Einstellungssache: Diabetes und Bewusstsein

Ganz oft sprechen wir davon, dass der Diabetes uns einschränkt, uns beeinflusst und uns daran hindert, Dinge zu tun. Der umgekehrte Fall trifft jedoch mindestens genauso zu!

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Quelle: Christian Purschke
Henry Ford sagte einmal: „Ob Du denkst, Du kannst es oder Du kannst es nicht – Du wirst auf jeden Fall recht behalten.“ Dieser kleine Spruch begleitet mich schon seit Jahrzehnten im Berufsleben. Und inzwischen hilft er mir auch dabei, mit dem Diabetes umzugehen. Das wurde mir gerade kürzlich wieder bewusst, als ich nach längerer Zeit mal wieder einen Menschen besuchte, der seit 40 Jahren mit Diabetes lebt, keinerlei Folgeschäden aufzuweisen hat und bis heute mit 78 Jahren bewundernswert gesund und lebensfroh ist. Die Gespräche mit diesem Menschen brachten mich mal wieder zum Nachdenken darüber, inwiefern man sich Dinge noch schlechter reden oder denken kann, als sie ohnehin sind. Ich habe großen Respekt vor Menschen mit Diabetes, die permanent auf ihren Körper achten müssen, die sich täglich mehrfach piksen müssen, die darauf achten müssen, was sie essen und die vor jeder größeren körperlichen Aktivität bewundernswerte Planungsarbeiten leisten müssen. Noch viel mehr Respekt habe ich jedoch vor den Diabetikern, die dem Thema gar nicht so eine große Bedeutung zumessen, ohne es jedoch zu vernachlässigen. Denn diese Menschen schaffen es, zu leben und die Krankheit dabei zu integrieren, ohne sich von ihr bestimmen zu lassen. Und wenn man sie fragt, wie sie das machen, dann sind sie erstaunt und erzählen, dass ihnen das recht mühelos gelingt. Eben automatisch.

Diabetes ist eben doch Einstellungssache

Zurück zu Henry Fords Zitat. Der Mann lebte von 1863 bis 1947 und doch wusste schon er das, womit sich später Heerscharen von Psychologen und Mentaltrainern eine goldene Nase verdienen sollten: Die Einstellung macht’s. Und das gilt tatsächlich für alle Lebensbereiche. Wenn ich mir permanent etwas einrede, dann wird es irgendwann wahr. Und wenn in meinem Kopf alles schlecht und ungerecht ist, dann dauert es nicht lange, bis mein Umfeld genau das widerspiegelt. Nach der Diabetes-Diagnose hört man von allen Seiten ganz schreckliche Dinge – von „Darfst Du das essen?“ über „Davon wird man doch blind, oder?“ bis zu „Die Depressionsrate ist bei Diabetikern sehr hoch.“. Und natürlich gibt es all diese Risiken unbestreitbar. Aber wie viel Risikopotential ist hausgemacht, also im eigenen Kopf? Wie oft meint man, etwas nicht tun zu können, weil der Diabetes einen daran hindern könnte? Jetzt mal Hand aufs Herz: Wie oft ist Dir das bereits passiert? Wenn Du jetzt zu den glücklichen Menschen gehörst, die mit „Noch nie!“ antworten, dann herzlichen Glückwunsch. Ich wusste, dass es Euch gibt! Gerade wenn die Diagnose noch frisch ist, sind große Zweifel ganz natürlich und normal. Aber auch langjährige Diabetiker kommen ins Grübeln, wenn es um „große Aufgaben“ geht: ein neuer Job, ein Kind, eine sportliche Herausforderung, aber auch ganz alltägliche Dinge können einen zur Verzweiflung bringen oder gar scheitern lassen.

Das Unterbewusstsein kann uns auf die falsche Fährte führen

Was können wir aber tun, wenn uns Dinge schwerfallen und Entscheidungen, ob wir etwas tun oder lassen, ewig dauern? Die Neurowissenschaft hat nachgewiesen, dass wir mit bewussten und unbewussten Entscheidungen unseren Alltag bestreiten, wobei die bewussten Entscheidungen nur einen ganz kleinen Teil ausmachen. Unser Gehirn arbeitet also sehr selbständig und autark, nämlich unterbewusst. Das ist auch gut so, denn wenn wir jedes Mal bewusst nachdenken müssten, wenn wir eine Gabel zum Mund führen oder ein Wort sprechen wollten, dann hätten wir viel zu tun und würden unheimlich viel Energie verbrauchen. Der Nachteil ist allerdings, dass das Unterbewusstsein Entscheidungen hauptsächlich „aus dem Bauch heraus“, also basierend auf unseren Erfahrungen und Glaubenssätzen trifft. Rationale Überlegungen werden hier komplett ausgeblendet und finden somit keinen Eingang in den Entscheidungsfindungsprozess. Genau die sind aber so wichtig, wenn es darum geht, Neues auszuprobieren. Der 28-jährige Patrick hatte bislang wenig Kontakt mit Diabetikern, weiß jedoch, dass viele Diabetiker Probleme mit den Füßen haben. Ein entfernter Verwandter von ihm hat ganz schlimmen Diabetes und vor kurzem einen Fuß verloren. (Fachlich richtig müsste es heißen: Der Verwandte hat seit Jahren Diabetes Typ 2 und sich nicht darum gekümmert.) Nun hat Patrick selber die Diagnose Diabetes Typ 1 bekommen und macht sich furchtbare Gedanken um seine Zukunft. Denn nach allem, was er gehört hat, ist er unmittelbar gefährdet, selber massive Probleme mit den Füßen zu bekommen. Dies wurde ihm auch von anderen Diabetikern bestätigt. Seither unterlässt Patrick jegliche sportlichen Aktivitäten und kann nicht mehr gut schlafen. Das ist nicht erfunden, Patrick ist ein tatsächlich existierender Mensch (der natürlich in Wirklichkeit anders heißt). Er bekommt seine Informationen zumeist aus dem Internet und nur ganz selten von einem guten Diabetologen, denn er wohnt auf dem Land und nach der Diagnose wird er hauptsächlich von seinem Hausarzt betreut. Abgesehen von vielen anderen Problemen, die hier keine Rolle spielen, schleppt er tatsächlich die fest verankerte Meinung mit sich herum, dass Diabetiker höchst gefährdet für alle möglichen Dinge sind. Und im Internet liest man ja zumeist auch nur die schlechten Dinge, gute Erfahrungen oder positive Beispiele werden selten zur Schlagzeile oder in Berichten thematisiert.

Es ist wichtig, das Bewusstsein zu schulen

Ein drastisches Beispiel, aber eines aus dem richtigen Leben. Und wie oft hört man Diabetes-Berater/innen schimpfen, dass sie einfach nicht an ihre Patienten herankommen und erzählen können, was sie wollen – umgesetzt wird es dann doch nicht? Der Schlüssel liegt hier im Erreichen des Bewusstseins der Betroffenen. Es geht darum, falsche Meinungen bewusst neu zu bewerten und Dinge auszuprobieren, die man bislang für unmöglich hielt. Das ist in Fällen wie Patricks nicht einfach und mitunter eine langwierige Angelegenheit (wobei der echte Patrick heute wieder mit Begeisterung Sport treibt, weil er sich der Problematik gestellt hat). Aber auch im kleineren Maßstab spielt das Unterbewusstsein ab und zu Bremsklotz. Ich selber war nach der Diagnose recht schnell aufgeklärt und gut informiert, habe aber bis heute hin und wieder regelrechte Hemmungen, neue Dinge auszuprobieren, und schiebe das gerne auf den Diabetes. Dann hilft es, bewusst und rational an die Sache heranzugehen. Das betrifft natürlich nicht nur den Diabetes, sondern eigentlich alle Entscheidungen, die schwerfallen. Es lohnt sich, diese mit einer gewissen Rationalität anzugehen und einfach mal sachlich zu bewerten. Was spricht dafür, was dagegen und was sind die Risiken? Ganz oft wird man vom Ergebnis dieser rationalen Überlegungen mehr als überrascht. Probiert es einfach mal aus. Und werdet Euch bewusst darüber, wer im Vordergrund steht: Ihr oder „Euer“ Diabetes.
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