde ja alles neu überprüft; da erhielt ich dann nur eine Einstufung mit 30 % – nach eingelegtem Widerspruch dann 40 %.
    Nach einigem hin und her und erneutem Widerspruch erhielt ich dann einen Ausweis mit 50 %.
    Der Ausweis hatte nicht nur Vorteile für mich – bei der Jobsuche war er mir so manches Mal von Nachteil – sicherlich, weil ich auch immer ehrlich war und meinen Diabetes erwähnte. Eigentlich sollen ja Schwerbehinderte in den Betrieben integriert werden, aber lieber zahlen die Firmen eine Strafe, als jemanden mit Behinderung einzustellen.
    Zum Glück denken nicht alle so.

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