Früh- versus Spätzünder

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„Sie haben Diabetes!“ - Welche Rolle spielt das Alter zum Zeitpunkt der Diabetes-Diagnose? Gibt es „Vor- und Nachteile“ eines frühen bzw. eines späten Diabetes-Starts? Diesen spannenden Fragen geht Susanne Löw nach. Und sie fragt sich auch, ob es einen "optimalen" Startzeitpunkt gibt …

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Die Bezeichnungen „Jugend-“ und „Altersdiabetes“ für Typ-1- und Typ-2-Diabetes sind angesichts von 5-jährigen Typ-2-Diabetikern und Typ-1-Diabetikern, die ihre Diagnose mit Anfang 40 erhalten, längst überholt. Treffender wäre die Unterscheidung in „Früh-“ und „Spätzünder“. Denn eines bestimmten Tages war für jeden von uns „Tag X“ – der Tag der Diagnose. Manch einer hat diesen als Kleinkind erlebt und vermutlich dessen Tragweite nicht so wahrgenommen wie Neu-Diabetiker im Jugendalter oder „Spätzünder“, die bis dahin schon viele Jahrzehnte ohne den Diabetes gelebt haben.
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Ich wurde im Alter von 21 Jahren diagnostiziert, mitten in meinem Studium. Bin ich damit nun ein Früh- oder ein Spätzünder? Ein Gefühl für völlig unterschiedliche Empfindungen in diesem Zusammenhang bekam ich zum ersten Mal, als ich mit Mitte 20 am „Camp D“ von Novo Nordisk teilnahm, einem mehrtägigen Event für Jung-Diabetiker aus ganz Deutschland. Ich teilte mir dort ein Zelt mit drei anderen Typ-1-Diabetikern, darunter eine 18-Jährige. Als sie mir erzählte, dass sie seit ihrem 3. Lebensjahr Diabetes hat, war ich ganz betroffen und reagierte mit: „Oje, das ist heftig.“ Auf Betroffenheit folgte Überraschung, denn sie wiederum antwortete, als sie hörte, dass ich „erst“ mit 21 diagnostiziert wurde, ebenfalls: „Oje, das ist heftig.“

Eine Frage der Perspektive

Spannend, oder? Ich für meinen Teil stellte es mir extrem schwierig vor, als Kind den Umgang mit Diabetes zu lernen, sich in Kindergarten und Schule zu behaupten und gerade in der Teenager-Zeit, wenn verwirrende Gefühle, Hormone und erste Erfahrungen mit Alkohol anstehen, seinen Diabetes nie ganz zu vergessen – und war froh, später diagnostiziert worden zu sein. Sie wiederum stellte es sich ganz furchtbar vor, „mitten im Leben“ so plötzlich mit einer Diabetes-Diagnose konfrontiert zu sein. Sie kenne es ihr ganzes bisheriges Leben lang ja gar nicht anders, meinte sie, aber ich dagegen hätte ja alles erst von jetzt auf gleich erlernen und umstellen müssen. Unsere konträren Reaktionen von damals zeigen: Es gibt keinen „optimalen“ Zeitpunkt. Jeder muss sich zwangsläufig arrangieren, egal, ob er 5, 25, 45 oder 65 Jahre alt ist, wenn er von seiner Diabeteserkrankung erfährt. Und trotzdem gibt es natürlich verschiedene altersabhängige Rahmenbedingungen: Als minderjähriger Neu-Diabetiker tragen die Eltern die Verantwortung für eine gute Blutzucker-Einstellung, die ganze Familie muss sich ausgiebig mit dem neuen Thema befassen. In Kindergarten und Schule kann der Diabetes Fragen aufwerfen (siehe Beitrag in der BSL).
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Als Erwachsener dagegen trägt man von Anfang an die Verantwortung selbst, hat häufig bereits berufliche Richtungen eingeschlagen und bestimmte Meilensteine gesetzt. Was ändert sich durch die Diagnose, muss man sich beruflich, in seinen Hobbys oder Routinen verändern? Wie reagieren Kollegen, Freunde und der Lebenspartner?

„Ne, ne, da machen wir nicht mit auf unsere alten Tage!“

Dass Diabetiker, die erst im Rentenalter von ihrem Diabetesdasein erfahren (meist Typ 2), teilweise ebenfalls mit liebgewonnen Routinen und der Motivation zu kämpfen haben, zeigt folgende Anekdote: Ich wurde einmal während eines Krankenhausaufenthaltes zur Blutzucker-Neueinstellung vom Oberarzt gebeten, eine Gruppe „unmotivierter“ Typ-2-Diabetiker im Seniorenalter zu „coachen“, die ebenfalls zu dieser Zeit im Krankenhaus waren. In geheimer Mission, sozusagen. Ich traf die gutgelaunte Gruppe im Aufenthaltsraum: Jeder hatte vor sich ein großes Stück Sahnetorte aus der Krankenhaus-Cafeteria, das definitiv nicht Teil der täglichen BE-Ration war. Meine Verwunderung darüber und meine Nachfragen zu ihrem Diätplan und ihrem Blutzucker entlarvten mich und mein Gesprächsziel schnell – bis mich eine der älteren Damen zur Seite nahm und sagte: „Kind, du meinst es nur gut mit uns. Aber früher, im Krieg, da hätten wir alles essen dürfen – und hatten nichts. Heute, da haben wir alles – und da sollen wir nicht mehr dürfen? Ne, ne, da machen wir nicht mit auf unsere alten Tage!“ Ob das eine kluge Einstellung sein mag oder nicht, jeder urteilt eben aus seiner persönlichen Situation … Wie alt wart ihr beim Start eurer „Diabetes-Karriere“ – und welche Rolle spielte euer Alter dabei für euch?

16 Kommentare zu “Früh- versus Spätzünder

  1. Ich kam in das Diabetesgeschäft mit 28 Jahren und das ist jetzt kein halbes Jahr her. Die Frage nach dem optimalen Startzeitpunkt geistert bei mir auch immer wieder durch den Kopf, aber zu einer eindeutigen Antwort komme ich nicht. Geht man den Überlegungen nach unter der Prämisse, dass man Diabetes so oder so bekommt, dann finde ich es ganz gut recht spät zum Club zu gehören. Es fällt aber (noch) schwer an die vergangene Zeit zurück zu denken.
    Wäre ich recht wiederum als junger Mensch Diabetiker geworden, würde es einem vielleicht etwas einfacher fallen alles zu erlernen, was notwendig ist und der wehmütige Blick zurück wäre gar nicht erst da.

  2. Diagnose Diabetes Typ 1. Ich war 43 (bin ich auch noch) und nach vielen vorausgegangenen, gesundheitlichen Miseren war es ein Faustschlag mitten ins Gesicht. Ich denke immer noch häufig ” warum das jetzt auch noch?” Als Pflegefachkraft bin ich zwar bestens ausgebildet, aber leider sind mir auch die Spätfolgen täglich vor Augen. Ich glaube Kids “wachsen” mit und an dem Diabetes und kennen es nicht anders. Ich habe 43 Jahre ohne gelebt. Dafür überlebe ich hoffentlich die Spätfolgen nicht und sorge für gute BZ-Werte und ein bißchen Galgenhumor.

  3. Ich war knapp 54 und das ist jetzt 3 Jahre her (bin Typ 1). Für mich der richtige Zeitpunkt. Mein Leben war zu der Zeit eh etwas ruhiger geworden und ich hatte wirklich die Muse, mich ausführlich mit der Krankheit zu beschäftigen. Ich habe nie mit der Krankheit gehadert (was mich heute noch manchmal etwas wundert), sondern sie sofort in mein Leben integriert. Ich glaube, das kann man als älterer Mensch eher.

  4. Ich bin 1949 gebohren und habe seit dem 14. Lebensjahr Diabetes. Da wurde das 8. Schuljahr wiederholt weil ich viel Schulzeit versäumt hatte. Aber was solls. Heute lebt der Diabetes mit mir, von kleinen Zwickerlein mal abgesehen.

  5. Ich werde bald 50 und habe die Diagnose an meinem 45’sten Geburtstag erhalten. Gehadert hab ich auch nicht, nur der tägliche Kampf bis zu meinem heutigen Befinden war lang und hart. Aufgabe gibt es unserer Familie nicht.

  6. Der Typ 1 trat in mein Leben, als ich 26 Jahre alt war. Wenn ich lese, was Kinder mit ihrem extrem niedrigen Insulinbedarf und Pubertierende mit ihren physischen und psychischen Veränderungen, die den Blutzucker beeinflussen, durchmachen, bin ich nicht unglücklich darüber, das nicht miterlebt haben zu müssen. Ich war mitten im Arbeitsleben, konnte problemlos die neue Situation in mein Leben integrieren.

  7. Ich war 41 Jahre alt, als ich vor mehr als 20 Jahren Diabetes Typ 1 als meinen ständigen Begleiter bekam. Zuerst war ich schockiert von der Diagnose, doch nach drei Wochen in der Klinik habe ich gelernt damit umzugehen, anfangs mit viel Disziplin und Planung, später wurde es ein Teil von mir, wie vieles andere in meinem Leben. Für mich war es der richtige Zeitpunkt in meinem Leben und heute bin ich sogar ein wenig dankbar dafür, dass ich mit meinem kleinen Diabetesmonster leben darf, denn seitdem lebe ich sehr viel aktiver, ernähre mich gesünder, treibe viel Sport und fühle mich einfach besser. Dennoch gibt es auch immer wieder Zeiten, in denen mich die ständig erforderliche Achtsamkeit nervt, trotz Insulinpumpe und CGM. Manchmal wünsche ich mir daher eine kleine Auszeit vom Diabetes. Dann würde ich mal wieder einfach drauf los essen, mich sportlich betätigen oder was auch immer tun, ohne ständig rechnen zu müssen und immer zu daran zu denken, wie mein Blutzucker auf alles reagiert.

  8. Ich bin quasi von heute auf morgen mit 69 Jahren Typ 1 geworden, es ist wohl
    von ärztlicher Seite verschlampt worden. Trotz mehrfacher Nachfragen (ich fühlte mich extrem unwohl, musste ich erst in der Praxis kollabieren und wurde dann im Rettungswagen mit BZ 996 (natürlich Koma) in die UNI Frankfurt eingeliefert. Ich kämpfe jeden Tag ,manchmal geht es ganz gut, ich prüf auch alles 2 Mal. Dann haut es wieder mit Über- oder Unterzucker ohne jegliche Fehler derartig rein. Das macht mir Angst und bringt nur Verunsicherung mit sich, was wiederum Stress verursacht. Gottseidank
    habe ich den Freestyle Libre bekommen und das bringt ein wenig mehr Ruhe. Ich achte auf Essen, gehe 2-3 mal die Woche ins Fitness Studio, frage mich schon wie lange geht’s noch. Habe noch 2 Autoimmunkrankheiten,
    Schilddrüse HashiMoto und APC Resistenz. Momentan ist bei mir von Gelassenheit keine Rede

    1. Liebe Elke,
      ich kann Sie gut verstehen. Meine Werte sind ebenfalls selten zu erklären. Meistens sind sie viel zu hoch. Dank CGM kann ich aber gut reagieren. Seit ich es aufgegeben habe, die Abweichungen verstehen zu wollen, geht es mir gut. Trotzdem beneide ich diejenigen, die regelmäßige Werte haben ☺
      Ich wünsche Ihnen viel Kraft!
      Viele Grüße
      von Anne

  9. Ich weiß erst das ich Typ 2 Diabetikern seit 6 Wochen …Ich nehme morgens und abends 1 tablette…Metvormin 500mg ich kann mich immer noch nicht damit anfreunden und weiß auch nicht wirklich was ich essen darf und was nicht bzw. Wie die be berechnet werden…. vielleicht kann mir ja hier jemand helfen. Lg Michaela

    1. Liebe Michaela, sprich deinen Arzt doch mal darauf an, dass er dir eine geeignete Schulung zum Thema Typ-2-Diabetes vermittelt. Da erfährst du dann alles, was du wissen musst – und kannst gleichzeitig deine individuellen Fragen stellen!

  10. Für manche Leute ist das 50 Lebensjahr ein besonderes Lebensjahr. Die Wechseljahre vor sich, die Mid-Life Krise vielleicht schon hinter sich oder immer noch mitten drin.

    Der Diabetes (Typ 1) hat meinem 50. Lebensjahr auf alle Fälle eine neue Bedeutung verliehen.
    Ich komme aus einer Diabetikerfamilie (Mama und Schwester beide Typ 1) und mit 50 hatte sich so langsam das Gefühl breit gemacht, na wenn bis jetzt nicht Diabetes ausgebrochen ist, habe ich vielleicht Glück gehabt. Aber erstens kommt es anders und zweitens als man denkt. -:)
    Rückblickend muss ich sagen, bin ich froh, das ich erst mit 50 die Diagnose bekommen habe. Mir fiel es dadurch ziemlich leicht die Krankheit anzunehmen und mittlerweile gehört Diabetes einfach zu meinem Leben dazu.
    Heisst natürlich nicht, das ich nicht mal den einen oder anderen schwarzenTag habe, wenn die Werte so gar nicht im grünen Bereich liegen wollen.
    Ich will aber unbedingt meinen Kindern (17 und 20 Jahre) zeigen, das sollten sie eines Tages die Diagnose “Diabetes” erhalten, der Diabetes zu meistern ist und man auch viel positiven Einfluss auf die Krankheit nehmen kann.
    Zum Schluss noch einen Spruch, den mir meine Tochter zu Anfang meiner Diabetikerzeit in mein Ernährungstagebuch geschrieben hat:
    “Diabetics are naturally sweet.” – stammt glaube ich von Tom Hanks.

  11. Ich war 16, scheiß Alter. Meine Eltern waren wie ich Überfordert, im Krankenhaus wurde mir (das war im Herbst 1981) gesagt, dass ich versuchen sollte, eine strenge Diät einzuhalten, dann könnte ich mit der damaligen Insulintherapie und etwas Glück 30 Jahre alt werden. Ich litt in der Einstellungsphase unglaublichen Hunger, konnte mir kaum vorstellen, das bis 30 durchzuhalten. Es folgten Suizidgedanken und Extremer Sport mit Nahtoderfahrung, mit 30 fragte ich mich, wieso ich noch am Leben war, mit 38 erlitt meine Frau eine Todgeburt unseres 1. Kindes, just am berechneten Geburtstermin, das zweite Kind erkrankte mit 10 an Leukämie, das 3. Kind hatte ein ADS Syndrom etc etc. – und da fragt ihr nach dem optimalen Starttermin für den Diabetes?

  12. Ich war 11 bei meiner Diabetes Typ 1 Diagnose. Meiner Meinung nach ein gutes Alter für diese Krankheit. Natürlich gibt es nicht DAS perfekte Alter, aber ich bin und komme auch jetzt noch gut damit zurecht. Mit 11 Jahren hatte ich eine unbeschwerte Kindheit. Durch die Diagnose musste ich schneller erwachsen werden. Das kann man als Vor- und Nachteil sehen. Ich bin von Anfang an sehr verantwortlich mit meiner Erkrankung umgegangen und wollte immer alles wissen, auch heute noch. Ich kenne ein Leben ohne Diabetes, aber hatte auch keine Probleme mich umzustellen, da ich ja noch relativ jung war. Ich bin froh, die Diagnose nicht als Kleinkind bekommen zu haben

    1. Mein Sohn ist vor einem Jahr mit 16 Jahren an Diabetes Typ 1 erkrankt. Er kommt sehr gut damit zurecht. Er ist sehr gewissenhaft und hat von Anfang an die ganzen Prozesse, die im Körper ablaufen, verstanden. Ich weiß nicht, ob ich dies alles geschafft hätte, wenn er ein Kleinkind gewesen wäre.

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