Hypoglykämien: auch für Familie und Partnerschaft eine Bewährungsprobe

Wenn der Glukosewert sinkt, die Knie zittern und Schweiß auf die Stirn tritt, ist das nicht nur für die Betroffenen selbst, sondern auch für die Angehörigen oft ein beängstigendes Erlebnis. Antje hat sich bei der DDG-Jahrestagung umgehört, zu welchen Konflikten das in Familie und Partnerschaft führen kann – und welche Tipps die Experten für solche Situationen auf Lager haben.

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Es passiert so schnell: Da schätzt man Kohlenhydrate falsch ein, spritzt zu viel Insulin, verausgabt sich beim Sport, trinkt am Abend ein Gläschen zu viel Alkoholisches – es gibt unglaublich viele Faktoren im Alltag von Menschen mit Diabetes, die zu einer Unterzuckerung (Hypoglykämie) führen können. Wer am normalen Leben teilnimmt, wird „Hypos“ auch nie ganz vermeiden können. Sie sind deshalb auch nichts, für das sich Menschen mit Diabetes schämen müssten.

Für die Betroffenen peinlich – für die Angehörigen beängstigend

Und doch ist es offenbar vielen peinlich, wegen einer Hypoglykämie die Kontrolle zu verlieren und nicht mehr Herr ihrer Sinne zu sein. Das berichtete die Hamburger Fachpsychologin Susan Clever bei der diesjährigen Jahrestagung der DDG in Berlin. Sie hat sich auf die psychologische Betreuung von Menschen mit Diabetes spezialisiert. In ihrer Beratung trifft sie auf Menschen mit Diabetes, die sich anderen gegenüber keine Blöße geben wollen und deshalb sogar bei einer „Hypo“ Hilfe von außen verweigern. Obwohl Partner oder Familienangehörige mit Engelszungen auf sie einreden und zuckerhaltige Getränke reichen.

Manche neigen auch zu unberechenbarem oder gar aggressivem Verhalten, wenn das Gehirn bei einer Unterzuckerung nicht ausreichend mit Glukose versorgt wird.

-> Mehr dazu findet ihr auch in Heikes Beitrag „Unterzucker und Gewalt

Wenn der Zuckerwert wieder im Lot ist, können sich viele Betroffene auch gar nicht mehr an ihr Verhalten während der akuten Unterzuckerung erinnern. Wenn ich solche Geschichten höre, dann mache ich innerlich immer drei Kreuze, dass meine „Hypos“ bislang immer glimpflich verlaufen sind. Ich habe noch nie das Bewusstsein verloren, benötigte noch nie Fremdhilfe und war auch noch nie uneinsichtig oder aggressiv, weil mein Glukosewert im Keller war. Doch ich habe natürlich auch in der Community schon häufig gruselige Stories über Unterzuckerungen gehört, die auch die Angehörigen extrem belastet haben.

Ungute Beziehungsdynamik: ständige Rücksichtnahme, schwelender Groll

Susan Clever bestätigte, dass insbesondere häufige Hypoglykämien – neben den rein medizinischen Risiken – für eine Partnerschaft zu einer echten Bewährungsprobe werden können. „Wenn ein Partner immer Rücksicht auf den anderen nehmen und sich immer sorgen muss, erzeugt das oft einen latent schwelenden Groll. Das ist eine ungute Beziehungsdynamik“, erklärte die Psychologin. Auch Gespräche über die Gefühle, die eine Unterzuckerung bei den Angehörigen auslöst, sind nicht immer einfach: „Da erlebt der Partner eines Menschen mit Diabetes etwas Schreckliches und möchte gern darüber reden. Doch der andere Partner, der die Unterzuckerung hatte, kann sich kaum daran erinnern und möchte auch lieber gar nicht über diese unangenehme Situation sprechen.“ Folgende Tipps hatte die Expertin parat, damit Unterzuckerungen auch für die Angehörigen besser zu bewältigen sind.

Praktische Tipps für Angehörige zum Umgang mit Hypoglykämien:

  • Gehirn im Notbetrieb. Ein Gehirn, dem es an Zucker mangelt, kann nicht die normale Denkleistung erbringen. Je lauter, schneller oder hektischer Angehörige aus Angst im Falle einer Hypoglykämie mit einem Menschen mit Diabetes sprechen, umso mehr gerät er unter Stress und ist überfordert. Also ruhig, langsam und nicht zu viel auf den Betroffenen einreden.
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  • Vorwürfe vermeiden. Mit Vorhaltungen à la „Wie konnte das schon wieder passieren?“ gelingt keine vertrauensvolle Kommunikation. Vorwürfe bei einer akuten Unterzuckerung verstärken nur die Blockadehaltung beim unterzuckerten Partner. Gespräche über die Gründe für Hypoglykämien und wie man sie künftig besser vermeidet, sollte man besser zu einem ganz anderen Zeitpunkt führen.
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  • Verständnis zeigen. Klar gibt es immer mehr technische Helfer, die das moderne Diabetesmanagement erleichtern. Und doch bleibt es eine anspruchsvolle Aufgabe, die täglich neue Herausforderungen mit sich bringt. Der Stoffwechsel reagiert nicht immer gleich auf Kohlenhydrate, Bewegung, Insulin, Aufregung oder auch Wetterumschwünge. Hypoglykämien sind kein Zeichen für Versagen.
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  • Vorgehensweise vereinbaren. Es ist hilfreich, in einem ruhigen Moment und bei normalen Glukosewerten miteinander zu besprechen, welches Verhalten bei einer Hypoglykämie am besten zwischen den beiden Partnern funktioniert. Bei manchen Paaren hat es sich bewährt, dass der Partner dem anderen bei einer Unterzuckerung ohne große Worte einfach ein Glas Saft reicht. Außerdem vereinbaren viele Paare die Regel: „Was während einer ‚Hypo‘ gesagt wurde, gilt als nicht gesagt.“
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  • Schulung besuchen. Wer unter Partnerschaftskonflikten infolge häufiger Hypoglykämien leidet oder sich unsicher ist, wie er bei einer akuten Unterzuckerung helfen kann (z. B. Gebrauch der Notfallspritze mit Glukagon), kann an den Angehörigen-Stunden entsprechender Schulungsprogramme teilnehmen. Vereinzelt bieten Diabetespraxen sogar schon eigene Schulungen für die Angehörigen von Menschen mit Diabetes an. Bei gravierenden Problemen sollte man sich nicht scheuen, auch psychologische Hilfe zu suchen. Auf der Seite der Arbeitsgemeinschaft Diabetes und Psychologie der DDG kann man Psychotherapeuten suchen, die sich – wie Susan Clever – auf Probleme rund um den Diabetes spezialisiert haben.
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    Mehr Infos zum Thema Hypoglykämien findet ihr in Antjes Beitrag „Gehirn im Alarmmodus: Was genau passiert bei einer Hypoglykämie?“

    Ein Kommentar zu “Hypoglykämien: auch für Familie und Partnerschaft eine Bewährungsprobe

    1. Hatte vor Jahren 2mal das Vergnügen, vom Notarzt aus einer ernsten Hypo mit Lichtaus wieder aufgeweckt zu werden. Auch wenn ich mir sicher war, dass ich die 32 oder 34 IE wie immer vor dem Schlafengehen aus dem Lantus- und nicht aus dem Apidra-Pen gespritzt hatte, hab ich beim ersten Mal einfach nur genickt, als mir die Verwechslung zur Erklärung nahegelegt wurde. Hab mich also ins kranke Haus mitnehmen und dort an die Glukose-Infusion anschließen lassen und selbst mit messen können, wie mein BZ mit dem Ausgleich der Lantus-Einheiten immer stabiler wurde.

      Hab dann im Netz Gretchen Becker und ihre Lantus-Lows ohne auch nur den Verdacht von Apidra gefunden und beim zweiten Mal die Einladung ins kranke Haus auf eigene Verantwortung abgelehnt und die unregelmäßige Lantus Überwirkung in eigener Regie aufgefressen.

      Dabei hat mir die voll gestresste Reaktion meiner Frau gezeigt, dass zumindest für uns nicht reicht, wenn sie weiß, dass alles nicht so schlimm ist wie’s aussieht und sich praktisch einfach aussitzen lässt, sondern dass ich sie nach Möglichkeit nicht wieder in sone miese Hypo-Situation bringen darf. Ergo:
      1. Lantus Tagesdosis auf 2 aufteilen, so dass eine Hälfte im Fall der Fehlfunktion wie’n großer Bolus direkt aufgegessen werden könnte.
      2. Lantus ne Stunde vorm Zubettgehen spritzen, weil die im Netz verzeichneten Fehlfunktionen immer in der Stunde nach dem Spritzen aufgetreten sind.

      Wenn zur Not Hilfe da ist, ist immer gut. Aber noch besser finde ich, wenn man alles dafür tun kann, dass sone Not gar nicht erst eintritt 🙂

      Bisdann, Jürgen

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