Ist das Gesundheitssystem für die Zukunft in Sachen Diabetes gewappnet?

Closed-Loop-Systeme sind schon lange im Gespräch und einige Patienten setzen eigens entwickelte Lösungen bereits selbst um. Doch warum dauert es scheinbar so lange, bis die Hersteller weitere Systeme und Produkte anbieten und die Krankenkassen diese auch in ihrem Leistungskatalog aufnehmen? Vor welchen Herausforderungen steht unser Gesundheitssystem? Steffi im Interview mit Prof. Dr. Jürgen Wasem.

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Auf seiner Website stellt das Bundesgesundheitsministerium eine Übersicht über das Gesundheitssystem bereit. Rund 20 Institutionen sind auf dem Factsheet zu zählen. Viele von ihnen sind beteiligt, wenn es darum geht, ein Medikament oder eine Therapie auf den Markt zu bringen und darüber zu beratschlagen, was von den gesetzlichen Krankenkassen übernommen wird. Dazu bedarf es nicht nur vieler Gespräche und Verhandlungen, sondern auch Studien müssen durchgeführt werden. An den Prozessen beteiligt sind dabei unter anderem das Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen, kurz IQWiG, und der Gemeinsame Bundesausschuss.

Doch kann das Gesundheitssystem mit der Digitalisierung Schritt halten?

Prof. Dr. Jürgen Wasem ist Politikberater, Gesundheitsökonom und Tagungspräsident der Veranstaltung Diabetes 2030, die am 1. und 2. März 2018 stattgefunden hat. Er sieht Schwierigkeiten und Handlungsbedarf im Gesundheitssystem, wenn es um die Diabetes-Therapie geht.

Herr Prof. Dr. Wasem, in der Diabetes-Therapie hat sich durch die Digitalisierung bereits viel verändert. Beispielsweise nutzen Diabetiker Apps und gestalten ihr eigenes Closed-Loop-System. Welche Herausforderungen sehen Sie dazu in der Politik?

Die Geschwindigkeit, mit der sich Digital Health verändert, und die Geschwindigkeit unseres etablierten Systems aus Institutionen und Prozessen im Spitzenverband der Krankenkassen klaffen weit auseinander. Wir brauchen im Schnitt fünf Jahre, bis wir eine neue Therapie über den Gemeinsamen Bundesausschuss in die Versorgung gebracht haben. In diesen fünf Jahren hat sich ein digitales Verfahren von der Version 1.0 bis zur 17.5 weiterentwickelt. Wir müssen die Prozesse von der Erfindung der Digital Health App bis zum Leistungskatalog der Krankenkassen umgestalten. Wenn wir das nicht schaffen, dann werden relevante Therapien nur auf dem Selbstzahler-Markt zur Verfügung stehen. Die Konsequenz daraus wäre: Wer sich das leisten kann, der nimmt an diesen Fortschritten teil. Wer sich das nicht leisten kann, der kann dann nicht daran teilnehmen. Das ist gerade bei so einer chronischen Erkrankung wie Diabetes ziemlich schwierig. Wir dürfen allerdings auch nicht den Weg gehen und alles über die Krankenkassen anbieten, egal ob es Unfug ist oder ob es nützt. Unsere Ansprüche auf evidenzbasierte Medizin und das Prüfen des Nutzens sollten wir nicht aufgeben müssen. Doch wir müssen das System und die Prozesse handhabbar für Digital Health machen. Das ist leichter gesagt als getan.

Wenn Sie Wünsche für die Gesundheitspolitik haben, was würden Sie sich wünschen?

Ich würde mir wünschen, wir würden einen aufrichtigen Dialog über die Zahlungsbereitschaft für medizinischen Fortschritt führen. Die Politik nährt die Diskussion, dass wir alles zahlen, was nützlich ist. Doch faktisch werden wir uns das nicht leisten können. Ich gebe Ihnen ein Beispiel: Wir werden in 2019 mehrere Gentherapien in der Onkologie mit Jahrestherapie-Kosten von deutlich über einer Million zur Verfügung haben. Das wird nochmal die Frage aufwerfen: Werden wir das wirklich alles zahlen wollen? Das ist ethisch schwierig zu beantworten. Beim Diabetes haben wir ein ähnliches Problem: Zwar kosten die Therapien deutlich weniger, doch die Anzahl der Patienten ist um ein Vielfaches größer. Deshalb können wir uns auch hier auf Dauer nicht vor der Diskussion rund um die Zahlungsbereitschaft drücken. Nur wenn wir diese Diskussion wirklich führen, können wir abwägen, welchen medizinischen Fortschritt wir zu welchem Preissystem anbieten wollen und welchen nicht.

Mit Zahlungsbereitschaft meinen Sie, wie viel die Menschen bereit sind, für ihre Gesundheitsversorgung auszugeben?

Genau, und zwar im Rahmen der Krankenversicherung. Die Leute sagen zwar, sie wollen gute Gesundheitsversorgung. Aber sie möchten auch niedrige Beiträge bei Krankenkassen zahlen. Menschen haben eben auch andere Bedürfnisse neben Gesundheit. Deswegen müssen wir die Diskussion über die gesellschaftliche Zahlungsbereitschaft für medizinischen Fortschritt wirklich führen. Andere Länder sind deutlich weiter. Zum Beispiel in England und Schweden hat man sich entschieden, jenseits bestimmter Grenzen, also Kosten in Relation zu gewonnenen Lebensjahren, im Regelfall nicht zu zahlen. Unsere Entscheidung kann sein, dass wir solche Grenzen nicht wollen, aber dann müssen wir auch den Preis dafür zahlen, in Gestalt steigender Beiträge zu den Kassen.

Was wünschen Sie sich für die vielen Menschen, die an Diabetes erkrankt sind?

Für die Patienten, die schon Diabetes haben, würde ich mir wünschen, sie am medizinischen Fortschritt zu bezahlbaren Preisen teilhaben zu lassen. Zusätzlich haben wir in der Diabetes-Kommunikation nach wie vor Abstimmungsprobleme zwischen den Bereichen wie Hausarzt, Schwerpunktpraxis, Akutklinik, nicht-ärztliche Gesundheitsberufe. Da spielen die IT und Datenprozesse eine wichtige Rolle. Deshalb wünsche ich mir, dass die Voraussetzungen dafür verbessert werden. Dazu kann die Politik natürlich ihre Beiträge leisten.


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