Ehrgeiz contra Gelassenheit

Felicitas ist ziemlich ehrgeizig. Auch hinsichtlich ihrer Therapieziele. Sie beschreibt, wie sie sich auf den Weg gemacht hat, mehr Gelassenheit im Umgang mit ihrem Diabetes und den eigenen Therapiezielen zu finden.

Weiterlesen...

Disclaimer:
Ich nutze derzeit das „AndroidAPS“ Closed-Loop-System (kurz: Loop). Dieses betreibe ich auf eigenes Risiko und kann es keinesfalls empfehlen. Meine Ausführungen sind keinesfalls als Therapieempfehlung zu verstehen und sollten nicht nachgemacht werden. Sie geben lediglich das Ergebnis meiner Selbstversuche wieder. Die benutzten Geräte wurden nicht durch manuelle Eingriffe in ihrer ursprünglichen Funktionsweise verändert.

Ehrgeiz und Gelassenheit sind Eigenschaften, die sich deutlich widersprechen.

Ehrgeiz

Ich interessiere mich für neue Dinge, egal in welchem Bereich, und ich bin ehrgeizig.

Beide Eigenschaften treiben mich immer wieder an, zu versuchen, meine Diabetestherapie noch weiter zu verbessern. So habe ich mir im vergangenen Jahr einen DIY-Loop „gebastelt“.

Angefangen hat alles mit den regelmäßigen Kontakten in einer Diabetes-Community. Ich verfolge Anfang 2016 fasziniert, wie etliche Personen aus dieser Community ihren ersten DIY-Loop in Betrieb nehmen. Fast täglich werden Bilder der Verlaufskurven der Gewebszuckerwerte in der Community gepostet. Das Gleiche passiert mit den HbA1c-Werten. Voller Übermut wird ein sogenannter „Club 5“ ins Leben gerufen. Mitglieder haben ein HbA1c mit einer Fünf vor dem Komma.

Quelle: Felicitas Bartsch

Bei den HbA1c-Werten kann ich mithalten, die Verlaufskurven des Gewebezuckers lassen überwiegend zu wünschen übrig. Aber dieses „Höher, Weiter, Besser“ fordert mich heraus und spornt mich an.

Ich erreiche mein Ziel, im Januar 2018 geht mein DIY-Loop an den Start. Und natürlich verfolge ich weiter ehrgeizige Ziele. Ich möchte mit dem Loop meinen Diabetes noch besser in den Griff bekommen. Konkret möchte ich möglichst flache Zuckerverläufe, das heißt eine niedrige Standardabweichung.

Was relativ schnell gut gelingt, sind Nächte ohne zu niedrige Werte. Die Zuckerverläufe am Tag sind nicht so, wie ich sie gerne hätte. Also tüftele ich weiter an den Parametern, die der Loop mir jetzt bietet. Aber die ausgeprägte Oszillation der Werte bleibt.

Mahnung

Anhaltender Stress im privaten und beruflichen Bereich wirken negativ auf meinen Diabetes. Deswegen bin ich im März 2018 10 Tage stationär in einer Diabetesfachklink.

Der dortige Diabetologe mahnt mich eindringlich, meine eigenen Ansprüche an die Therapieziele (insbesondere HbA1c-Wert, Definition des Zielbereichs, Zeit im Zielbereich) runterzuschrauben. Ich soll mir wirklich ernsthaft Gedanken machen, ob ich mich 24 Stunden intensiv mit dem Diabetes beschäftigen will, um optimale Ergebnisse zu haben, nämlich HbA1c deutlich unter 6,0%, Zielbereich zwischen 70 (3,9 mmol/l) und 160 mg/dl (8,9 mmol/l) und Zielblutzucker von 100 (5,6 mmol/l). Ob ich sozusagen Berufsdiabetiker sein will. Oder ob ich mit weniger Aufwand gute Ergebnisse erzielen möchte.

Denn konstant HbA1c-Werte unter 6,5% zu haben, sei völlig in Ordnung und ausreichend, um Spätschäden zu verhindern.

Ansporn

Die Botschaft habe ich wohl verstanden. Aber noch ziehe ich keine Konsequenzen. Ich bin weiterhin im „Ehrgeiz-Modus“. Dieser wird auch von Personen aus meinem Umfeld weiter befeuert. Also versuche ich mich weiter in einer Optimierung meiner Diabeteseinstellung.

Und es gibt ja auch eine Sache, die ich selbst mit Loop nicht so richtig in den Griff bekomme, egal was ich probiere: die postprandialen Werte am Morgen.

Das ganze ehrgeizige Rumprobieren artet in ein Verschlimmbessern aus. Die ganzen Optimierungsversuche münden in richtigem Stress. Selbstgemachter Stress, wohlgemerkt.

Einsicht

Ein sechswöchiger Reha-Aufenthalt im Herbst 2018 zwingt mich dann doch dazu, mich mit dem Runterschrauben der eigenen Ansprüche zu beschäftigen. In dieser Reha stehen täglich mehrere Sporteinheiten auf dem Programm. Ich habe keinerlei Interesse, wegen Hypoglykämien aufzufallen. Ich finde für diese Zeit eine gute Lösung, seht selbst:

Quelle: Felicitas Bartsch

Vernunft

Lange Diskussionen mit meinem #DiaFriend zeigen im Dezember 2018 endlich Wirkung. Ihr ahnt gar nicht, wie dankbar ich bin, dass er nicht die Geduld verloren hat!

Am 2. Advent verspreche ich, nicht mehr so streng mit mir selbst zu sein. Ich will nicht jeden Tag mein Hauptaugenmerk auf Werte und Trends richten.

Dazu gehört, während des gesamten Dezembers meinen Zielblutzucker auf 120 mg/dl (6,7 mmol/l) festzusetzen und den Zielbereich auf 70 – 180 mg/dl (3,9 -10,0 mmol/l). Und viel wichtiger, ich verspreche, Werte über 180 mg/dl (10,0 mmol/l) zuzulassen und nicht sofort korrigierend einzugreifen.

Zum Jahreswechsel ziehen wir Bilanz.

Ich habe mehr Lockerheit im Umgang mit meinem Diabetes gefunden. Kleine Korrekturen sind noch notwendig: Meinen Zielwert in der Nacht senke ich ein bisschen ab auf 110 mg/dl (6,1 mmol/l). Und einen Parameter meines Loops entschärfe ich.

Gelassenheit

Der Weg mag steinig klingen. Auf meine Art und Weise habe ich aber endlich erkannt: Mein Diabetes ist mein Diabetes. Er ist anders als der anderer Typ-1-Diabetiker. Er hat seine eigenen Besonderheiten, die mich mit Sicherheit weiterhin auf eine Geduldsprobe stellen werden. Und flachere Zuckerverläufe kann ich erreichen, indem ich mich auf weniger ehrgeizige Zielwerte einlasse.

Jetzt bin ich endlich bereit, dies so zu akzeptieren.

Quelle: Felicitas Bartsch

Mit all der technischen Unterstützung, die mir zur Verfügung steht, soll der Diabetes mit mir leben und nicht ich für ihn!


Auch Carsten kennt den Alltag mit Diabetes – ein Leben zwischen Kontrolle, Genauigkeit und Disziplin!

8 Kommentare zu “Ehrgeiz contra Gelassenheit

  1. Ein toller Beitrag, danke dafür! Ich neige leider immer zu Extremen. Es gibt Phasen, in denen ich meinen Diabetes fast vollständig ignoriere und mir meine Werte ganz egal sind und dann gibt es wieder Phasen, in denen ich alles perfektionieren möchte und nur ein “blöder” Wert reicht, um eine Krise auszulösen. Ich muss auch dringen versuchen da die Waage zu finden und nicht immer in allem so verbissen zu sein.

    1. Liebe Felicitas,
      Darüber hatten wir ja Freitags kurz gesprochen. Ich finde es cool, wie du dein Diabetes jetzt managt und DEINEN Weg gefunden hast. Jeder geht damit anders um und du machst alles richtig! 🙂

  2. Grossartig, liebe Feli, wie du uns mitnimmst auf deine “Reise”. Manche Dinge muss man dooferweise selbst durchleben, gepredigte Gelassenheit ist längst nicht so attraktiv wie wenn man selbst das Bedürfnis für sich entwickelt. Ich freu mich riesig mit dir an der neugewonnenen Gelassenheit.

  3. Liebe Felicitas,
    so strenge Ziele hatte ich noch nicht. Ich bin mit dem Ziel unter 7 zu kommen ganz zufrieden, bin auch schon seit 1974 dabei.
    Demnächst will ich mal auf die minimed-pumpe wechseln, die sich mit ihrem Sensor “unterhalten” kann. Mit 16 Jahren habe ich mich damals notgedrungen immer an der Hypogrenze orientiert, Blutzuckermessen war ja noch nicht für Patienten da.
    Das tierische Insulin hat dabei wohl geholfen; heute spüre ich Hypos nicht, ich stelle die Warnhinweise bei freestyle2 tagsüber auf 100. Besonders beim Autofahren ist das hilfreich, bei 80 könnte der BZ ja schon auch bei 60 sein(Messgenauigkeit).
    Es lebe die Technik, sie hilft beim angstfreien Leben doch sehr.
    LG Hermann

Schreibe einen Kommentar