Wird der Diabetes egaler?

Nach sechs Jahren mit Typ-1-Diabetes fragt Tine sich: Wird Diabetes einem irgendwann ein bisschen egaler? Wie machen das die Leute, die seit Jahrzehnten Diabetes an ihrer Seite haben? Wird er irgendwann weniger Raum im Kopf einnehmen und was müsste dafür passieren?

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Manchmal vergesse ich im Alltag für einen ganz schnellen Moment, dass ich Diabetes habe. Dann läuft einfach alles für einige Zeit mehr oder weniger automatisch und das ist auch vollkommen okay so. Es fühlt sich dann an wie ein kurzes Schulterzucken: ganz beiläufig, nicht weiter wichtig, kaum sichtbar, aber halt da.

Quelle: Martina Trommer

Alles verändert sich irgendwie, oder?

So funktioniert es leider nicht immer. Diese Autopilot-Momente sind begrenzt, denn ich muss im Alltag mit Diabetes eigentlich immer damit arbeiten. Viele von euch werden mir da zustimmen können: Der Diabetes schläft nie.

Seit 2013 besteht permanent meine Beziehung zum und mit dem Diabetes: Sie hat sich aber über die letzten Jahre verändert und wird sich in Zukunft noch verändern. Klar, mit meinen sechs Jahren Diabetes bin ich in der Community beinahe immer noch ein Küken. Dennoch hat sich allein in diesen Jahren schon einiges bei mir getan, so dass ich wirklich gespannt in die Zukunft blicke. Vielleicht ist das Schreiben darüber auch mit Schuld daran, weil es mir so möglich war, das Leben mit Diabetes von Anfang an anders zu betrachten und viel zu reflektieren.

Raum im Kopf

Diabetes ist ein fester Teil meines Lebens, meines Alltages. Die meiste Zeit, die für den Diabetes draufgeht, denke ich sehr bewusst darüber nach und handle auch bewusst. Ich frage mich trotzdem oder genau deswegen oft: Wird Diabetes einem irgendwann ein bisschen egaler? Ich brauche meinen Headspace wieder! Wie machen das die Leute, die 10, 20, 30 oder 40 Jahre Diabetes an ihrer Seite haben? Wird er irgendwann weniger Raum in meinem Kopf einnehmen, vielleicht ganz in den Hintergrund rücken und sich dann immer nur wie ein kurzes Schulterzucken anfühlen: beiläufig, kaum sichtbar, halt da, aber einfach nicht weiter wichtig?

Es braucht dafür noch einiges…

Wie ihr sicher schon merkt, habe ich sehr viel darüber nachgedacht. Manche von uns wollen vielleicht nichts mehr als „den Mist“ einfach abgeben, nie wieder darüber nachdenken. Andere möchten das wiederum nicht. Ich glaube, dass das wie mit allem eine sehr individuelle Sache ist und dass die Diabetestherapie dafür noch einiges mehr hergeben müsste.

Was bedeutet eigentlich „egaler“? Vielleicht kriegen einige von euch das schneller hin, aber in meinem Fall meine ich damit, dass der Headspace, den der Diabetes bei mir aktuell einnimmt, weniger wird. Dass ich, wie oben beschrieben, weniger bewusst darüber nachdenken muss und die meiste Zeit total automatisiert handeln kann. Möglicherweise würde es sogar bedeuten, dass für mich gehandelt wird, ohne mein Zutun. Dafür müsste es aber erst noch mehr entsprechende Technik geben, die mich unterstützt und mir das Denken hier und da abnehmen kann.

Will ich überhaupt das Steuer abgeben?

Das ist natürlich eine gute Frage zum Ende: Möchte ich überhaupt das Steuer abgeben, von der Kontrolle ablassen? Kann ich das? Ich glaube, das ist im Bereich des Diabetes extrem schwer zu sagen, denn wenn ich ehrlich bin, möchte ich die Kontrolle eigentlich behalten. Die Zügel sollen sich weiterhin in meinen Händen befinden. Lieber so. Mein Körper, meine Entscheidungen. Aber den Alltag mit Diabetes leichter machen, im Kopf wieder etwas mehr Raum für andere Sachen haben und sich ein bisschen mehr Urlaub vom Diabetes erlauben dürfen, das wäre schon echt toll manchmal. So tun, als wäre der Diabetes mir (fast) egal. Irgendwann vielleicht.


Felicitas gehört zu den Menschen, die schon „ewig“ Typ-1-Diabetes haben. Ist ihr der Diabetes egaler geworden? Ihre Antwort findet ihr im Beitrag Ehrgeiz contra Gelassenheit“

7 Kommentare zu “Wird der Diabetes egaler?

  1. Hi Tine 🙂

    Den Gedanken “Wie machen das die Leute, die schon seit 10+ Jahren mit dem Diabetes leben?” habe ich auch öfter. Für mich war es anfangs noch wie ein Traum, aus dem ich hoffentlich bald aufwache und jetzt ist der Diabetes schon ein Teil von mir, den man sich gar nicht mehr wegdenken kann.

    Ich denke, ganz “egal” darf einem der Diabetes nicht werden – dafür kann es einfach viel zu gefährlich enden! Aber man sollte auch nicht zu streng mit sich selbst sein und ein bisschen Gelassenheit in das tägliche Leben mit einbauen 🙂

    Liebe Grüße
    Nathalie

    1. Ein bisschen so wie mit Kindern… Anfangs bringen Sie dich um den Schlaf und auch nach 26 Jahren sorgt man sich um sie. Davon abgesehen dass Kinder ein wunderbares Geschenk sind, kommt mir mein 20 jähriger Diabetes so vor. Zwar weiß ich, was es bedeutet mit einem 330er Wert aufzuwachen oder von der Frau aus der Unterzuckerung erweckt zu werden, aber das nervige ist eigentlich die ständige Prüferei: wie viel Insulin ist noch in der Pumpe, wann willst du Sport machen, wann musst du dann vorher gebolust haben, sind noch genug Libres im Haus, wo ist die Cola im Auto, und ist die noch voll? Warum knickt der Katheter um… Ja ich kann euch noch stundenlang damit langweilen. Und: das nervt. Auch noch in 20 Jahren wird vieles einfacher sein, aber ich glaube nicht mehr frei zu sein von der zusätzlichen Verantwortung, die mich täglich belastet ist das größte Problem. Und da bin ich wieder bei meinen Kids, deren Verantwortung kann ich jedoch viel viel besser und lieber ertragen.

  2. Hallo Tine. Ich bin männlich und 66 Jahre alt. Ich habe seit 1976 Diabetes Typ 1. Am Anfang meiner Diabeteskarriere ging es mir genauso. Ich wollte es nicht akzeptieren, aber habe schnell gemerkt dass das nicht funktioniert. Hab mich damit abgefunden und mich damit beschäftigt. Hab schnell herausgefunden dass dies der einzige Weg ist. Heute läuft alles automatisch ab. Seit 20 Jahren trage ich eine Insulinpumpe die meldet sich wenn etwas nicht stimmt. Wenn der Blutzucker zu hoch oder zu niedrig ist gibt’s Alarm Tag und Nacht. Nervt manchmal tierisch, aber ist auch o. k. so. Du beherrscht den Diabetes noch der dich. Kopf hoch es gibt schlimmeres.

  3. Egal kann einem der Typ-1-Diabetes leider nicht werden. Natürlich verändert sich das Gefühl, je älter man wird. Ich habe in diesem Sommer mein 51. Jahr mit dem Diabetes. Und er regt mich leider immer noch auf, manchmal mehr und manchmal auch weniger, so wie vieles in so einem langen Diabetikerleben. Ich bin jetzt 77 Jahr alt und hätte dies vor 51 Jahren, als ich mit 26 die Diagnose Typ-1-Diabetes bekam, nicht für möglich gehalten mit dem Diabetes so alt zu werden. Es gab ja damals noch keine täglichen Blutzuckermessen etc. Ich spritzte damals morgens mein tierisches Komb-Insulin und es ging mir anfangs in den ersten Jahren natürlich viel besser, als die Zeit – es waren nur wenige Monate – vor der Diabetesdiagnose. Natürlich war es ein grosses Handicap täglich veränderte Essgewohnheiten durchzuhalten – alles abzuwiegen – immer noch mal eine Runde gehen usw. usw. Alle 2 – 3 Monate zum Arzt zum Bluttest – war er gut -war er und ich zufrieden – war er schlecht – bekam man wieder ein ungutes Gefühl. Im Laufe der Jahre erfolgte dann das 2 malige und 3 malige Spritzen von Insulin und Ende der 1980er Jahre auch das eigene Messen des Blutzuckers. Man war schon beschäftigt – im Krankenhaus war ich wegen dem Diabetes aber insgesamt nur ca. 4 Mal – mit wechselnden Ergbenissen und Eindrücken. Die beste Einstellung erhielt ich Anfang der neunziger Jahre in der Diabetes-Klinik Bad Mergentheim. Aber man ist trotz aller Routine doch täglich und stündlich mit den jetzt mindestens 5 – 7 mal gemessenen Werten und Insulingaben beschäftigt und ist zufrieden oder ärgert sich. Seit 1 Jahr ist bei mir leider ein diab. Makulaödem am linken Auge dazugekommen, mit dem ich überhaupt nicht gerechnet hatte – nach den vielen Jahren. Aber es bekommen ja auch viele Nichtdiabetiker Makulaödeme an den Augen. Das hat mich jetzt doch sehr gebeutelt, zumal die augenärztichen Maßnahmen (Spritzen und auch spez. Operationen) bisher keine Verbesserungen gebracht haben. Da ist der Alltag doch auf einmal sehr verändert und führt auch zu depressiven Verstimmungen. Andererseits gibt es aber doch so viele Menschen in meinem Alter, denen es insgesamt viel schlechter geht, da wollte ich nicht tauschen trotz Diabetes. Man kann damit alt werden – aber ist andererseits auch lebenslänglich und täglich beschäftigt. Aber das Beschäftigen ist halt leider notwendig. Aber es lohnt sich – es gibt schlimmere Schicksale.

  4. Vor fast 40 Jahren bekam ich die Diagnose von meinem Hausarzt nach einem nicht mehr messbaren BZ Wert. Ich war eine junge Frau mit 3 kleinen Kindern, einem Alkohol kranken Mann und seiner psychisch kranken Schwester im Haus. Dieser Arzt riet mir, meine Dinge zu ordnen und in eine Klinik zur Einstellung zu gehen, ich wäre totkrank. Ich war abgemagert auf 45 kg , meine Haare dünn, meinen Fingernägel wuchsen nicht mehr. Die Einstellung im Krankenhaus war kurz ohne nennenswerte Schulung, einmal täglich Insulin und die Prognose in 15 Jahren blind und vielleicht tot zu sein. ich war einigermaßen geschockt, hatte aber damals schon das unbestimmte Gefühl von”wir schaffen das”. Die Unterstützung meines Hausarztes, eine alter erfahrener emphatischer Mann, Gott hab ihn selig, hatte ich. Er meinte:” lesen Sie, lernen Sie, es gibt Literatur, es gibt einen Verein, es gibt andere Menschen die das auch haben, es wird viel entwickelt, informieren Sie sich, von mir bekommen Sie alles, was Sie brauchen” Die Krankenkasse sagte das auch. Ich suchte mir eine SHG, da wurde über Wirksamkeit von Insulinen diskutiert ,experimentiert, Neues vorgestellt und ausprobiert, es wurde auch gelacht und gefeiert, zugehört und zugesprochen, gemeinsam in Skiurlaub gefahren, gemeinsam Theater gepielt. Ich habe sooo viel gelernt in der Zeit, habe so viele nette Leute kennengelernt und Freunde für s Leben gefunden. Seitdem sind viele Jahre so gelaufen wie von Euch schon beschrieben, nervig die ständige Kontrolle, kein Urlaub und kein Abschalten von Diabetes, aber irgendwie beschäftigt es mich nur noch nebenher, routiniert, erfahren. Ich habe Jahrelang bei einem Insulinpumpenhersteller gearbeitet, habe Patienten und Angehörige, Ärzte, Apotheker , Krankenkassen, Pflegepersonal über den Sinn und Gebrauch von Insulinpumpen aufgeklärt und mir im Zuge dessen viele Wichtigen Informationen geholt. Meine Umwelt ist aufgeklärt und interessiert sich wenig dafür, vielleicht habe ich so auch den Eindruck vermittelt, das ist alles keine grosse Sache. Als vor 10 Jahren die Diagnose “Zoeliakie” dazu kam, da habe ich erst Mal eine Runde geheult. Das hat nichts mehr mit Routine zu tun, das ist eine Einschränkung, die mich ständig in Atem hält. Jede Mahlzeit ausser Haus ist ein Risiko, jede Einladung muss besprochen und geplant werden, um jede Bäckerei ein großer Bogen gemacht, jede Reise gut vorbereitet, jeder Kellner und Koch informiert…..das nervt vielleicht, das wird nie “egaler” jetzt bin ich Über 70, spiele Saxophon in einem Blasorchester und einer Bigband, mache jeden Tag Sport, habe keine diabetische Spaetkomplikationen, mache Weltreisen , habe 7Enkelkinder zwischen 18 und 0 Jahren und habe jeden Tag Freude am Leben. Nichts ist mir egal, “das Wichtigste zuerst” ist mein Motto.

  5. Ich möchte nicht so viel schreiben, es wurde ja schon viel gesagt. Egaler wird der Diabetes nicht, ich denke immer, ich muss wahrscheinlich noch weitere 40 Jahre durchhalten (habe aber schon über 30 Jahre Diabetes)- die Möglichkeit Fplgeschäden zu erlangen ist also gegeben und bei Langzeitdiabetikern höher. Andererseits kenne ich mich und meinen Körper nach der langen Zeit bestens, man wird professioneller und trifft diese Entscheidungen- wieviel, wann, was- schneller und treffsicherer.
    Trotzdem: Die Beschäftigung mit der Krsnkheit und ständige Therapieanpassung, die Auseinandersetzung mit den neuesten technischen Gadgets bleibt. Das macht den Diabetes ja auch aus.

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