Ich fühle mich dick – egal was ich wiege

"Ich schaue in den Spiegel, bewerte das Bild – genauer: ich werte es ab – und dann gehe ich weiter und fühle mich hässlich." Katharina findet sie ist zu dick, egal ob sie 70kg, 80kg oder 90kg wiegt. Ein ehrlicher und bewegender Bericht über Gefühle und ihre Selbstwahrnehmung.

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Ich sehe mich nicht. Bis auf eine 08/15-Kurzsichtigkeit, die ich im Alltag mit Brille oder Kontaktlinsen auszugleichen weiß, gibt es keine Begründung für dieses Problem, aber ich kann mich nicht sehen.

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Abstoßend, dick und schwabbelig

Ich schaue in den Spiegel, bewerte das Bild – genauer: ich werte es ab – und dann gehe ich weiter und fühle mich hässlich. Ich fühle mich nicht nur hässlich, ich fühle mich abstoßend, dick, schwabbelig, Alien-haft. Und das alles, weil ich nur eines wahrnehme, wenn ich mich anschaue, anfasse, mich an- oder ausziehe: mein Gewicht.

70kg, 80kg oder 90kg – es fühlt sich gleich an

Umso paradoxer ist die Tatsache, dass ich mich nicht dünner fühle, wenn ich weniger wiege. Ich fühlte mich (zu) dick mit 70kg bei einer Körpergröße von 178cm. Als die Kilogramm-Anzeige auf der Waage in den Jahren immer weiter nach oben wanderte, war ich mir sicher, mich umzubringen, wenn ich über 80kg komme, und nun mit 90kg fühle ich mich genauso unwohl wie mit 20kg weniger.
antiksu - Fotolia
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Es wird offensichtlich, dass mein Problem mit mir nicht an mein Körpervolumen gebunden ist, und trotzdem bin ich überzeugt davon. Irgendein Dämon in mir sagt, dass ich nur glücklich sein kann, wenn ich dünn (und schön) werde. Und ich denke ständig daran, wenn ich etwas zu mir nehme.

Essen als Belohnung, Bestrafung, Trost oder Beschäftigung

Ob Nahrungsmittel, Lebensmittel oder Genussmittel. Essen und Trinken ist all das für mich, aber auch eine Form der Belohnung, der Bestrafung, des Trosts oder der Beschäftigung. Manchmal ist das Gefühl beim Schlucken das Letzte, was ich wahrnehme in einer depressiven Phase. Ich liebe Essen. Ich weiß es zu schätzen, dass ich genug davon zur Verfügung habe. Und ich genieße es. Aber ich missbrauche es zu oft zur Kompensation von allzu vielen Gefühlen. Das ist mir noch viel bewusster, seitdem ich Diabetes, aber auch die anderen Diagnosen bekommen habe. Doch der Diabetes triggert es manchmal – ab und zu auch öfter.

Ich kann es nicht

Ich denke, viele von uns, die Diabetes Typ 1 haben, kennen den Kampf mit der Gewichtsreduktion. Endlich zieht man es durch, gesünder und dementsprechend vielleicht weniger Kohlenhydrate zu essen und auch endlich wieder Sport zu machen. Und dann fühlt man sich gut! Genau bis zu dem Punkt, an dem der Diabetes meint, den Höhepunkt der Motivation in einen Tiefstpunkt des Blutzuckerwertes zu verwandeln. Ja, man kann da straight von Tag zu Tag Insulindosis und alles andere anpassen und, wenn es zu einer Hypoglykämie kommt, nicht gleich die Nerven verlieren, das kann man. Aber ich kann es nicht. Ich fühle mich in diesen Momenten persönlich verarscht. Vielleicht schaffe ich es einige Male, die Situation vernünftig zu lösen, aber es kommt immer der Punkt, an dem ich anfange, wieder zu (fr)essen.

Sind manche Menschen zum Hässlichsein geboren?

Ob mit oder ohne Hypo. Es gibt Menschen, die sind einfach zum Hässlichsein geboren, denke ich dann. Und damit meine ich nicht alle jene, die über ihrem Idealgewicht liegen. Ich kann an anderen so vieles schön finden. Nur an mir, da fällt es mir unfassbar schwer.

Wäre der Diabetes nicht…

Wäre der Diabetes nicht, würde ich mich viel weniger mit meiner Ernährung auseinandersetzen, da bin ich mir sicher. Ich weiß nur nicht, ob das gut oder schlecht wäre. Oder irgendwas dazwischen. Aber in meinem Kopf gäbe es weniger Bewertungen, weil ich mir weniger Gedanken machen würde, was genau das in und mit mir anstellt. Das wäre sicher entspannter, aber andererseits ist der Diabetes eben auch eine Motivation, sich um sich zu kümmern. Und eben dieses Kümmern funktioniert bei mir übers Essen und Trinken, in Massen, nicht in Maßen. Letztendlich hat das alles mit der Liebe zu sich selbst zu tun. Würde ich mich so lieben, wie ich bin, wäre mir auch die Anzeige auf der Waage egal. Dann käme ich nicht auf die Idee, zu essen, um mich noch unattraktiver zu fühlen. Und danach zu essen, um mich über das selbst erzeugte Gefühl hinwegzutrösten. Um dann noch einmal zu naschen, bevor ich zur Belohnung esse, weil ich mir eingestanden habe, dass das zwischen der Schokolade und mir nicht das ist, was ich eigentlich suche.   Ich suche mich. Ich will mich sehen. Und zeigen.

5 Kommentare zu “Ich fühle mich dick – egal was ich wiege

  1. Ich kann das gut verstehen da ich seit der Diagnose diabetes vor 20 Jahren Ca. 25 kg zugenommen habe und ich habe mich oft bewusst nicht um meinen Diabetes gekümmert um ein paar Pfunde zu verlieren so geht das mit dem Gewichts auf und ab nun schon Jahre ich bin mir sicher das dies auch irgendwie ne Form von einer Essstörung ist zur Zeit kann ich mich gut akzeptieren und ich hoffe das es jetzt auch so bleibt !

  2. Vergiss nicht: durch Typ1, den wir haben, fühlen wir uns “fehlerhaft” und deshalb hässlich. Das nehmen aber nur wir selbst so wahr. Aussenstehende spüren instinktiv, dass wir anders und etwas Besonderes sind – dadurch sind wir schön – den Blick auf die Waage interessiert da Niemanden.

  3. Liebe Kathi,

    ich kenne das Problem “Essen als Sucht” bzw. “Essen um Emotionen abzudämpfen” sehr gut. Auch ich habe Jahre damit gekämpft und immer gedacht ich werde alleine damit fertig. Viel zu spät habe ich dann Unterstützung gesucht. Maria Sanchez hat mir hier in einem Seminar sehr geholfen, sie sitzt in HH gibt aber auch Seminare in Süddeutschland: https://www.sehnsuchtundhunger.de/ueber-maria-sanchez/

    Melde dich gerne wenn du Fragen hast.

    Liebe Grüße
    Steffi

  4. Ich habe leider auch 25 kg zugenommen, nachdem ich von der Lilly auf die Accucheck Pumpe vor 25 Jahren umgestellt wurde. Ich mag gerne Schokolade und alles was süß ist. Trotz Reduzierung , Enährungsänderung und leichten Sport nehme ich nicht ab. Ich kämpfe immer wieder mit Hypos nachts um 2 Uhr. Um die Zeit schmecken Geleefrüchte am besten! Sie lassen den BZ auch nicht so hochschnellen! Meinem Übergewicht hilft das natürlich nicht! Ich verzichte seit 45 Jahren auf so vieles und brauche die Süßigkeiten für mein Lebensgefühl. Nur von low carb mag ich nicht leben, jedenfalls zurzeit noch nicht. Ich finde mich mit 95 Kilo hässlich. Es macht mich traurig !

  5. Ja, da kann ich auch nur zustimmen.
    Habe schon mein ganzes Leben Probleme mit meinem Gewicht und Essstörungen wie z.B. auch Bulimie und das Ganze wurde mit der Diabetes Typ 1 Diagnose noch schlimmer. Habe bis jetzt die Minimed Veo benutzt und werde nun auf die Minimed 640G geschult und muss jetzt das CGM dazu beantragen.
    Im Vorgeld der Diabetesdiagnose habe ich mir professionelle Hilfe geholt und wurde auch stationär in der Klinik Roseneck in Prien am Chiemsee (einer Spezialklinik für Essstörungen) behandelt. Das hat mir leider auch nur kurzfristig geholfen…
    Mein Leidensweg, was das Gewicht angeht, ging immer weiter. Ich hatte zuletzt ein Gewicht von insgesamt. 110 kg. Habe zusätzlich entzündliches Rheuma und kaum Möglichkeiten mich adäquat zu bewegen. Nun bin ich im Mai 2016 in Essen-Steele operiert worden (Schlauchmagen). Hatte 3 Expertengutachten und die Barmer hat dann diese OP sehr zeitnah genehmigt. Ich habe seit der OP über 30 kg abgenommen, fühle mich aber immer noch zu dick. Bei neuen Anziehsachen greife ich immer noch zu den größeren Größen. Es ist irgendwie noch nicht bei mir richtig angekommen dass ich jetzt bereits ein gutes Gewicht erzielt habe und fühle mich immer noch zu dick.
    Es tut gut zu sehen dass ich damit nicht alleine dastehe.
    Zur Zeit liege ich wegen einer starken Unterzuckerung mit Bewusstlosigkeit am vergangenen Freitag zur Neueinstellung der Basalrate im Krankenhaus. Aufgrund der hohen Gewichtsabnahme benötige ich nun weniger Insulin und die Basalrate muss neu angepasst werden.
    Ich sehe mich aber immer noch als dick an. Da stimmt die Selbstwahrnehmung auch nicht.
    Ich wünsche Dir weiter alles Gute und sei nicht so streng mit Dir; aber ich kann Dich sehr gut verstehen. Jeder muss seinen eigenen Weg gehen und damit sein Zufriedensein damit finden.

    Heike

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