Sensible Sprache zum Thema Diabetes: 10 Dinge, die ich aus der bisherigen Debatte gelernt habe

leere Sprachblasen

Im November 2019 wurde unsere Autorin Antje für einen Blogbeitrag mit dem Medienpreis der Deutschen Diabetes Gesellschaft (DDG) ausgezeichnet. Seither hat sie viele positive Rückmeldungen erhalten, aber auch Kritik einstecken müssen. Hier fasst sie die Reaktionen auf ihre Vorschläge für eine diskriminierungs- und stigmatisierungsfreie Sprache zusammen.

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Als ich meinen Blogbeitrag veröffentlicht habe, in dem ich ein Ende diskriminierender und stigmatisierender Sprache rund um das Thema Diabetes gefordert habe, habe ich mir eine Debatte gewünscht. Tja, was soll ich sagen? Manchmal werden Wünsche tatsächlich wahr!

Die Auszeichnung mit dem DDG-Medienpreis hat meinem Beitrag schon erheblich mehr Reichweite verschafft, als er sonst erzielt hätte. Doch als im Januar 2020 in seiner ersten Ausgabe des Jahres auch das Deutsche Ärzteblatt ihn in gekürzter Form in seiner Printausgabe veröffentlichte, konnten auf einen Schlag gut 370.000 Ärztinnen und Ärzte in Deutschland lesen, welche Formulierungen in der Diabetestherapie ich mehr oder weniger sinnvoll und zielführend finde.

#LanguageMatters

Dank dieser weiten Verbreitung wurden offenbar eine Menge Leute zum Nachdenken angeregt. Etliche von ihnen haben sich daraufhin auch bei mir gemeldet, um mir ihre Gedanken mitzuteilen. Ich habe alle Reaktionen gesammelt, viele von ihnen auch beantwortet. Und schreibe nun einmal auf, was mir seither zum Thema #LanguageMatters durch den Kopf geht. Es ist mit Sicherheit keine abschließende Einschätzung – dann wäre die gerade erst begonnene Debatte ja auch viel zu früh beendet. Ich werde also bei Gelegenheit sicherlich weitere Beiträge verfassen, in denen ich diese Gedanken weiterführe.

10 Gedanken

  1. Sowohl die DDG als auch diabetesDE sind als größte deutsche Diabetesorganisationen sehr aufgeschlossen für meine Kritik. Sie haben offenbar erkannt, dass sie der internationalen Entwicklung ein wenig hinterherhinken. Immerhin haben Fachgesellschaften und Organisationen im englischsprachigen Ausland längst Leitfäden für eine diskriminierungs- und stigmatisierungsfreie Sprache des Diabetes vorgelegt und diskutieren das Thema intern wie öffentlich. Es freut mich sehr, dass ich hier offenbar einen entscheidenden Impuls geben konnte und meine Stimme gehört wird.
  2. Es geht um weit mehr als „Diabetiker“ vs. „Mensch mit Diabetes“. Als das Deutsche Ärzteblatt meinen Beitrag veröffentlicht hat, wurde die Überschrift geändert in „Bitte nicht mehr Diabetiker sagen“. Rückblickend halte ich diese Überschrift für nicht ganz ideal, denn sie reduziert meine Gedanken auf diese eine Frage. In der Diabetes-Community ist die Frage, ob man sich mit der Bezeichnung „Diabetiker“ oder „Mensch mit Diabetes“ wohler fühlt, mittlerweile ziemlich ausgelutscht. Manch einer hatte sich deshalb seine Meinung schon gebildet, bevor er meinen Artikel überhaupt gelesen hatte.
  3. Ein Großteil der Ärztinnen und Ärzte, die mir geschrieben haben, war dankbar für meine Gedankenanstöße. Sie schrieben mir, dass meine Ausführungen ein wertvoller Impuls für sie waren, ihre eigene Sprache Patientinnen und Patienten gegenüber kritisch zu reflektieren. Andere hatten sich schon intensiv mit gewaltfreier Kommunikation beschäftigt und konnten sich deshalb in meinem Beitrag wiederfinden. Viele nannten weitere Begriffe aus dem Alltag der Diabetestherapie, die dringend auf den Müllhaufen gehören. Zum Beispiel den Begriff „Therapieversager“ für jemanden, bei dem eine Therapie nicht anschlägt. Manche erzählten mir sogar sehr persönliche Geschichten, in denen sie mit verbalen Fehlgriffen Patientinnen und Patienten gedemütigt hatten, bevor ihnen die Bedeutung ihrer Wortwahl bewusst geworden war. Das waren Rückmeldungen, die mir Mut machten.
  4. Manche Ärztinnen und Ärzte konnten mit meiner Sprachkritik rein gar nichts anfangen. Sie fanden es völlig angemessen, von „mangelnder Therapietreue“ zu sprechen, wenn ihre Patientinnen und Patienten sich nicht an ihre Anweisungen halten. Ihnen war der Gedanke offenbar völlig fremd, dass man Therapieziele auch gemeinsam vereinbaren kann anstatt sie von oben zu verordnen. Andere zogen meine Forderungen ins Lächerliche und unterstellten, ich wolle eine Art „Sprachpolizei“ einrichten. Dabei handelte es sich offenbar vor allem um Zeitgenossen, die bereits einen erhöhten Puls bekommen, wenn ihnen in irgendeinem Text ein „Gender-Star“ begegnet. Dazu weiter unten noch ein bisschen mehr.
  5. Einige zielten mit ihrer Kritik gleich direkt unter die Gürtellinie. Da gab es welche, die mir jegliche Qualifikation absprachen, mich zu dem Thema zu äußern – offenbar, weil ich keine Ärztin bin. Dabei habe ich einmal Sprach- und Literaturwissenschaft studiert, was mich vermutlich eher zu einer fundierten Sprachkritik befähigt als einen Arzt. Besonders krass waren die Kommentare unter einem Beitrag auf dem Portal Achgut.com, wo es ganz allgemein vor neurechten Verschwörungstheorien nur so wimmelt. Dort hatte jemand in einem eigenen Beitrag meinen Artikel im Deutschen Ärzteblatt verrissen und damit bei der Leserschaft dieser Seite offenbar voll ins Schwarze getroffen. Mein Beitrag zeige, dass Diabetes offenbar auch das Gehirn beeinträchtige, musste ich dort zum Beispiel lesen. Auch wenn ich diesen Mist nicht persönlich genommen habe, gruselte es mich doch bei der Vorstellung, dass der Kommentarschreiber möglicherweise ein Arzt ist, der im Alltag Menschen mit Diabetes behandelt.
    Quelle: Pixabay
  6. Andere gaben zu bedenken, dass eine gute Kommunikation vor allem eine Frage der Empathie und weniger der verwendeten Vokabeln ist. Dem kann ich durchaus zustimmen. Wenn mir ein Arzt mit Empathie begegnet, sich für mein Leben mit Diabetes interessiert und akzeptiert, dass ich im Alltag meinen ganz persönlichen Umgang mit meiner Erkrankung finden muss – dann macht es im Endeffekt wenig Unterschied, ob er von meiner „Diabeteseinstellung“ oder meinem „Diabetesmanagement“ spricht. Diskriminierung und Stigmatisierung haben weit mehr Facetten als den bloßen Sprachgebrauch. Doch die Sprache bleibt ein wichtiger Baustein im zwischenmenschlichen Umgang. Welche Begriffe wir verwenden, prägt die Art und Weise, wie wir denken. Und deshalb fände ich es klasse, wenn auch empathische Ärztinnen und Ärzte ihre Sprache an der einen oder anderen Stelle entrümpeln.
  7. Viele empfinden schon die Forderungen nach gendergerechter Sprache als Gängelung und reagieren empfindlich auf weitere Sprachkritik. Unsere Sprache wandelt sich. Und zwar in Deutschland anders als etwa im englischsprachigen Raum, wo es die besagten Leitfäden für freundliche Diabetes-Sprache gibt. Immer mehr Medien, Unternehmen und Privatpersonen hierzulande versuchen, sprachliche Diskriminierungen mithilfe sprachlicher Neuschöpfungen zu vermeiden. Ob Gender-Star, Unterstrich oder Binnen-I – viele dieser Varianten sind zumindest gewöhnungsbedürftig. Da schließe ich mich persönlich durchaus ein, denn wirklich elegant finde ich es nicht, Satzzeichen in Wörter einzubauen. Doch viele Menschen stört so etwas offenbar noch weit mehr als mich. Auf noch mehr neue Sprachregeln haben sie keine Lust.
  8. Menschen mit Diabetes selbst stören sich zum Teil weniger an der Wortwahl ihrer Behandlungsteams als an der Sprache anderer Mitmenschen. Seien wir mal ehrlich: So wahnsinnig viele Worte wechseln wir meist gar nicht mit unseren Diadocs. Und selbst wenn der sich mal im Ton vergreift, geht das im Alltag schnell unter. Denn die meiste Zeit verbringen wir mit anderen Menschen, von denen sich immer wieder mal welche abfällig oder verständnislos über unseren Diabetes äußern. Nervig sind zum Beispiel Äußerungen wie „Darfst du das denn überhaupt essen?“ oder „Du siehst gar nicht aus wie jemand, der Diabetes hat!“ oder „Du hast wohl als Kind zu viele Süßigkeiten gegessen!“.
  9. Es kommt immer auch auf den Kontext an, ob Worte diskriminierend wirken oder nicht. Wenn mir unmittelbar nach der Diabetesdiagnose mein Arzt sagt, „Mit Diabetes kann man heute gut leben“, dann hat der Satz sicherlich einen tröstlichen Effekt. Zumindest ging es mir so. Er nahm der Hiobsbotschaft ein wenig ihres Schreckens und machte mir Mut, die Herausforderung anzunehmen. Anders fühlt es sich hingegen an, wenn ein Außenstehender mich beim Hantieren mit meinem Insulinpen beobachtet und denselben Satz sagt. Dann habe ich das Gefühl, dass er meine Einschränkungen und Belastung durch den Diabetes im Alltag ignoriert oder kleinredet.
  10. Ich wünsche mir, dass wir alle diese Debatte weiterführen. Denn es ist doch so: Viele Menschen mit Diabetes tun sich schwer mit ihrer Erkrankung und erreichen ihre Therapieziele nicht. Dafür tragen sie nicht die alleinige Verantwortung. Wenn also eine andere Art von Sprache dazu beitragen kann, dass sie den Diabetes besser akzeptieren und in ihr Leben integrieren, dann sollte das den Versuch wert sein. Denn trotz der zum Teil haarsträubenden Kritik aus dem ärztlichen Lager gehe ich immer noch davon aus, dass Ärztinnen und Ärzte doch immer ein Ziel vor Augen haben: dass es ihren Patientinnen und Patienten besser geht.

Eure Meinung ist gefragt!

Und deshalb bitte ich euch an dieser Stelle noch einmal: Schreibt mir, welche Begriffe oder Redewendungen ihr im Zusammenhang mit Diabetes als diskriminierend und stigmatisierend empfindet. Welche Formulierungen würdet ihr euch stattdessen wünschen? Ich sammele weiter und werde meine Gedanken hierzu immer wieder einmal neu ordnen und zusammenfassen.


Ein fairer und respektvoller Umgang – die Macht der Sprache – Lisas Sicht zur Debatte um korrekte Formulierungen.

2 Kommentare zu “Sensible Sprache zum Thema Diabetes: 10 Dinge, die ich aus der bisherigen Debatte gelernt habe

  1. Also bin ich statt Diabetiker ein MmD – Anna log zu PwD = People/Person with Diabetes 😉
    Ich bin auch ein MmB, ein Mensch mit Behinderung, nicht einfach der Rolli da. Und im Rolli sitze ich zwar auch als MmD, weil ich mich ja trotz aller achtsamen Wortspiele nicht wirklich teilen kann, sondern als MmP, als Mensch mit Polio.
    Wir drei, oder sind wir dann nicht eigentlich schon 4, weil Mensch(en) mit Pflegestufe – noch’n MmP? sind ja praktisch schon so etwas wie ein 1-Mann-Rudel. Oder wäre Rudel @spracheistwichtig auch schon wieder voll daneben???

  2. Das Theater um gendergerechte Formulierung finde ich absolut albern. Wenn ich so (wie letztens) Titulierungen wie Diabetesberatende und Diabetesassistierende (DDG) oder auch Studierende oder Arbeitnehmende lese könnte ich nur noch lachen. Was ist mit dem Begriff Rentner – Rentnende?

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