Mein Typ-1-Schnupperkurs, oder: komischer Typ!

Freestyle Libre vorm Setzen

Peter ist ein engagierter Typ-F-Diabetiker. Darum hat er den Selbstversuch gewagt, um das Leben seiner Verlobten noch besser nachvollziehen zu können – aber er hatte früher als gedacht genug davon.

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[Dieser Beitrag enthält unbeauftragte Produkt- und Markennennung.]

Als Typ-F-Diabetiker lebt es sich weitestgehend unbeschwert, ich selbst könnte mich (zumindest theoretisch) jederzeit einfach komplett aus dem Diabetes meiner Partnerin heraushalten und sie das alles alleine verwalten lassen. Genug Typ-Fler tun auch genau das mit der Prämisse: „Ist ja nicht meine Baustelle.“ Ein weiterer Teil ist genau das andere Extrem und neigt dazu, Partner oder sehr oft auch den Kindern immer weniger Entscheidungsfreiheit einzuräumen oder ständig überkritisch mit den Werten umzugehen. Persönlich würde ich mich wohl in der goldenen Mitte platzieren.

Ich versuche, jederzeit mit Rat und Tat helfend zur Seite zu stehen und meiner Partnerin den Rücken freizuhalten. Dennoch ist mir wichtig, die sowieso schon teilweise nervtötende Therapie nicht durch ständige abschätzige Kommentare zu verkomplizieren, sondern eher durch meine Überwachung der Werte meiner Partnerin mehr Zeit für andere Dinge des Lebens freizuräumen. All das geschieht zwar immer in bester Absicht, aber auch ich schieße ab und zu über das Ziel hinaus und denke mir: „So schwer kann das doch nicht sein!“

Der Selbstversuch als Typ F

Vor Kurzem überkam mich deshalb das Verlangen, den Diabetes und besonders den Aufwand zu seiner Behandlung mal etwas besser einschätzen zu können. Also schlug ich vor, selbst mal für 2 Wochen eine ausrangierte Pumpe wie auch ein übrig gebliebenes CGM zu setzen. Großspurig Redenschwingen kann schließlich jeder, ich wollte es am eigenen Leib spüren, wie viele Entscheidungen getroffen und wie viel Zeit schon alleine durch die Technik jeden Tag geopfert werden müssen.

Freestyle Libre vorm Setzen
Quelle: Peter Baumbach

Anfangs war ich noch sehr selbstsicher, schließlich war das Reservoir der Pumpe leer, Boli oder Basal musste ich ja gar nicht abgeben. Die Pumpe war eher als ein Dummy gedacht, denn auch den Umgang mit dem „Fremdkörper“ Pumpe am Leib muss man erst lernen. Sensor sowie Pumpe setzte ich mir selbst, auch wenn ich mich dabei reichlich ungeschickt anstellte. Da für die Pumpe zum Setzen nur meine stattliche Plautze in Frage kam, waren der Sensor und sein Platz eigentlich das Einzige, worüber ich mir wirklich Gedanken machen musste. Hier entschied ich mich retrospektiv für die denkbar dämlichste Stelle, die mir für meine Gewohnheiten einfallen konnte. Davon wusste ich in dem Moment aber noch nichts. Erschwerend hinzu kam, dass ich beim Setzen des FreeStyle-Libre-CGM wohl auch genau eine empfindliche Stelle oder ein Gefäß getroffen habe, aber das leichte Ziepen nach dem Setzen ignorierte ich einfach. Ich wollte ja auch nicht direkt jammern, es war nur etwas unangenehm, mehr nicht. Ab da begannen die wohl nervtötensten Tage, die ich seit langer Zeit hatte.

Vorbildlich und motiviert am Start

Mit meinen neuen Gadgets ausgestattet wartete ich die Aufwärmphase ab und nahm mir fest vor, die nächsten Tage ganz vorbildlich meine Werte ebenso zu überwachen, wie ich das ja schon seit Jahren bei Lisa tue. Brav maß ich auch immer blutig nach, um die Abweichung des FreeStyle Libre zu prüfen. Durch das Wegfallen jeglicher Berechnungen für mich hatte ich sogar das Sorglos-Paket im Vergleich zu einem manifestierten Typ-1-Diabetes, dennoch stellte ich schnell fest, wie oft ich die Gerätschaften doch in der Hand hatte.

Der Tag war auch durchaus okay, die Probleme begannen erst am Abend, als ich mich auf der heimischen Couch wiederfand. Durch die Entscheidung, den Sensor auf der Rückseite des linken Armes zu setzen, konnte ich für längere Zeit weder bequem in meiner Lieblingsecke liegen noch meine Partnerin in den Arm nehmen, wie wir das sonst tun. Nach maximal 10 Minuten war der Sensor so unangenehm am Pochen, dass ich die Position wechseln musste.

Sensor und Pumpe ständig im Weg

Als es dann Schlafenszeit war, da wurde mir auch erst einmal klar, wie sehr die Pumpe doch im Weg ist. Die Kanüle merkte ich zwar nicht, aber offensichtlich schlafe ich so um mich selbst rotierend wie ein Brathähnchen. Ständig hatte ich mir die Pumpe um den Leib gewickelt. In der Nacht bin ich bestimmt jede halbe Stunde aufgewacht, weil ich entweder wie ein Rollbraten eingeschnürt war oder auf dem Klotz von Pumpe lag. Auch der Sensor machte sich ab jetzt spürbar bemerkbar und schmerzte permanent. Meine Laune war ab dem Punkt ziemlich mies. Mit Schlafmangel und latent schmerzendem Arm dank des Sensors war das Testen und Simulieren des Diabetes schon an Tag 2 nur noch anstrengend. Jedes Mal an diesem Tag nahm ich das Testgerät zähneknirschend in die Hand und hatte keinerlei Motivation, das Experiment fortzuführen. Mehrfach hätte ich über den Tag verteilt den Sensor am liebsten abgerissen und die Pumpe in die Ecke geworfen.

48 Stunden später: Abbruch

Maulend und motzend zog ich es dennoch durch und wurde besonders in der Nacht wieder auf Trab gehalten. Erneut wälzte ich mich schlaflos durch das Bett und schnürte mir lustige Muster um den Bauch. Auch durch meinen jetzt übel schmerzenden Arm fielen viele Schlafpositionen weg, denn bei der leisesten Berührung tat er weh. Nach dieser Nacht war meine Geduld dann auch am Ende. Ich jammerte, war dünnhäutig und gereizt. Selbst meine bessere Hälfte war zu diesem Zeitpunkt von mir und meiner Laune genervt. Zwei schlaflose Nächte forderten von mir bereits ihren Tribut und ich legte Pumpe und Sensor freiwillig wieder ab. Nach etwas über 48 Stunden musste ich zu meiner Schande also schon die Reißleine ziehen. Vielleicht war das doch alles nicht so einfach, wie ich mir das immer vorgestellt habe.

Quelle: Peter Baumbach

Im Nachhinein war ich dann sehr kleinlaut und zog Bilanz:

Von angesetzten 14 Tagen für den Sensor habe ich es gerade mal knapp über 2 Tage ausgehalten. Mein Kopf war matschig durch die Müdigkeit und meine Stimmung entsprechend heiter. Mich lehrten diese zwei Tage viele Dinge, aber vor allem Demut. Man unterschätzt als Typ F gnadenlos den Aufwand, den auch eine moderne und „bequeme“ Pumpentherapie heute noch von einem Diabetiker abverlangt. Dabei blieb mir in meinem Beispiel ja sogar die eigentliche Insulintherapie, also der Löwenanteil, erspart.

Sich auf Augenhöhe begegnen

Hunderte Entscheidungen muss ein Diabetiker täglich treffen, um im wahrsten Sinne am Leben zu bleiben. Man sollte das entsprechend honorieren und nicht kleinkariert und unwissend Sprüche klopfen. Das verletzt zurecht die Gefühle der „Typ-1er“, die sich und ihre Leistung dadurch herabgewürdigt sehen. Ebenfalls die Motivation dranzubleiben ist ein dauernder Kampf, denn schlechte Tage hat jeder. Ich war schon nach 2 Tagen unmotiviert, wie sieht das dann wohl erst nach Jahren aus?

Mein Appell für all die Typ-Fler da draußen lautet also: Versetzt euch in eure Typ-1er, begegnet ihnen und ihrer Expertise in Sachen Diabetes auf Augenhöhe und drangsaliert diese nicht, selbst in jungen Jahren sind die oft schon große Experten in Sachen Diabetes und kennen ihren Körper selbst am besten. Macht euch und euren Liebsten das Leben durch unreflektiertes Verhalten und Gerede nicht schwerer, als es ohnehin schon ist. Seid einander eine Stütze und kein Stolperstein. Betroffen oder nicht, die Krankheit geht jeden Angehörigen gleichermaßen an, doch mit der richtigen Einstellung schultert man diese Last gemeinsam. Wenn ihr euren Typ-1er verstehen wollt und ebenfalls die Möglichkeit für so einen Selbsttest habt, dann versucht es ruhig. Wenn man die Erfahrung am eigenen Leib macht, dann ist das schon eine echte Herausforderung.


Auch die beste Freundin von Peters Partnerin Lisa hat sich schon einmal in der #BSLounge zum Thema Typ F geäußert: Diabetes Typ F: Interview mit einer besten Freundin

7 Kommentare zu “Mein Typ-1-Schnupperkurs, oder: komischer Typ!

  1. Hallo, erstmal Hut ab das du dir das zugemutet hast.
    Stellenweise mußte ich doch lachen,denn diesen “Rollbratenefekt” kenne ich von unserer Tochter zu gut.Jeden Morgen wickelt Sie sich erstmal aus.
    Dieses Problem habe ich als “Penner” nicht. Dafür piepsen unsere Libregeräte um die Wette oder ihr Pumpe hat irgendwas zum motzen in der Nacht.

    1. In der Nacht höre ich beispielsweise gar keine Alarme mehr, erst wenn mein Handy anfängt auf voller Lautstärke zu schrillen kriege ich mit, wenn Lisa niedrig ist. Da gleicht man sich mit den Jahren wohl an den Typ 1er an. 😉

  2. Ich kann mich da zum Teil wiederfinden, bin selbst Typ F, seit etwa 9 Jahren, und das ist in der Tat immer wieder “mehrschichtig”, sag ich mal so, weil da zunächst mal der primäre Unterschied existiert: Ich bin “gesund”, meine Freundn nicht. Ich hab sie so kennengelernt, und als medizinisch “etwas vorgeprägt” durch 5 Jahre Arbeit in der Pflege, bin ich meinerseits von Anfang an neutral an das Thema herangetreten, mich also mit Diabetes Typ1 zu beschäftigen. Ich hatte mir zwar kein CGM gesetzt, aber einfach mal ein Testgerät mitgenommen und ne Dose Teststreifen und dann 2 Wochen lang min. 3 x täglich gemessen, das hab ich dann aber auch 2 Wochen konsequent durchgezogen… Ich bin danach sogar zu einer befreundeten Hausärztin hin, und hab ein großes Blutlabor machen lassen mit Hinblick auf HbA1c-Wert und Test-Histogramm, das ich mitgebracht hatte, auswerten lassen… mir war klar, dass ich kein Diabetes habe, aber ich fand es zum einen aus Respekt meiner damals frischen Liebe gegenüber wichtig, zum anderen war da auch eine medizinisch-wissenschaftliche Neugier, das mal kennenzulernen, kann ich jedem Angehörigen eines Typ1-ers nur empfehlen, diese Sch*** Krankheit wenigstens ein bisschen kennenzulernen und die Subroutinen eines Diabetikers zu realisieren…

    Ich bin gaaaanz weit davon entfernt, ein Experte zu sein, wie meine Frau, aber ich kann zumindest Nadeln setzen, und das Betriebssystem des CGM lässt sich auch gut überblicken…

    Ansonsten halte ich es wie ganz am Anfang: Ich bin neutral, interessiert, und soweit es geht auch aufmerksam, wenn ich das Gefühl hab, dass da ne Hypo im Anmarsch ist… ansonsten hab ich die Krankheit halt nicht, und wenn ich dann nach gutem Frühstück den ganzen Tag im Garten rumaste und nur mal nen Schluck Wasser oden ein lecker Pausenkäffchen ohne was zu Essen, dann lässt sie mich auch mein Ding machen… das ergänzt sich dann irgendwo wieder…

  3. Hallöle Peter
    Ich muss sagen ein sehr schöner Beitrag über den “typ-F” Marc und ich finden es klasse wie sehr du Lisa auch in ihrem Leben unterstützt. Der Beitrag ist sehr gut geschrieben und man kann das ganze gut nachvollziehen. Ich habe ja selbst an der arbeit mitbekommen wie es dir unter pumpe und CGM ging. Ich bin auch nach Fünf Jahren immer noch mit meiner Dia typ 1 beschäftigt und marc ist ja aktuell erst am wirklichen kennen lernen. Obwohl wie ich finde er das auch schon wirklich gut kann.
    Klar wird er wie ich nie mals aus lernen, aber ich bin froh darüber jmd. gefunden zu haben der das ganze genauso wie du beurtilt und mich unterstützt.

    vlg

    1. Marc ist mit vollem Herzblut dabei, man wächst bekanntlich an seinen Aufgaben. Ihr werdet das zusammen schon geschaukelt kriegen, da habe ich keinen Zweifel. ^^
      Und danke für die lieben Worte!

  4. Hallo Peter,
    Deinen Einsatz finde ich hervorragend, dieser Versuch trägt wirklich sehr zu Deinem Verständnis bei. Ich bin selbst seit 60 Jahren Typ 1 mit Pumpe und Libre. Mein Mann versucht zwar schon, wenn ich hohe oder niedrige Werte erwähne, Traubenzucker oder anderes herbeizubringen oder fragt mich bei hohen Werten wie ich jetzt reagiere. Den LibreSensor kann er perfekt setzen, aber trotz vielmaligen Übens eine neue Ampulle oder einen neuen Katheter für die Pumpe zu setzten, ist er obwohl technisch versiert, ohne meine Hilfe etwas überfordert. Von weiteren Pumpenkenntnissen zu schweigen. Seine Begründung ist, er hätte Angst davor, etwas falsch zu machen. Das “Management” für alles bleibt bei mir. Vielleicht weil ich schon immer alles alleine gemanagt habe? Wie dem auch sei, ist es wie bei vielen Dingen im Leben, erst wenn man selbst betroffen ist, kann man entsprechend nachfühlen.
    Danke für Deinen Beitrag und Verständnis.
    Liebe Grüße

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