Die Gummibärchenfrage

Jessica in Sportoutfit draußen unterwegs

Ob aus reinem Interesse oder mit einem Vorwurf gepaart, die Frage, warum jemand Typ-1-Diabetes hat, taucht immer wieder auf. Und natürlich fragt man sich das auch selbst. Aber was, wenn es darauf nun einmal keine Antwort gibt? Jessica hat sich Gedanken dazu gemacht.

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„Na, du hast wohl als Kind zu viel Zucker gegessen!“ Wie oft habe ich mich schon über so einen Spruch aufgeregt! Da wird aus jemandem, dessen entfernter Verwandter Diabetes hat, ein Experte, der ganz genau weiß, warum ich Diabetes bekommen habe. Und oft fällt mir nach so einem Satz noch nicht einmal etwas Schlagfertiges ein, was ich erwidern könnte. Warum ich Typ-1-Diabetes bekommen habe? Naja, das kann ich eigentlich auch nicht ganz erklären. Vieles ist noch nicht komplett erforscht und das macht es auch nicht einfacher, wenn man Diabetes erklären möchte. Lange habe ich gegrübelt, über passende Antworten und über die Ursachen von Diabetes und über die Mischung aus Naivität und unwissender Rücksichtslosigkeit meiner stets neugierigen Mitmenschen.

Jessica geht den Dingen auf den Grund / Quelle: Jessica Keller

Wie manche von euch wissen, studiere ich im Zweitstudium Psychologie und so hat mich die Frage, welche Denkweise hinter diesen Ansichten steht, ein bisschen recherchieren lassen. Ich habe versucht zu ergründen, was die Fragen nach meinem Diabetes und die Unterstellung, dass ich selber Schuld daran sei, motiviert. Natürlich gibt es offensichtliche Antworten, wie Neugierde, die dahintersteckt, was ist aber, wenn man ein wenig tiefer bohrt?

„An apple a day keeps the doctor away!“

Ich habe viel über Gesundheit gelesen und was mir am meisten aufgefallen ist, ist der Gedanke, dass sich Krankheit im Allgemeinen verhindern lässt. Der gesellschaftliche Konsens ist, dass, wenn man nur alles „richtig“ macht, man dann nicht krank wird. Wenn du einen gesunden Lebensstil führst, dich vegan ernährst und jeden Tag 10 km läufst, dann bleibst du gesund! Hast du das nicht gemacht und als Kind vielleicht ein paar Gummibärchen zu viel gegessen, dann ist das natürlich der Grund, dass du Diabetes bekommen hast! Krankheit wird als Fehler angesehen. Ein Mensch hat einen Fehler gemacht und deswegen hat er als Konsequenz eine Krankheit bekommen. Das ist eine ganz simple Ursache-Wirkung-Rechnung, die da passiert. Spoiler alert: So einfach ist das leider nicht.

Dass man den Grund erfahren möchte, warum eine andere Person eine Krankheit hat, ist evolutionsbedingt. Kann die Ursache genau bestimmt werden, so kann man sich vor dieser Krankheit bewahren, so der einfache Gedanke. Für das Fortbestehen der menschlichen Spezies ist das gut, denn man kann sich schützen und sofort proaktiv Maßnahmen ergreifen. Ist der Nachbar in der Kälte ohne Jacke herumgelaufen und hat sich dann erkältet, kann man aus den Fehlern des Nachbarn lernen und sich beim nächsten Schneefall selbst die dicke Jacke anziehen. Leider wird dabei übersehen, dass viele Dinge doch sehr viel komplexer sind.

Falsche Sicherheit und das Verlangen nach Kontrolle über unser Leben

Weiterführend kann man sagen, dass das Fragen nach den Ursachen das Gefühl von Sicherheit vermittelt. Wenn ich denke, ich kenne die Ursache einer Krankheit, dann kann ich mich vor ihr schützen und bin sicher. Ich habe die Kontrolle über eine unkontrollierte Situation zurückbekommen, indem ich mir vorgaukele, dass es ein unbedachter Fehler der anderen Person war. Das vermeintliche Wissen allein sorgt bereits für ein Sicherheitsgefühl. Das Gefühl der Hilflosigkeit nimmt ab und man fühlt sich, als könne man seine eigene Gesundheit und damit sein eigenes Leben besser kontrollieren. Je älter ein Mensch allerdings wird und je mehr altersbedingte Gebrechen auf natürlichem Wege ins Leben treten, desto mehr wird einem sicherlich bewusst, dass dies eine utopische Denkweise ist.

Man kann Krankheit (zumindest zum jetzigen Zeitpunkt) nicht gänzlich vermeiden. Wir als Menschen mit Diabetes wissen natürlich, dass es manchmal Dinge gibt, die einfach so in unser Leben kommen und die man nicht kontrollieren kann. In diesem Bereich sind wir mit unserer Lebenserfahrung einfach unseren Mitmenschen voraus.

Das Leben ist ein ständiges Auf und Ab – nicht nur bei Gewebezuckerkurven / Quelle: Jessica Keller

Ich kann also verstehen, warum diese Frage immer wieder an mich heran getragen wird und warum Meschen versuchen, einen Grund für Diabetes zu finden. Wie man jetzt letztendlich am besten auf diese unwissenden Mitmenschen reagiert und welche Antwort die beste ist, die Frage würde ich gerne an euch weitergeben. Lasst mir doch gerne eure liebsten Antworten in den Kommentaren.


Bastian hat sich mit dem Gedanken, warum er Typ-1-Diabetes bekommen hat, ebenfalls auseinandergesetzt. Allerdings aus einem ganz bestimmen Blickwinkel: Wieso ausgerechnet ich? Was kann Gott für die Krankheit?

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