Angst vor Folgekrankheiten – ist es irgendwann zu spät, sich zu schützen?

Lesley-Ann hatte im vergangenen Jahr einen Unfall, der sie vorübergehend in den Rollstuhl brachte. Sie erzählt, wie sie die Phrase „Glück im Unglück“ für sich interpretierte und was das alles mit Folgekrankheiten zu tun hat.

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Der 04.10.2018, ein Donnerstag, wird wohl noch lang in meinem Kopf bleiben.

Wie so oft wollte ich eigentlich schon längst im Feierabend sein und musste mich demnach beeilen, weil ich schon viel zu spät dran war. Mein Auto musste zum TÜV, ich war zum Spazierengehen verabredet und meine Wohnung wollte auch noch sauber gemacht werden. Mein Tag war geplant und wollte durchgezogen werden.

Der Unfall

Wer mich kennt, weiß, dass ich sehr oft mein Handy in der Hand habe, aber ich schwöre auf alles, was mir heilig ist, an diesem Tag, in dieser Situation war es in meiner Hosentasche. Ich kramte in meiner Handtasche nach meiner Stechkarte und sprintete dabei die Treppe runter. Vom vierten in den dritten Stock. Von dort aus in den zweiten. Und da passierte das Unglück: Ich verfehlte die letzte Stufe – wie genau, kann ich gar nicht mehr sagen – ich weiß nur, dass es zunächst nicht weh tat und ich nur ein „Mist! Wie doof kann man denn sein!?“ vor mich hinmurmelte. Ein Glas mit Eiweißpulver in meiner Tasche ging zu Bruch, das ärgerte mich mehr, als dass ich die Schmerzen wahrnahm. Naja, und wie schon gesagt: Der Tag war geplant und wollte durchgezogen werden. Also lief ich zum Auto, fuhr zum TÜV, ging spazieren und machte meine Wohnung sauber.

Mehr Entsetzen als Schmerzen

Zugegebenermaßen, die Schmerzen kamen so langsam. Es fühlte sich wie eine Prellung oder Stauchung an. Als ich am Abend aber meinen Schuh auszog, „platzte“ mein rechter Fuß förmlich aus allen Nähten. Nach langem Hin und Her bin ich letztendlich mit einer Freundin in die Unfallchirurgie in die Uniklinik gefahren und habe das Ganze abchecken lassen. Fazit: Bruch des Sprunggelenks, innen und außen. Im ersten Moment musste ich so laut lachen, weil ich der festen Überzeugung war, dass die Ärztin Späße macht. „Nein, im Ernst, das Sprunggelenk ist zweifach gebrochen und am Wadenbein sehe ich auch einen kleinen Bruch.“ – Die Worte der Ärztin trieben mir die Tränen in die Augen. Das Ausmaß des Ganzen war mir nicht bewusst. Mir liefen die Tränen und das wollte so schnell auch nicht aufhören. Nicht vor Schmerzen, sondern vor Entsetzen. Meine Freundin wich mir nicht von meiner Seite, tröstete mich, wärmte mich und war „einfach“ da.

Mit Gips und Krücken habe ich dann am selben Abend noch die Klinik verlassen. Die Brüche mussten operiert werden, aber ich wollte mir am darauffolgenden Tag noch eine zweite Meinung einholen. Aber auch der zweite Arzt sah auf dem Röntgenbild eindeutig zwei Brüche, die operiert werden sollten. Schrauben, Platten, Krücken, Physiotherapie… ich wollte das alles gar nicht hören.

Dann kam der Rollstuhl

Am 15.10. wurde ich dann operiert. Aber nicht „nur“ am rechten Fuß, nein, mein linker Fuß hatte auch einen Schlag abbekommen, hier war es der große Zeh, der ebenfalls eine Operation nötig hatte. Ihr könnt euch vielleicht vorstellen, was es bedeutet, wenn beide Füße in einem Eingriff operiert werden müssen. Richtig, ich durfte das Krankenhaus zwar schon nach fünf Tagen verlassen, musste mich allerdings damit abfinden, im Rollstuhl zu sitzen.

Quelle: Lesley-Ann Weitzel

Ich weiß unsere Medizin und all die Eingriffe, die inzwischen möglich sind, wirklich zu schätzen. Die Operation verlief ohne großartige Komplikationen, ich habe kaum Schmerzmittel benötigt und glücklicherweise auch relativ schnell eine geeignete Physiotherapie gefunden. Ich kann mich auch unendlich glücklich und dankbar schätzen, so viel Unterstützung von meinen Freunden und meiner Familie bekommen zu haben. Meine Freundin, die mich am Unfalltag ins Krankenhaus gebracht hat, ist sogar mit mir und meinem Rollstuhl auf die lang ersehnte Stoffmesse nach Frankfurt gefahren. In so einer Situation weiß man seine Mitmenschen wirklich nochmal mehr zu schätzen!

Die große Angst

Was aber haben der Unfall und die damit verbundenen Umstände mit meiner Angst vor Folgeerkrankungen durch den Diabetes zu tun?

Ich saß nun vier Wochen im Rollstuhl – Gott sei Dank lebe ich in einer Erdgeschosswohnung! Zwar waren meine Füße noch „da“, aber eben nicht mehr funktionsfähig. Mir war und ist bewusst, dass dieser Zustand nur ein Zustand auf Zeit war, aber in dieser Zeit wurde mir eins wieder einmal enorm bewusst: Du musst auf deine Blutzuckerwerte achten. Du musst. Du möchtest noch einige Jahre leben, auf deinen Füßen laufen, rennen, tanzen, die Welt erkunden, deinen Neffen und irgendwann deinen eigenen Kindern hinterherlaufen. Auf diesen Füßen möchtest du irgendwann zum Altar schreiten und den Mann an deiner Seite heiraten.

Mir wurde auch klar, dass es da eben auch noch andere Organe gibt, die in Mitleidenschaft gezogen werden, wenn ich nicht aufpasse. Meine Niere – und ich habe nur noch diese eine – könnte den Geist aufgeben und ich müsste womöglich an die Dialyse. Meine Augen könnten Schäden davontragen und ich könnte gegebenenfalls nichts mehr sehen. Aber genau das ist doch so wertvoll! Meine Liebsten sehen, tolle Filme schauen, lesen, kochen, backen, nähen… all das möchte ich doch mit meinen eigenen Augen sehen!

Engelchen gegen Teufelchen

Ich bekam bei diesen Gedanken immer mehr Angst. Vor allem davor, dass es schon zu spät sein könnte. „Durch die Diabulimie hast du schon viel kaputt gemacht“, dachte ich oft. Da kommen doch sowieso Folgeerkrankungen. Wozu jetzt noch aufpassen…

Es war ein bisschen wie das klassische „Engelchen-Teufelchen-Spiel“. Einerseits war ich durch den Zustand im Rollstuhl motiviert, andererseits hatte ich Angst, dass eh schon alles zu spät sein könnte.

Aus diesem Spiel komme ich vermutlich nie ganz raus. Es gibt so Tage, da denke ich mir: Es ist doch eh alles umsonst, egal wie sehr ich mich bemühe, die Zeit, in der ich mich eben nicht bemüht habe, ist so lang gewesen, da bringt es jetzt nichts mehr, aufzupassen und Disziplin zu zeigen. Aber (!!!) an den meisten Tagen denke ich mir: Jeder Tag, an dem du aufpasst, an dem du dir zumindest Mühe gibst und alles nach bestem Wissen und Gewissen managst, ist ein gewonnener Tag!

Quelle: Lesley-Ann Weitzel

Die #DiaChance erkannt

Meine Oma hat immer gesagt: Nichts ist so schlimm, dass es nicht für irgendwas gut ist.

Danke, Oma, du hast so recht! Egal wie anstrengend, nervenaufreibend und ätzend dieser Unfall und die damit verbundenen Brüche waren, ich wurde mal wieder aufgerüttelt, auf meine Blutzuckerwerte zu achten.

Also warum nicht einfach das „Gute“ in dem Sturz sehen? Frei nach dem Motto: lieber lächelnd im Rollstuhl und ’ne Lektion bekommen als weinend und den Kopf in den Sand stecken.

„Ärger dich nie länger als fünf Minuten über etwas, das dir in fünf Jahren egal ist.“  Zitat von @kimspiriert

2 Kommentare zu “Angst vor Folgekrankheiten – ist es irgendwann zu spät, sich zu schützen?

  1. Ich kann mich noch gut daran erinnern, daß ich tierisch Angst hatte, eines Tages blind zu sein oder an der Dialyse zu hängen. Da war ich 16 und hatte schon 15 Jahre Diabetes auf dem Buckel. Und ich kannte die tollen Statistiken, daß nach 25 Jahren Diabetesdauer 95% der Leute Augenhintergrundsveränderungen haben – nach meiner Lesart also auf dem besten Weg zur Erblindung waren. Und ich wäre dann ja gerade erst 26 und bestenfalls mit dem Studium fertig… Dann habe ich mir vorgenommen, daß ich die 25 Jahre ohne Folgeschäden schaffe! Zehn Jahre später hatte ich dieses Ziel tatsächlich erreicht! Dann allerdings stürzte ich böse ab – jetzt würden sie kommen… Nach 30 Jahren Diabetesdauer hatte ich dann wirklich Augenhintergrundsveränderungen, aber mir ging es aus anderen Gründen so schlecht, daß es mir ziemlich egal war. Allerdings schaffte ich es, den Diabetes wieder etwas besser in den Griff zu bekommen. Folge: nach 40 Jahren Diabetes war mein Augenhintergrund wieder völlig in Ordnung, und in den letzten 16 Jahren ist weder an den Augen noch an den Nieren, Nerven oder Füßen irgendeine Veränderungen aufgetreten! Mein Augenarzt glaubt mir nicht, daß ich tatsächlich 10 Jahre lang Mikroaneurysmen hatte. Es gibt auch einfach keine Statistiken mehr 😉 Und ich sage mir, wenn ich meinen Diabetes weiterhin so gut im Griff habe wie in den letzten Jahren, werde ich auch keine Folgeschäden bekommen! Wobei “gut im Griff haben” nicht bedeutet, daß immer alles perfekt läuft – im Gegenteil! Fast(!) perfekte Tage habe ich vielleicht einen pro Jahr. Und es gibt Tage, da sage ich mir nur: Sieh zu, daß der BZ nicht komplett aus dem Ruder läuft – morgen bekommst Du es wieder besser in den Griff. Meine Hochzeit war auch so ein Tag: vormittags beim Fotografieren nur Unterzuckerungen – und nachmittags kam ich trotz aller Korrekturen nicht unter 250 mg/dl (13,9 mmol/l)… Und da half es mir wirklich zu sagen, morgen läuft es wieder besser! Was auch stimmte – schließlich war ich am nächsten Tag wesentlich entspannter 🙂

  2. Manchmal ist weniger mehr! Über 2 Jahre bis Oktober 2018 ging es mir sehr schlecht mit meinem Diabetes. Meine Diabestesärzte, eine aus der Schwerpunktpraxis, wollten mir weiß machen, dass das nicht mit meinen Diabetes-Medikamenten zu tun hat! Es auf mein Verlangen nach Einweisung ins Krankenhaus wurde mir bestätigt, dass ich viel zu viele Diabetesmedikamente nehme. Zwei nacht- und ein Tag-Insulin und das Glimepirid wurden weggelassen und meine Werte und mein Wohlbefinden wurden wieder besser. Mit nur Metformin wurden bereits gute Werte erreicht und soll Glibenclamid noch dazunehmen, aber die Werte werden nicht weiter besser; eher schlechter. Viel hilft nun mal nicht viel!!!

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