Interessierst Du Dich für mich? Dann interessiere Dich für Diabetes! (Teil 1)

Vivi genoss ihr Leben mit Anfang 20 in vollen Zügen. Das änderte sich nach ihrer Diabetes-Diagnose schlagartig. Sie erzählt, was es ihr so schwer gemacht hat, die Krankheit anzunehmen.

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Ich erinnere mich noch gut an den Moment meiner Diagnose. Ich war 22 Jahre jung – kein Kind mehr, aber wirklich erwachsen war ich rückblickend auch noch nicht. Ich stand in den Startlöchern meines Lebens und genoss neben meiner Pilotenausbildung ausreichend Partys, Konzerte, Sportturniere, Auslandsaufenthalte und eine Liebschaft nach der anderen. Selbst kochen oder auf eine „Balance“ im Leben achten waren damals Dinge, die ich mir für meine 30er aufheben wollte.

Das Ende der Sorglosigkeit

Plötzlich und völlig unerwartet wurde ich zu einer Typ-1-Diabetikerin. Meinen Traumberuf musste ich niederlegen, bevor er richtig begann, und kurz nach der „Honeymoon-Phase“ spürte ich zudem, dass mein exzessiver Lebensstil nicht mehr so leicht zu bewältigen war. Für alles musste ich mich auf einmal vorbereiten und immer Medizin und „Hypo-Helfer“ dabeihaben. Nach einer Weile blieben meine „Clutches“ im Schrank, weil ich den Platz eines Rucksacks brauchte, Hamburger blieben beim „Mäcces“, Zigaretten brav im Automaten und High-Heels tauschten ihren Rang maßgeblich mit Turnschuhen. All das machte mir gerade zu Beginn der Erkrankung absolut keinen Spaß. Im Gegenteil: Ich war gefrustet! Der Frust kannte aber noch multiple Steigerungen, sobald ich spürte, wie subtil mein Umfeld mit mir und meinem Diabetes umging.

Das (Selbst-)Mitleid der anderen

Für meinen Vater war meine Erkrankung absolut unverständlich. Es gab keinen Diabetes in unserer Familie und daher war es für ihn logisch anzunehmen, dass ich den Ausbruch der Krankheit irgendwie selbst verschuldet hatte. Es wäre toll gewesen, hätte er sich besser informiert. Doch sogar das Abklappern verschiedenster Ärzte brachte ihm keine Einsicht. Statt mit mir zu reden – oder mit irgendeinem anderen –, zog sich mein Vater zurück, schwieg und grämte sich über das berufliche Scheitern seiner Tochter als vermeintliche Pilotin.
Quelle: Sharon McCutcheon on Unsplash
Meine Mutter hörte irgendwann einmal, dass man Typ-1-Diabetes bekommen könne, wenn man sich falsch ernährt. So gab sie sich die Schuld, weil sie davon ausging, mich jahrelang verkehrt ernährt zu haben. Sie versank im Selbstmitleid, weil sie mich nicht davor hatte bewahren können. Sie wollte Beistand und Absolution in einer Situation, in der ich sie am dringendsten gebraucht hätte. Auch hier wären Recherchen und der Besuch bei einem Arzt zur Beratung und Aufklärung ratsam gewesen.

Reaktionen meines Umfelds

Freunden tat ich im ersten Moment nur leid. Bei Partys wurden mir Gemüse-Sticks mit Wasser gereicht und die Gespräche kreisten unangenehm um meinen Diabetes. Ich wurde mit vielen heuchlerischen Fragen konfrontiert. Heute denke ich, dass es die Leute gar nicht wirklich interessiert hat, wie es mir im Umgang mit meinem Diabetes erging. Sie wollten mir einfach die Möglichkeit offerieren, meinen Kummer von der Seele zu plaudern. Darüber hinaus wurde „abgecheckt“, ob ich noch die „Alte“ war und wie man mit mir nun umgehen könnte. Meine Liaisons waren unbeeindruckt, solange sie von meinem Diabetes nichts merkten. Doch spätestens bei der ersten Unterzuckerung in Unterwäsche war der Reiz weg, die Beklemmung groß und die Flucht schnell. Arbeitgeber wollten ebenfalls nichts von mir und meinem Diabetes wissen. Sind Sie gut eingestellt? Wissen Sie damit in jeder Situation umzugehen? Ja – dann ist das für uns kein Thema. Stimmt! Solange man nicht häufig ausfällt oder in Kundenterminen das Zittern beginnt, interessiert es wirklich niemanden. Schließlich hat man den Job, um Leistung zu erbringen.

Diabetes, mein „ziemlich bester Freund“

Ich war lange zornig und verfluchte meinen Diabetes. Ich fühlte mich alleingelassen mit der Krankheit. Gerne hätte ich ihn abgestreift wie ein altes Paar Schuhe, doch je mehr ich die Krankheit ignorierte, desto bewusster wurde mir, dass ich ab nun einen siamesischen Zwilling hatte. Der Diabetes sollte mich wohl nie „im Stich“ lassen. Klingt zunächst nervig, von einem anderen Blickwinkel klingt es aber auch wie ein „ziemlich bester Freund“. Geht es meinem Diabetes gut, geht es mir gut – so wie umgekehrt. Da sich die Freundschaftswahl in diesem Bezug erübrigt hatte, beschloss ich, das Beste daraus zu machen. Heute – über 15 Jahre nach meiner Diagnose – stelle ich mir vor, was mir damals als frisch erkrankte Diabetikerin eine Erleichterung und Aufmunterung gewesen wäre. Welcher Umgang hätte mir nach der Diagnose geholfen? Mich aufgefangen und angetrieben? Meine Tipps für den Umgang mit frischdiagnostizierten Typ-1-Diabetikern findet ihr in Teil 2 von „Interessierst Du Dich für mich? Dann interessiere Dich für Diabetes!“
Auch Caro hat erzählt, wie ihre Mitmenschen mit ihrer frischdiagnostizierten Erkrankung umgingen: Diagnose Diabetes und wie das Umfeld reagiert

2 Kommentare zu “Interessierst Du Dich für mich? Dann interessiere Dich für Diabetes! (Teil 1)

  1. Egal welche Krankheit, sie fordert den Betroffenen. Gesundheit ade, Krankheit olee ! Man ist jedoch heute immer besser in der Lage mit seiner Erkrankung zu Leben, als Jahrzehnte zuvor. Nur man muß sich dem stellen und somit seine Situation dementsprechend “behandelt”. Dies erfordert einen starken Willen, Zeit und Geduld und Verständnis für so manch Unverständliches.

  2. Hallo Vivi, auch für deine Eltern war die Diagnose, der absolute Schock!
    Das was sie dir so wünschten, war plötzlich in Frage gestellt.
    Auch in meiner Familie (habe nachgeforscht) hat es Diabetes nie gegeben.
    Warum fange ich also damit plötzlich an?
    Auf diese Frage bekomme auch ich nie die richtige Antwort.
    Jetzt bekomme ich, immer öfter Befürchtungen, wenn es um meine Kinder und Enkel geht.

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