Schubladen-Denken: Hat der Diabetes schuld?

Heike mit Blick nach unten und dem Schriftzug: Schuldfrage.

Was beeinflusst der Typ-1-Diabetes im Alltag? An welchen Problemen hat er Schuld? Heike fragt sich genau das – und sucht einen Ausweg aus dem Schubladen-Denken.

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Ich war in letzter Zeit zugegebenermaßen etwas frustriert. Mir schien, als ob ich für viele Dinge in meinem Leben immer wieder in die Diabetes-Schublade gesteckt werde. Ist ja auch relativ einfach, dieses Schubladen-Denken. Diabetes-Schublade auf und dann ist der Diabetes einfach mal wieder schuld an allen Problemen.

Quelle: Heike Wolf

Da hieß es von außen: „Du kannst kein zweites Kind bekommen, denn es könnte wegen deines Diabetes behindert sein.“ Oder: „Du kannst keine anstrengende, zusätzliche Ausbildung machen, denn du schaffst das nicht wegen deines Diabetes.“ „Du wirst mit Sicherheit nie 100 Jahre alt werden, wegen deines Diabetes.“ Und auch man selbst kommt zur Überzeugung, dass der eigene Diabetes an so vielen Dingen im Leben Schuld hat. Nein, Schluss, fertig!

Das negative Schubladen-Denken

Ich  fühle mich wegen und trotz meines Diabetes als 100 Prozent vollkommener und leistungsfähiger Mensch. Deshalb drehe ich die Sache mit der Diabetes-Schuld jetzt einfach mal um! Ich möchte mich im neuen Jahr nicht länger über solche Aussagen ärgern. Es wird Zeit, dass ich jetzt noch häufiger Verantwortung übernehme für mich, meinen Diabetes und meine Bedürfnisse. Es wird Zeit, dass ich mich jeden Tag auch mit Diabetes selbst glücklich mache, anstatt zu erwarten, dass die Welt oder andere Menschen das für mich erledigen. Zur Wahrheit bei einer gelingenden Diabetestherapie gehört eben auch, dass nicht Technik, Ärzte oder Diabetologen mir helfen, sondern vor allem ich mir selbst helfe. Wir als Diabetiker befinden uns nicht in dieser Diabetiker-Opferrolle. Wir sind die aktiven Macher unseres Lebens!

Aber wie reagiert man nun auf all diese Pessimisten, Diabetes-Skeptiker oder Schwarzmaler?  Bei meinem letzten Arztbesuch im Dezember letzten Jahres betrug mein HbA1c 6,9%. Der Wert war leicht angestiegen und der Arzt machte ein besorgtes Gesicht. Ich konnte da aber nur mit einer Gegenfrage antworten. Und wie viele schwere Unterzuckerungen hatte ich als seine Patientin im letzten halben Jahr? Null! Und das ist für meine persönliche „Hypo“-Bilanz der letzten 20 Jahre beachtlich. Meine „Hypos“ haben sich drastisch reduziert. Und genau deshalb ist mein Blutzuckerverlauf etwas angestiegen. Weniger „Hypos“ bedeutet weniger Kurven.

Veränderung in kleinen Schritten

Eine Bekannte von mir konnte nicht zusehen, wenn ich mich (noch) blutig testete. Ich sollte doch „bitte“ auf die Toilette gehen, weil ihr sonst übel wird. Letzte Woche habe ich dann die Initiative ergriffen und mit ihr ein längeres Gespräch über meinen Diabetes geführt. Die ältere Dame hatte keine Ahnung von Diabetes und ich konnte ihr sehr viel über meinen Stoffwechsel erzählen. Mittlerweile ist sie zum Fan von mir und meinem Diabetes geworden.

Quelle: Heike Wolf

Als DiabetikerInnen in unserer heutigen Welt sind wir immer Teil eines großen Ensembles. Und auch in jedem Team gibt es sie, diese Skeptiker, Zweifler oder Pessimisten. Wir als DiabetikerInnen müssen auch im Jahr 2020 weiter auf diese Menschen zugehen und mit ihnen reden, aufklären, Überzeugungsarbeit leisten. Die Blood Sugar Lounge leistet da einen extrem wichtigen Teil!

Und was ist, wenn man selbst so ein kleiner Diabetes-Schwarzmaler ist? Ich würde euch raten: Bleibt, wie ihr seid – und versucht, euch selbst in winzig kleinen Diabetes-Schritten zu verändern und aus dem Schubladen-Denken herauszukommen. Ich weiß, dass fällt unheimlich schwer! Aber in kleinen Schritten ist so vieles möglich. Ich wünsche euch allen ein optimistisches und aufregendes neues Diabetes-Jahr 2020!


Sind DiabetikerInnen selber schuld an ihren „Hypos“? – Eine weitere Schuldfrage, über die sich Heike Gedanken gemacht hat.

Ein Kommentar zu “Schubladen-Denken: Hat der Diabetes schuld?

  1. Liebe Heike,
    Wie recht du hast. Als langjähriger Typ 1 habe ich Zeiten ohne Blutzuckermessungen erlebt.Ich sollte mich an die Angaben der Ärzte halten, mein gesamtes Verhalten nach meinem Diabetes richten.
    Immer noch sehen mich KollegInnen ungläubig an, daß ich so lange Diabetes habe.
    Ich arbeite im Betreuungsbereich in einer Wohngruppe von Menschen mit Behinderung; hier entstehen in den letzten Jahren immer mehr Diabetiker, da konsequent die postprandialen Werte gesenkt wurden.
    Das kann schon von Seiten der Ärzte sinnvoll sein. Ich frage mich nur, wie die “Patienten”, die plötzlich Diabetes haben das sehen. Die Gesprächszeit beim Arzt wird ja nicht verlängert, Metformin ist schnell verschrieben.
    Heute danke ich hier der Technik für Pumpe und Sensor; auch Ärtz*innen haben sich glücklicherweise geändert und hören interessiert zu, wenn ich Erlebnisse aus unkontrollierten Blutzuckerphasen berichte.
    Ich spüre keine Unterzuckerungen mehr und bin auf den Sensor oder das Messen angewiesen.
    Jetzt warte ich darauf, daß Mahlzeiten “scannbar” werden, das wäre doch zu schön und hilfreich.
    Der Sturm vor der Haustür ist bald vorbei; die erste Sonne hat kurz durch die Wolken in Rheinhessen gesehen.
    Hermann

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