Helsinki, 15.08.2015, ein Tag, der mein Leben verändert hat

Der Tag ihres Marathons war für Bilge ein einschneidendes Erlebnis. Das Resultat ist ein Mammut-Projekt, bei dem die #BSLounge sie begleiten darf. Was sie vorhat, erfahrt ihr in ihrem Erlebnisbericht.

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Das Herz klopft, die Atmung wird schwerer, die Stimme der Menschenmasse immer leiser. Ich sehe nur die Strecke vor mir. Die Erinnerungen meiner damaligen Ärzte schwirren mir im Kopf herum und die Tränen fließen mir schon am Start. Hätte ich auf die Menschen hören sollen, die mir sagten, dass ich es nicht schaffe und dass ich mich überschätze? Dass es mit der Krankheit Diabetes nicht möglich sei, diese Art von Strecke zu laufen? Der Versuch, sich nicht von der Angst des Versagens lähmen zu lassen und die negativen Stimmen im Kopf auszublenden, rauben mir beinahe die Energie, schon bevor der Startschuss ertönt.

Helsinki Marathon 2015

Tausende von Läufern sind da, lachen oder sind gar ganz fokussiert. Ich frage mich, was die anderen Läufer bewegt hat, an einem Marathon teilzunehmen. Jeder läuft aus einer ganz persönlichen Leidenschaft und Motivation heraus und doch sind wir alle aus demselben Grund hier. Wir möchten es uns oder anderen Menschen beweisen, dass man alles schafft, was man sich in den Kopf setzt, wenn man realisiert, dass das einzige Limit, das wir haben, das ist, was wir uns selber setzen, und nicht, was andere Menschen versuchen, uns aufzuerlegen. Unter all den Läufern bin ich, Bilge Özyurt, die zwei Monate zuvor ins Krankenhaus eingeliefert wurde und dort die lebensverändernde und schockierende Diagnose Diabetes mellitus Typ 1 bekommen hat. Erschütternd für mich, wo ich doch geglaubt habe, niemals krank werden zu können. Jeder Mensch kommt an einen Punkt in seinem Leben, in dem er eine wichtige Entscheidung treffen muss. Eine Entscheidung, die so wichtig ist, dass es einen solchen Mut benötigt, gegen all die Meinungen anderer Menschen anzukämpfen, der eigenen Stärke und den eigenen Fähigkeiten zu vertrauen und seinen gesunden Menschenverstand einzusetzen. Ich habe meine Entscheidung getroffen.

Freundentränen auf der Zielgeraden

Ich bewältigte die 42 km mit der Unterstützung meiner zwei besten Freunde und brach am Ende der Strecke in Freudentränen aus. Ich lag in Finnlands größtem Olympiastadion auf dem Rasen mit meiner Medaille um meinen Hals. Der ganze Körper schrie vor Schmerz und die Krämpfe, die ich nach dem Lauf hatte, waren so unerträglich, dass es fast schon ein lähmendes Gefühl war. Helsinki Marathon 2015 Das Gefühl, als ich da lag und die Wolken vorbeiziehen sah, war das befreiendste Gefühl, was ich je erlebt habe. Die Schmerzen fühlten sich sogar schon gut an. Das war der Tag, an dem ich die Krankheit akzeptiert habe, und der Moment, in dem ich realisiert habe, dass ich die Kontrolle über mein Leben und meinen Körper habe, dass es kein Limit gibt und ich es all denen zeigen konnte, die nicht an mich geglaubt haben. Für manche war es ein 42-km-Lauf, aber für mich eine Erfahrung, die mein Leben grundlegend verändert hat. Auf der Suche nach dem Arzt, der keine Grenzen setzt, sondern mir Möglichkeiten aufzeigt, bin ich vom schönen Bodensee nach Bad Mergentheim gezogen, um dort im Diabetes Zentrum als Gesundheits- und Krankenpflegerin zu arbeiten.

„Diabetes von 0 auf 8.848 m“

Säntis Schweiz Nun starte ich ein dreijähriges Projekt und möchte anderen Menschen mit Diabetes Mut machen, an sich zu glauben. Das Projekt nennt sich „Diabetes von 0 auf 8.848 m“. Mein Traum ist es, die erste Typ-1-Diabetikerin auf dem Mount Everest zu sein. Ich muss dazu sagen, dass der Bergsport eine Sportart ist, die nicht unterschätzt werden darf. Das ist wichtig zu wissen, sonst würde man sich selber und andere Menschen in Gefahr bringen. Die Vorbereitungszeit nehme ich selbstverständlich sehr ernst, unter dem täglichen Training wird die Therapie konsequent durchgeführt, evaluiert und bei Bedarf verändert. Es gibt nichts Schöneres auf Erden, als leidenschaftlich auf etwas hinzuarbeiten, das man sich lange schon gewünscht hat. Die Realisierung eines Traumes, für den es sich zu kämpfen lohnt. Auch wenn es damals „nur“ ein Marathon war, habe ich schon einmal bewiesen, dass es nur die eigenen Grenzen sind, die einen aufhalten könnten. Im Moment und trotz Diabetes mellitus Typ 1 bin ich noch nicht bereit, mir ein Limit zu setzen. Auf dass jeder den Mut zeigt, seinen Traum Wirklichkeit werden zu lassen und das Leben zu leben, das er sich wünscht, mit oder ohne Diabetes. Die Reaktion der Ärzte, die ich nach dem Lauf besuchte, die mir sagten, ich schaffe es nicht, werde ich persönlich nie im Leben vergessen.

35 Kommentare zu “Helsinki, 15.08.2015, ein Tag, der mein Leben verändert hat

  1. Bilge ich bin so stolz auf dich,
    wenn es eine schafft dann du!
    Der Marathon hat uns erst richtig zusammengeschweißt!
    Du weißt, dass ich beim Bergsteigen immer für dich da bin und dich so lange auf dem Weg bis zum Everest begleite, wie es mir möglich ist. Ich freu mich auf den Kilimandscharo ❤

  2. Einmal auf dem höchten Punkt der Erde zu stehen, auf 8.848 Meter…
    Was für ein Gefühl wird das sein?
    Den Mut aufbringen, sich kein Limit setzen, die Leidenschaft einzubringen… Den Dickkopf (im positiven Sinne 🙂 zu haben sich nicht von denen bremsen zu lassen, die ihre Komportzonen nicht verlassen möchten.
    Das Vertrauen in die eigenen Stärken und in die bereits vorhanden und noch zu erlernenden Mentalen und handwerklichen Fähigkeiten zu haben….
    Ich kenne Dich noch nicht lange, aber ich glaube fest daran, dass Du diese Fähigkeiten hast oder erlernen wirst…
    Und Du wirst über allen und über allem stehen, im eigentlichen und im übertragenen Sinne… auf 8.848 Meter!
    Ich wünsche Dir von ganzem Herzen viel Erfolg!!

  3. Ich bin richtig stolz auf meine Trainingspartnerin 🙂
    Wenn du dir solche Mühe gibst und weiter trainierst wie bisher, dann wirst du das ohne Weiteres schaffen!!! Ich bin froh darüber, dich kennen gelernt zu haben und unterstütze dich bei deinen Vorbereitungen so gut ich kann!
    Bilge, du schaffst das und ich wünsche dir auf diesem Weg viel Glück und nur das Beste 🙂

  4. Liebe Bilge,
    deine Geschichte inspiriert mich sehr!
    Viel zu oft traut sich der Mensch wenig zu und lässt sich leicht entmutigen. Der eigene Glaube an sich selbst ist der wichtigste.
    Ich weiß du wirst diesen Summit erklimmen, viel Erfolg weiterhin ich wünsche alles Beste auf deinem Weg!

  5. Halte dich fern von denjenigen, die versuchen, deinen Ehrgeiz herabzusetzen. Kleingeister tun das immer, aber die wirklich Großen geben dir das Gefühl, dass auch du selbst groß werden kannst. Es gibt ja auf dem Welt keine Herausforderung, die die Menschen nicht schaffen würden. Du hast schon ein große Ziel und versuch alles zu schaffen. Man kann sein dass du nicht gewinnst aber erfahrst ja viel viel glück!

    1. [20.2., 20:49] Tamari : Halte dich fern von denjenigen, die versuchen, deinen Ehrgeiz herabzusetzen. Kleingeister tun das immer, aber die wirklich Großen geben dir das Gefühl, dass auch du selbst groß werden kannst. Es gibt auf der Welt keine Herausforderungen die der Mensch nicht schaffen würde. Du hast ein großes Ziel und versuchst alles um es zu schaffen. Es kann sein dass du nicht gewinnst aber an Erfahrung wirst du gewinnen

  6. Hey Bilge! Das ist echt cool, was du trotz deinem Diabetes alles schaffst und noch machen willst! Denn ich glaube, dass das nicht jeder machen würde. Ich glaube an dich und wünsche dir viel Glück, damit du es bis ganz nach oben schaffst! Denn: Wenn jemand zu dir sagt, das geht nicht, denke daran, es sind seine Grenzen, nicht deine!

  7. Das ist meine starke und bescheuerte schwester. Du kannst bereits jetzt mehr als stolz auf dich sein. Der everest wird bei deinem effort und fleiß nicht das letzte sein was du erreichen wirst!

  8. Hallo Bilge,
    Toll wie du die Herausforderungen trotz Krankheit angehst und schon einige davon gemeistert hast. Viel Erfolg weiterhin dabei!
    Mein Dad hat auch in frühem Alter (Anfang/Mitte 20) Altersdiabets diagnostiziert bekommen und lebt mit über 70 Jahren mittlerweile immer noch sehr gut und lange Zeit auch sportlich.
    Freue mich auf viele weitere Erfolge von dir.

    Dein Zimmernachbar

  9. I’m so proud of you in every single way! No matter what you do in life you’ll do it well and beyond that. You will do amazing things and the marathon was just a beginning for everything. I’ll always be your cheerleader and your biggest fan. I have so much faith in you. I believe in you and I love you lots. <3

  10. Da ich selbst Sportler bin, welcher gerne dort anfängt wo andere sagen: “Das schaffst du niemals!” weiß ich was man mit Disziplin und Ehrgeiz erreichen kann. Und so wie ich dich bis jetzt kennen lernen durfte bist du da ähnlich. Ich wünsche dir alles gute für dein Vorhaben und denke immer daran das Ziel nicht aus den Augen zu verlieren. Auch bei kleinen Rückschlägen.
    Würde mich freuen dich auf den ein oder anderen Berg begleiten zu dürfen.

  11. Hi
    ich ziehe den Hut vor dir und finde es überragend was du vollbracht hast.Ich denke du bist ein tolles Vorbild für alle und du hast den Ehrgeiz bewiesen das Diabetes etwas ist mit dem man zusammen leben kann.
    An den Leistungen die du schon vollbracht erkennt jeder das du eine tolle Frau bist mit einem starken Herzen und Kampfeswillen.
    Mach weiter so und bleib wieder du bist. Wie schon Grönemeyer sagen würde:
    “Außen hart aber innen ganz weich ”
    Dear
    Tomaso Laboroso

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