MiniMed 670G: Kontrolle abgeben – Fluch oder Segen? (1/3)

Medtronic stellt knapp 40 Bloggern die Insulinpumpe MiniMed 670G zu Testzwecken zur Verfügung, die erst seit September in Deutschland erhältlich ist. Sie soll einen „Hybrid Closed Loop“ bieten. Susanne ist eine der Produkttester.

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[Dieser Beitrag enthält unbeauftragte Produkt- und Markennennung.]

Es klingt einfach zu verlockend: Eine Insulinpumpe und ein CGMSensor, die in Teamarbeit die Versorgung von Insulin automatisch steuern – also wie eine echte Bauchspeicheldrüse. Sinkt der Gewebezucker zu tief, schaltet die Pumpe ab, rauscht er zu sehr nach oben, dreht sie die Insulinzufuhr ebenfalls hoch. Auch wenn ich mir nach sechs Jahren mit der schlauchlosen Patchpumpe Omnipod (davor acht Jahre Schlauchpumpen) eigentlich geschworen habe: „Nie wieder Schlauchpumpe!“, will ich die MiniMed 670G daher gerne testen.

Quelle: Susanne Löw

Meine Ausgangslage ist keine schlechte: Ich fahre mit Omnipod und FreeStyle Libre 2 gut, mein HbA1c lag in diesem Jahr zwischen 5,9 und 6,7%, meine TIR („Time in Range“ = Zeit im Zielbereich zwischen 70 (3,9 mmol/l) und 180 (10,0 mmol/l) mg/dl) pendelt sich meist bei 70 Prozent ein. Dafür muss ich nicht viel tun, der Diabetes spielt in meinem Alltag kaum eine Rolle. Alle drei Tage wechsle ich den Pod, zweimal im Monat den FreeStyle-Libre-Sensor, ich muss nichts kalibrieren. Wenn ich über zwei bis drei Wochen immer zu einer bestimmten Uhrzeit hohe oder niedrige Werte bemerke, schraube ich ein bisschen an der Basalrate.

Es geht los!

Folglich sind meine Erwartungen an den Produkttest hoch: Meine Werte müssen sich von einem – für mich guten – Level nochmals verbessern bzw. die Gewebezuckerkurve muss mit weniger Unter- und Überzuckerungen deutlich „flacher“ werden, aber gleichzeitig darf das Handling meine Lebensqualität nicht einschränken.

Quelle: Susanne Löw

Bevor alle Produkttester an einem gemeinsamen Wochenende in den „Automodus“ der MiniMed 670G schalten, der den Gewebezucker möglichst konstant auf 120 mg/dl (6,7 mmol/l) halten soll, wobei man „nur noch“ den Bolus über die Eingabe der Kohlenhydrate steuert, die man zu sich nimmt, werden wir im Rahmen einer Produktschulung mit der Hardware ausgerüstet: Insulinpumpe mit Zubehör, CGM-Sensor „Guardian 3“ mit Zubehör, Katheter und Setzhilfe, Testgerät „Contour Next Link“ mit Teststreifen. Ein richtig hoher Turm baut sich vor uns auf!

Quelle: Susanne Löw

Schritt für Schritt lernen wir die Pumpe und die Funktion „SmartGuard“ kennen, die schon die MiniMed 640G hat: Wahlweise vor oder beim Erreichen einer vorab eingestellten, unteren Gewebezucker-Grenze kann die MiniMed 670G die Insulinzufuhr damit temporär abschalten, um Unterzuckerungen zu verhindern. Dann zeigt uns die Produktschulerin von Medtronic das Handling und kurz darauf sind wir alle an unsere jeweiligen Pumpen angeschlossen, die wiederum sind mit unseren Sensoren verbunden – und auch die liegen schnell in der Haut.

Die erste Woche

Mittlerweile trage ich das System drei Wochen. Die Pumpe sollte uns erstmal „kennenlernen“, Daten sammeln – als Vorbereitung für den Automodus. Klar: Erstmal ist alles ungewohnt für mich: der Schlauch, das Kästchen, das ich wieder irgendwo verstauen muss, blutig kalibrieren, neue Alarme und vor allem natürlich die spannende Funktion der Abschaltung.

Ich merke schon anhand des „SmartGuard“: Es ist eine Herausforderung für mich, Kontrolle abzugeben. Denn als ich bei einem abendlichen Spaziergang anhand von FreeStyle Libre 2 (der noch weiterhin parallel läuft) und Guardian merke, dass mein Gewebezucker sinkt, hätte ich normalerweise einfach ein paar langsam wirkende Kohlenhydrate gegessen. Ich hatte zufällig Kuchen dabei – und mich insgeheim schon darauf gefreut. Bis mir einfiel: Moment, die Pumpe wird ja vielleicht rechtzeitig abschalten. Was sie auch zuverlässig und mit Ankündigung getan hat. Optimal – ich bin nicht zu tief gekommen. Aber ungewohnt. (Den Kuchen habe ich beim Frühstück am nächsten Tag gegessen …)

Umstellungen im Alltag

Und auch sonst muss ich mich in manchen Situationen umstellen: Als ich in den ersten Tagen mit MiniMed 670G eine Stunde laufen gehen wollte, habe ich sie dafür abgekoppelt (mein Omnipod blieb natürlich sonst einfach am Körper). Start mit 180 mg/dl (10,0 mmol/l), stark reduzierter Bolus für einen langsam wirkenden, kleinen Snack, Pumpe abkoppeln – und los! Nach 45 Minuten: 113 mg/dl (6,3 mmol/l) – läuft. Angekommen bin ich nach einer Stunde bei knapp unter 70 mg/dl (3,9 mmol/l), als ich die Pumpe wieder angeschlossen habe. Die Zeit „ganz ohne“ machte sich in der folgenden Stunde mit einem steilen Glukoseanstieg bemerkbar. Wieder ein Learning – in diesem Fall für die nächste Laufrunde, bei der ich am Ende versuchen werde, direkt mit einem kleinen Bolus gegenzusteuern …

In den rot markierten Zeitspannen hat die MiniMed 670G die Insulinabgabe gestoppt. / Quelle: Susanne Löw

Gestört hat mich der Katheterschlauch bislang erst einmal: beim Forro-Tanzen. Bei dem engen Paartanz mit vielen Drehungen hat sie mich gestört, ich habe sie abgekoppelt und zwischendurch gemessen, kurz angekoppelt und kleine Boli abgegeben …

Wie der Alltag wohl mit „Automodus“ wird? Wenn die Pumpe also noch mehr Kontrolle übernimmt?


Bei unserem #BSLounge-Autor Basti läuft der Automodus der 670G schon einige Zeit. Mehr dazu erfahrt ihr auf seinem Kanal bei Youtube.

Hier findet ihr:

MiniMed 670G: Kontrolle abgeben – Fluch oder Segen? (2/3)

MiniMed 670G: Kontrolle abgeben – Fluch oder Segen? (3/3)

7 Kommentare zu “MiniMed 670G: Kontrolle abgeben – Fluch oder Segen? (1/3)

    1. Hallo Claudia, ich habe den Test nach etwa zwei Monaten beendet und bin zu meinem Omnipod und meinem Libre zurückgekehrt. Für mich persönlich war das Handling mit Katheterschlauch, Kästchen am Hosenbund, Kalibrieren usw. einfach zu aufwändig – auch wenn meine Werte teils sehr, sehr gut waren.

  1. Liebe Susanne,
    ich teile deine Entscheidung, zum alten System zurück zu kehren. Habe 4 Jahre die G640 und Enlite CGM getragen. Habe wochen- bzw. monatelang kein Material von Medtronic erhalten. Lieferengpässe etc. Was nutzen die neuen Supergeräte, wenn das Verbrauchsmaterial nicht geliefert werden kann. Medtronic ist für mich Geschichte. Mal abgesehen davon, dass der Trend zu immer noch besserem Hightech ausgerichtet ist. Aber wie praktikabel sind diese Systeme im Alltag, ohne Kanülen, Katheter, Sensoren etc.???
    Trage jetzt Dexcom G6 und Accucheck Spirit Combo und habe gute Werte.
    PS: Medtronic hat letztes Jahr auch 150.000 (i. Worten: Hundertfünfzigtausen!!!!) Herzschrittmacher zurückgerufen, was soll man dazu dann noch sagen.
    Liebe Grüße Cilli

  2. ich trage auch seit knapp 4 Jahren die G640 mit dem CGM Guardian-System. – Klar das Kalibrieren, das Piepen … nervt und ist aufwendig. – Aber dank SmartGuard hatte ich in den ganzen 4 Jahren keine Unterzuckerung mehr mit Bewusstseinsstörung und trotzdem einen HbA1c von um 6,1 bis 6,2 (also knapp überm Normbereich). Gerade die Sicherheit durch SmartGuard lässt mich die nervige Pieperei der G640 ertragen. Leider bekomme ich erst 2021 eine neue Pumpe. – Ich werde auf jeden Fall eine G670 nehmen.

  3. Für mich sind seit Jahren Freestyle Libre 2 und Accucheck Spirit Combo zuverlässige Begleiter. Jetzt steht eine neue Pumpe an. Mein Diabetologe empfiehlt mir die G670. Ich habe sie verweigert. Grund: Ein täglich mehrfaches Fingerpieksen wegen der Kalibrierung bringt mich in die diabetische Steinzeit zurück. Nach 39 Jahren Typ 1 Diabetes benötige ich keine Pumpe, die mehr oder weniger zuverlässig meine Basalrate ändert. Fortschritt sieht für mich anders aus. Ich bleibe bei Bewährtem.

    1. Hallo Jürgen,
      ich kann dich gut verstehen – ich bin nach gut zwei Monaten aus dem Produkttest ausgestiegen und bin zu Libre + Omnipod zurückgekehrt – u.a. weil mich das Kalibrieren auch gestört hat.

  4. Hey Susanne,

    vielen Dank, dass Du Deine Erfahrungen geteilt hast. Ich nutze schon seit Jahren die 670G – und habe und werde einiges dazu schreiben.

    Mich würde interessieren, ob es abgesehen von der Notwendigkeit zur Kalibrierung (u.a.) in der Testphase andere Kritikpunkte gegeben hat. Vor- und Nachteile hat aus meiner Sicht jedes System. Spannend ist ja, welche Punkte für Dich den finalen Ausschlag zum Ausstieg gegeben haben. Mich nerven auch so einige Dinge bei Medtronic – vor allem die wirklich beunruhigende Bluetooth-Verbindungsschwäche der Geräte sowie die Tendenz zu falsch positiven Messwerten, ganz zu schweigen von den eklatanten Liefermängeln – aber ein Aus- oder Umstieg ist ja kaum zu machen, solange die Frist der Krankenkasse für die Bewilligung eines neuen Systems noch nicht verstrichen ist.

    VG Henning

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