Nadja und Florian kennen sich 9 Jahre und sind seit 2 Jahren ein festes Paar. Der Diabetes belastet nicht nur Nadja, sondern auch ihren Freund ab und an. Wie das Leben mit einer Diabetikerin ist, erzählt er hier aus seiner eigenen Sicht.
Hallo, erst einmal kurz zu mir: Ich bin Flo und bin 24 Jahre alt. Meine Freundin hat seit 2005 Diabetes Typ 1. Wir kennen uns seit 9 Jahren und sind seit 2016 ein festes Paar. Ab und zu fragen mich Freunde und Bekannte, wie das Leben mit einem Diabetiker eigentlich so ist. Im Grunde ist es wie mit „normalen/körperlich gesunden“ Menschen. Man hat Höhen und Tiefen, liebt sich und könnte den anderen auch mal gegen die Wand klatschen. Aber erst wenn man näher hinschaut, bemerkt man, dass da noch mehr dabei ist.Kleine Startschwierigkeiten
Ich wusste natürlich, dass sie Diabetikerin ist. Wir kannten uns ja auch schon lange vor unserer Beziehung. Aber so richtig mit der Thematik befasst habe ich mich nicht, bis wir zusammengekommen sind. Anfangs der Beziehung war es nicht leicht zu unterscheiden, ob meine Freundin nun einfach schlecht drauf ist oder eine Hypoglykämie hat. In meiner nicht gerade feinfühligen Art habe ich alle Launen von ihr als Hypoglykämie abgestempelt, was nicht immer richtig war. Wenn ich dann so etwas sagte wie „Hast du wieder ’nen Unterzucker? Iss mal lieber was“, ist sie natürlich sauer geworden, weil ich sie bevormundet habe. Nach ein paar Monaten und einigen klärenden Gesprächen war ich in der Lage, das Ganze besser zu verstehen. Wenn sie einen schlechten Tag hatte und dann zusätzlich die Werte nicht passen, verstärkt das schlechte Laune natürlich. So weit, dass sie manchmal sogar richtig verzweifelt wird, weil ihr alles über den Kopf wächst. Wenn sie nun aber nur eine Hypoglykämie hat, dann kommt die schlechte Laune von körperlichen und hormonellen Reaktionen. Was ich für mich gelernt habe, ist, niemals ihre schlechte Laune mit einer Hypoglykämie zu assoziieren und vor allem sich darüber nicht lustig zu machen mit Sätzen wie „Iss mal ’n Snickers“.Nachts ist sie auf sich allein gestellt
Ich habe die Angewohnheit, zu schlafen wie eine Leiche, wenn ich einmal richtig schlafe, bekommt mich nichts so leicht wach. Wenn ich am nächsten Morgen meine Freundin frage, wie sie geschlafen hat, oder ich ihr eine schlechte Nacht ansehe aufgrund einer Hypoglykämie oder Hyperglykämie, bin ich innerlich immer etwas zwiegespalten. Einerseits ärgert es mich, dass ich für sie nicht da war, andererseits bin ich stolz und glücklich, dass sie eigenständig die Situation in den Griff bekommen hat. Mich wundert es oft selbst, dass ich nicht wach werde. Natürlich versucht sie mich zu wecken, wenn es ihr wirklich schlecht geht. Doch das funktioniert selten. Also geht sie selbst in die Küche und holt sich etwas, lässt die Kohlenhydrate wirken, zittert und schwitzt dabei und kriecht wieder ins Bett, wenn es ihr besser geht. Dass sie dann am nächsten Tag nicht wirklich körperlich ausgeruht und fit ist, wundert mich keineswegs. Nach so einer Nacht hat sie dann meistens am nächsten Tag starke Kopfschmerzen. Oft nimmt sie mehrere Tabletten, ohne dass eine Besserung in Sicht ist. Damit dann noch zu studieren und es sogar mit guten bis sehr guten Leistungen zu meistern, verdient meinerseits vollsten Respekt und Anerkennung.Let’s talk about Sex
Wie jedes normale Pärchen haben wir natürlich auch Sex. Doch auch da steht uns der Diabetes ab und an im Weg. Einmal war sie danach kurzzeitig nicht mehr ansprechbar. Durch die Hormone und die Erschöpfung hat sie selbst die Hypoglykämie auch nicht bemerkt. Ich habe sie gerüttelt und dazu gebracht, dass sie sich hinsetzt und die Augen öffnet. Ich kann gerade nicht mehr genau sagen, was ich ihr gegeben habe, um ihren Blutzucker wieder in den Normalbereich zu bekommen, ich denke, es war Saft. Sie trank den Saft und wurde wieder langsam klar. Ich beruhigte mich auch wieder. Das ist das Schlimmste, was uns bisher passiert ist in meinen Augen. Klar sind dann auch noch die kleineren Mankos wie Trägheit oder dass wir den Sex abbrechen müssen, wenn sie merkt, dass ihr Blutzucker absinkt.Hypo- und Hyperglykämien im Alltag
Eine Hypo- oder Hyperglykämie ist keineswegs lustig oder gar angenehm. Davon habe ich nun auch schon genug bei ihr mitbekommen. Letztens erst waren wir im Theater. Da hat man dann schlecht die Möglichkeit, mittendrin aufzustehen und sich etwas zu holen, um den Blutzucker zu stabilisieren. Der Tag lief eh schon schlecht und wir hatten extremen Zeitdruck, um noch rechtzeitig zur Vorstellung zu kommen. In der ganzen Hektik hat sie vergessen, sich etwas für eine Hypoglykämie einzupacken. Zum Glück hat der Blutzucker bis zur Pause gewartet, bis er in den kritischen Bereich abgefallen ist. Das sind Situationen, in denen ich mich im Nachhinein ärgere, warum ich nicht auch daran gedacht habe, etwas einzupacken, um den Blutzucker notfalls hochzubringen. Denn so eine Situation muss nicht immer „glimpflich“ enden.Pumpe, Sensor und Interpretationsspielraum
Die Insulinpumpe macht den Diabetes für meine Freundin einfacher. Ich finde es faszinierend, wie so ein kleines Kästchen den Alltag revolutioniert. Mir persönlich ist es egal, wo meine Freundin die Pumpe trägt. Sie fragt mich zwar immer, wo sie sie hinkleben soll, da nach mehrmaligem Anbringen die beliebten Stellen sehr punktiert aussehen und nicht mehr optimal geeignet sind für die Insulininjektion. Selbst in Sachen Sex ist mir das persönlich egal. Wir passen dann halt ein bisschen besser auf. Natürlich klappt das nicht immer. Manchmal reißt man auch die Pumpe oder den Sensor versehentlich ab. Ich finde sie auch kein Stück unattraktiv durch ihre Gerätschaften. Auch nicht, wenn sie die Pumpe z.B. auf dem Dekolleté befestigt. Als Freund habe ich natürlich auch schon mitbekommen, wie Fremde auf die Pumpe und den Sensor reagieren. Manchmal bemerke ich selbst, wie Leute auf ihre Pumpe schielen. Wenn meine Freundin nach der Arbeit als Kellnerin erzählt, dass sie wieder von Gästen auf ihre Pumpe angesprochen wurde, und ich merke, wie ihr Tonfall sich oft ins Bedrückte oder sogar Verletzte verändert, ärgert mich das auch. Sie ist eine sehr starke Frau, daran habe ich keine Zweifel. Aber gerade diese ständigen Fragen oder Sticheleien über diese Gerätschaft kostet den Träger auch Kraft. Wenn die Pumpe zum zehnten Mal für einen GPS-Tracker oder eine Fußfessel gehalten wird, kann ich nur nachvollziehen, dass sie sowas nicht mehr amüsant findet und daher etwas gereizt reagiert.Wenn man keine Kraft mehr hat
Manchmal ist der Akku einfach leer. Sei es, weil die Werte mal wieder den ganzen Tag verrücktspielen, sie sich mit der Krankenkasse rumschlagen muss oder wegen Sensor oder Pumpe dumm angemacht wird. Daher ist es für mich wichtig, ihr zuzuhören und sie zu trösten. Klar kann ich ihr nicht immer so helfen, wie ich gerne möchte. Ich bin selbst kerngesund und kann manche Situationen einfach nicht nachvollziehen. Trotzdem würde ich ihr diese Krankheit manchmal gern abnehmen, um es für sie wenigsten für einen Tag leichter zu machen. Man sollte als Partner aber hauptsächlich einfach da sein, nicht nur körperlich, sondern vor allem mental. Man muss ihr zuhören (als Mann nicht immer leicht) und ihr Mut machen, dass WIR das gemeinsam schaffen. Ja, ich gebe zu, es ist oft schwer mit ihr, aber dennoch liebe ich diese Frau über alles. Sie sieht es auch selbst ein, dass sie ab und zu schwierig ist. Aber im Großen und Ganzen ist der Rest eine normale Beziehung, wie sie jeder auf der Welt führt.Hypoglykämien: auch für Familie und Partnerschaft eine Bewährungsprobe – Antje hat neue Erkenntnisse vom DDG-Diabetes-Kongress mitgebracht!
Hi Florian, dein Artikel gefallt mir sehr gut. Ich finde es schön, dass du dir Zeit genommen hast und so viele Alltagssituationen, wie du sie wahrnimmst, geschildert hast. Ich verstehe deinen Wunsch deiner Freundin etwas abzunehmen, wenn ihr alles über den Kopf wächst. Vielleicht kannst du ihr ja die Blutzuckermesskontrollen in der Nacht abnehmen? Und ihr so eine ruhigere Nacht, nach einem anstrengenden Tag gönnen?
Hallo Carole
Ich antworte hier mal für meine bessere Hälfte 😉
Vielen Dank für deine lieben Worte.
Das Problem an der ganzen Sache ist, dass entweder die Hypos so stark sind, dass ich davon aufwache oder dass sie nur ganz knapp an der Grenze sind (ca. 70-60 mg/dl) was dann am nächsten Tag bei mir die Migräne verursacht.
Wir/Ich haben jetzt schon ein rtCGM beantragt aber leider zickt meine Krankenkasse noch ein bisschen rum. Trotzdem werden wir da weiterkämpfen und hoffentlich in ein paar Wochen mal wieder beide ruhig schlafen können 😉