Kann denn Essen Sünde sein? – Wieso wir unsere Sprachgewohnheiten dringend ändern sollten

Essen: eigentlich ein Genuss! Aber manche empfinden es als Sünde, wenn sie „ungesunde“ Lebensmittel genießen. Tine findet: Das sollte nicht sein…

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Contenthinweis: In diesem Text geht es um Diätkultur, Essen, Essstörungen, Dicksein, Mobbing, Sprache Sünde – Substantiv, feminin. Der Duden sagt: „1. Übertretung eines göttlichen Gebots 2. Zustand, in dem sich jemand durch eine Sünde oder durch die Erbsünde befindet 3. Handlung der Unvernunft, die nicht zu verantworten ist; Verfehlung gegen bestehende [moralische] Normen“ Wikipedia beschreibt die Sünde als religiös konnotierten Begriff und als falsche Lebensweise, also „das Übertreten von oder Herausfallen aus der göttlichen Gesetzesordnung“. Der Begriff Sünde bezeichnet außerdem „die einzelne verwerfliche und daher sündige Tat (Verfehlung), die mit dem bösen Gedanken beginnt“. Umgangssprachlich verstehen wir unter dem Begriff Sünde eine falsche Handlung, heutzutage oft ganz ohne theologische Aussage dahinter. Modesünde, Parksünder, Jugendsünde oder eben: Essen als Sünde, Diätsünde. Was das in unseren Köpfen macht, ist uns im Alltag erstmal gar nicht bewusst.

Sprachgewohnheiten prägen uns

Sprache ist etwas Kompliziertes, aber Großartiges. Ohne Sprache würde die Blood-Sugar-Lounge nicht existieren. Musik müsste ohne Lyrics daherkommen, oder würde es ohne Sprache die Musik überhaupt geben? Unsere Sprache und Sprachmuster können bei anderen eine Wirkung erzeugen und diese auch beeinflussen, anderen Menschen eine Auskunft über unsere Deutung der Welt geben, unsere Rolle(n) in der Welt definieren, Selbstbild vermitteln und Selbstwertgefühl ausdrücken. Sprache kann aber noch viel, viel mehr. Worte und Sprachmuster programmieren uns. Sind wir aktiv oder passiv? Täter oder Opfer? Eigenverantwortlich oder immer „Schuldige suchend“? Mit Sprache kreieren wir unsere eigene Wirklichkeit und sind uns dessen oft gar nicht bewusst. Aber im Gegenzug konstruiert Sprache auch unsere Wirklichkeit, weil wir in bestimmte Sprachgesellschaften hineingeboren werden. Es ist ein aktiver Prozess, sich davon zu lösen, und kein einfacher. Wir können uns oder anderen mit Sprache massiv schaden. Es ist ein komplexes Thema und Gewohnheiten zu ändern nie leicht für uns Gewohnheitstiere. Dennoch ist es wichtig, dass wir uns mit der Wirkung der Sprache auf uns und auf andere auseinandersetzen.

Essen als Sünde – was bedeutet das?

Bezeichnen wir Essen als Sünde, banalisieren wir zunächst den Begriff der Sünde, da nun etwas Alltägliches zur Sünde geworden ist, dabei rückt die theologische Bedeutung des Wortes weiter in den Hintergrund und oft ist nicht mehr klar, was diese eigentlich ist. Das Essen wird im Gegensatz dazu mit dem Begriff der Sünde, dem Übertreten eines Gebotes also, zu etwas Negativem, Schlechtem gemacht. Wenn wir Essen mit etwas Schlechtem verbinden, kann dies möglicherweise auf lange Sicht zu Essstörungen oder Sucht führen – ein Teufelskreis, aus dem schwer auszubrechen ist. Beispiel: Diäten, in denen man am Wochenende „sündigen“ darf. In der Religion gibt es auch keinen Freifahrtschein. Zeigt eigentlich schon genug, dass der Begriff in dem Kontext benutzt eher schwierig ist. In der Form, in der wir unser Essen ausleben, ist es natürlich ein Privileg. Dennoch war es immer schon eine Notwendigkeit zum Überleben der Menschheit und das Leben per se kann keine Sünde sein.

Das Problem der Gesellschaft

Unsere Gesellschaft hat heute ein großes und sehr komplexes Problem mit Diäten, Körpern und Essen und dieses Problem ist über die Jahre tief in die Köpfe der meisten von uns eingepflanzt worden. „Dünne Körper sind besser, gesünder, schöner und generell mehr wert.“ Helfen soll am besten Disziplin, und wer keine Disziplin aufbringen kann, wird erstmal als faul und schwach und dumm angesehen. Spreche ich mit meinen Freundinnen darüber, stellen wir immer wieder fest, dass wir alle schon früh zu dick genannt wurden, weil unser BMI am oberen Ende kratzte. Beleidigungen und Mobbing an der Tagesordnung und bis heute begleiten uns diese Geschichten. Wieso sind Menschen so? Heute weiß man es zum Glück besser: Der BMI ist per se Unsinn und die Begriffe „dick“ und „gesund“ schließen sich nicht automatisch aus. In unseren Köpfen sind wir dennoch immer zu dick und nie schön genug. Die Bodypositivity-Bewegung leistet seit Jahren ganze Arbeit, diese Denke wieder aus den Köpfen der Menschen herauszubekommen. Hierbei geht es nicht um das Promoten von dicken oder bestimmten Körpern (und überhaupt: Warum ist der Begriff „dick“ negativ konnotiert? Wieder so eine Entwicklung der Sprache!), sondern darum zu sehen, dass alle Körper gleich gut und gleich viel wert sind, egal ob dick oder dünn, egal welches Geschlecht, egal woher, egal welcher Gesundheitszustand.

Nichts hängt mit nichts zusammen

Bitte versteht mich nicht falsch. Ich gebe Sprache nicht ausschließlich die Schuld an Essstörungen und unseren heutigen Essgewohnheiten. Dennoch ist es sinnvoll, sich mit Sprache im Bezug dazu auseinanderzusetzen, zu realisieren, wozu Sprache fähig ist, und sich im Alltag zu fragen, wo man vielleicht selbst mit Sprache einen Einfluss auf die eigene Einstellung nimmt oder was man damit bei anderen anrichten kann. Seht dies bitte als Impuls und fragt euch, was ihr selbst an euren Sprachgewohnheiten ändern könnt, um einen Unterschied zu machen. Es wird Zeit, dass wir etwas verändern! Wer noch mehr zu dem Thema lesen möchte, dem kann ich Magda Albrechts Buch „Fa(t)shionista“ oder den Republica-Talk von Journelle zum Thema „Das Internet hat mich dick gemacht“ empfehlen.„

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