Babyblues und postpartale Depressionen

Im April 2019 hat Sharon ihren gesunden Sohn zur Welt gebracht. Doch statt des großen Babyglücks erwartete sie erst einmal eine postpartale Depression. Aber was ist das eigentlich und warum tritt sie auf?

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Disclaimer: Hast du suizidale Gedanken oder Gedanken daran, dich oder dein Kind zu verletzen, dann wähle bitte umgehend folgende Nummer: 0800 / 11 10 111 oder 0800 / 11 10 222 (Telefonseelsorge der Diakonie, geöffnet rund um die Uhr)

Baby-Blues

Schätzungsweise 50-80% der gebärenden Frauen leiden an Baby-Blues.[1] Wobei diese Angaben sehr individuell sind, da die Einschätzung subjektiv ist. Und trotzdem weiß ohne Google kaum einer, was genau das eigentlich ist, oder überhaupt, dass es sowas gibt. Der Baby-Blues, auch Heultage genannt, ist ein Stimmungstief nach der Geburt. Er macht sich durch Erschöpfung, Müdigkeit und Stimmungsschwankungen bemerkbar. Außerdem ist die Frau vermehrt traurig und bricht dementsprechend oft plötzlich in Tränen aus. Gegebenenfalls kann sogar Schlafstörung eines der Symptome sein. Jedoch ist zu beachten, dass durch den Hormonumschwung ein gewisses Maß von Stimmungsschwankungen und -tiefs normal sein kann. Die Gefahr des Baby-Blues ist erhöht, wenn die Geburt anders verläuft als von der Mutter gedacht und vorgestellt.[2]
Sharon mit Baby auf dem Arm
Mein ganzer Stolz / Quelle: Sharon Kuhn

Postpartale Depressionen

Sollte der Zustand länger als ein paar Tage anhalten und nicht von alleine weggehen, handelt es sich ggf. um eine postpartale Depression, also eine Wochenbettdepression. Etwa 10-15% der Frauen sind davon betroffen. Unterschiede zum Baby-Blues sind unter anderem, dass man zu den bereits genannten Symptomen auch häufig überfordert ist und negative Gefühle seinem Neugeborenen gegenüber hat.[3] Besonders gefährdet sind Frauen, die schon früher einmal an Depressionen litten.[4] Und das ist bei jedem 4. bis 10. Diabetiker der Fall.[5] Sucht man sich nicht rechtzeitig Hilfe, kann das verheerende Folgen haben. So gibt es einige Mütter, die daran denken, ihr Kind anzuschreien, zu schütteln oder es gar auf den Boden zu werfen. Und trotzdem wurde mir weder von meinen zwei Hebammen noch von meinen zwei Frauenärzten gesagt, dass es die Wochenbettdepression gibt. Vor allem nicht, dass ich ein erhöhtes Risiko haben könnte. Obwohl sie wussten, dass ich früher an Depressionen litt. Also ist es kein Wunder, dass kaum einer davon weiß und völlig unvorbereitet ist, wenn es einen trifft.

Meine Geschichte

Noel war ein Wunschkind. Genau er. Genau zu diesem Zeitpunkt. Ich habe mir mit dem Diabetes viel Mühe gegeben, um keinen Grund für einen Kaiserschnitt oder ein früheres Einleiten zu haben, wie man auch an meinem HbA1c von 5,2% und TIR von ~91% sehen konnte. Es war also mein größter Wunsch, eine natürliche und spontane Geburt zu haben. Da mit meinem Diabetes und seinen Körpermaßen alles gepasst hat, habe ich auch gar nicht daran gedacht, dass es anders kommen könnte. Es war schon fast selbstverständlich für mich, dass wir eine Geburt ohne Komplikationen haben werden. Denn mit dem Diabetes lief ja alles gut. Es sollte dann aber ganz anders kommen. Wir mussten einleiten und landeten schlussendlich im Kaiserschnitt. Dann hatte unser Zwerg noch Probleme mit der Lunge und es hat eine Stunde gedauert, bis wir ihn bei uns hatten. Ich habe kaum schöne Erinnerungen an diese Geburt und bin dankbar, dass ich es nicht allein durchstehen musste. Nun lag er auf mir. Er lag einfach auf mir. Wir haben versucht, ihn an die Brust anzulegen, aber er wollte nicht. Also haben wir ihn zum Schlafen gebracht und ihn angehimmelt. Bzw. ich habe es versucht. Wir kamen auf unser Zimmer und konnten erstmal schlafen. Ich habe mich gefreut, dass er bei mir war. Ich war glücklich. Glücklich, dass es ihm gut ging. Aber irgendwie. „Er sieht doch so grimmig aus? Und diese Falten? Und das 3-fache Kinn? Ist das schön? Natürlich! Du musst deinen Sohn doch schön finden!“ Solche und ähnliche Gedanken begleiteten mich von nun an. Habe immer versucht, das mit Scherzen zu überspielen. Nach ein paar Tagen fing ich an, die Geburt zu verarbeiten. Ich habe vor Glück geweint bei dem Gedanken, dass es ihm gut geht. Aber sonst? Ich funktionierte. Ziemlich neutral. Mit Umständen, die ihn mich nicht anhimmeln lassen.

Warum erzähle ich euch davon?

Nachdem ich selbst in Berührung mit dem Thema kam, merkte ich, was für ein Tabuthema es ist. Ich kenne zwar eine Person, der es ähnlich ging. Aber das war’s auch schon. Ich fragte also Bekannte, die Diabetes haben und einen Kaiserschnitt, wie es ihnen erging. Und es kam raus, ihnen ging es genauso wie mir. Das hat mir einfach deutlich gemacht, wie viele damit zu kämpfen haben, ohne dass man es weiß.

Wie hat das bei mir geendet?

Erstmal wollte ich nie wieder schwanger werden. Ich wurde belächelt, meinte es aber absolut ernst. Die ganze Situation war absolute Hölle für mich.
Sharon mit Baby in der Natur
Unsere Stillbeziehung hat uns beim Aufbauen einer Bindung sehr geholfen. / Quelle: Sharon Kuhn
Da ich in der Schwangerschaft unter Gallenkoliken litt, wurde mir noch im Wochenbett die Gallenblase entnommen und es wurde nach Gallensteinen gesucht. Das hatte drei Narkosen und eine OP zur Folge. Nach jeder Narkose, von der ich aufwachte, war das Erste, woran ich gedacht habe, mein Sohn. Ich habe gefragt, wo er ist, fing an zu weinen und sagte, ich möchte zu ihm. Beim ersten Mal konnte man ihn zu mir bringen (er war solange beim Papa), ich habe ihn gestillt und gekuschelt. Der Abschied von ihm fiel mir schwer. Die nächsten beiden Male musste ich noch im Aufwachraum verweilen und ich habe ihn schrecklich vermisst. Es hat mindestens zehn Minuten gebraucht, bis ich mich beruhigt und um meinen Diabetes gekümmert habe. Wobei mein Blutzucker normal immer das Erste war, worum ich mich in so einer Situation gekümmert habe. Aber nun wusste ich: Das Ganze hat ein Ende! Ich habe definitiv Muttergefühle und liebe meinen Sohn von Herzen. Ab diesem Tag wurde es mit jedem Tag besser. Ich konnte auf einmal nicht mehr verstehen, wie ich mein Kind nicht hübsch finden konnte. Er ist bis heute für mich das allerschönste und süßeste Baby überhaupt. Sobald ich ihn ansehe, wird mir warm ums Herz. Ich bin glücklich und mir schießen sofort Tränen in die Augen, wenn ich daran denke, was für einen großartigen Sohn ich habe.

Was hätte/hat mir in so einer Situation geholfen?

  1. Vorwarnen: Da ich schon früher an Depressionen litt und ich mir somit generell Sorgen gemacht habe, den Baby-Blues oder eine postpartale Depression zu bekommen, habe ich schon vor der Geburt mit meiner Hebamme darüber gesprochen, damit sie verstärkt darauf achten kann.
  2. Mit jemandem reden, dem ich vertraue: Mein Partner, meine Eltern, Geschwister oder Freunde. Die können darauf achten, dass mir und meinem Kind nichts Schlimmes passiert, und ein Auge auf uns werfen.
  3. Mit jemandem reden, der evtl. Ähnliches durchgemacht hat: Durch solche Gespräche kommt oft heraus, dass mein Gegenüber auch an solchen Beschwerden litt. Ein Austausch mit Gleichgesinnten hilft, das Ganze zu akzeptieren.
  4. Professionelle Hilfe holen: Mit meiner Hebamme darüber reden. Sie hatte solche Fälle schon öfters und weiß, was in einer solchen Situation zu tun ist. Wenn ich merke, dass das nicht reicht, würde ich nächstes Mal zu einem Psychologen gehen. Dafür braucht man sich nicht zu schämen! Ich war auch dieses Mal kurz davor.
  5. Unterstützung holen: Freunde und Familie um Hilfe bitten. Sei es, mir das Kind mal für eine Stunde abzunehmen, für mich gesund zu kochen oder im Haushalt zu helfen. Auch ich muss in dieser Situation erstmal meinen Platz finden!
  6. Keinen Stress machen! Der Haushalt muss nicht perfekt aussehen, Hauptsache, ich kann drin wohnen. Mein Essen muss nicht täglich frisch gekocht sein, mein Baby liebt mich auch ungestylt und ungeduscht.
  7. STOP sagen! Wenn mir Tipps, Ratschläge oder Besuch zu viel werden, dann sage ich das.
  8. Zeit für mich nehmen: Mal ’ne halbe Stunde in die Wanne, wenn das Baby schläft, oder einfach ein Buch lesen. Egal was. Meinem Kind kann es nur gut gehen, wenn es mir gut geht.
Weitere Infos und Hilfe findest du Beispielsweise unter https://www.deutsche-depressionshilfe.de/krisentelefone
Sharon und ihre Familie
Hier sind wir endlich eine glückliche Familie! / Quelle: Sharon Kuhn

Schlusswort

Lieber Noel, es tut mir von Herzen leid, was ich zu Beginn nach deiner Geburt über dich gedacht habe, und nicht in der Lage war, für dich zu fühlen. Es tut mir wahnsinnig weh, wenn ich daran zurückdenke, und ich wünschte, ich könnte es ungeschehen machen. Doch konnte ich nicht einmal was dafür. Ich möchte, dass du weißt, dass Mama wahnsinnig stolz auf dich ist! Ich bin froh und dankbar, einen gesunden Sohn wie dich zu haben. Bitte bleib immer so einzigartig und wundervoll, wie du bist! Ich liebe dich von Herzen, deine Mama. [1] https://www.baby-und-familie.de/Geburt/Postpartale-Depression-Wenn-die-Muettergefuehle-fehlen-163613.html [2] https://www.netdoktor.de/krankheiten/wochenbettdepression/baby-blues/ [3] https://www.deutsche-depressionshilfe.de/depression-infos-und-hilfe/depression-in-verschiedenen-facetten/in-der-schwangerschaft-und-nach-der-geburt [4] https://www.baby-und-familie.de/Geburt/Postpartale-Depression-Wenn-die-Muettergefuehle-fehlen-163613.html [5] https://www.diabetes-news.de/wissen/psychologische-aspekte/depressionen
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2 Kommentare zu “Babyblues und postpartale Depressionen

  1. Hallo, ich hatte damals nach der Geburt meines Sohnes ebenfalls eine Wochenbettdepression. Diese hat mich echt eiskalt erwischt. Die Geburt war mehr als anstrengend und hat sich über vier Tage hingezogen, und endete schließlich mit einem Kaiserschnitt.
    Ich hätte nie gedacht, dass man solche finstere Gedanken haben kann. Ich hatte ständig ein schlechtes Gewissen (ich musste doch jetzt total glücklich sein…) und eine Riesenangst, da es mit dem Stillen nicht sofort klappte, dass mein Kind verhungert. Wenn mein Mann nicht gewesen wäre, wüsste ich nicht, ob ich heute noch wirklich da wäre…. sobald es abend wurde, mein Sohn wurde auch noch im November geboren, ging meine Stimmung im Keller und ich hatte eine Heulattacke nach der anderen. Ich war oft sehr gereizt, überfordert und hab nichts mehr auf die Reihe bekommen. Wenn mein Mann abends nach Hause kam, hat er den kompletten Haushalt schmeissen müssen und war noch für mich und meinen Sohn da. Fast ein dreiviertel Jahr hab ich damit zu kämpfen gehabt. Im Nachhinein denke ich, dass ich auf jeden Fall professionelle Hilfe gebraucht hätte. Aber ich hab echt immer gedacht, das wird irgendwann wieder besser und Du musst nur durchhalten. Ich arbeite seit über 20 Jahren mit psychisch erkrankten Menschen. Aber zwischen Hilfe anbieten und annehmen ist doch ein Himmelweiter Unterschied. Letztendlich hat mich und meinen Sohn das Stillen gerettet, dass irgendwann dann doch, auch dank meiner Hebamme, gut funktioniert hat. Das Thema Wochenbettdepression wird immer noch gern verschwiegen und sollte viel mehr publik gemacht werden. Meiner Ansicht nach gehört es zur Aufklärung, entweder durch den Gynäkologen oder im Geburtsvorbereitungskurs….. Ich finds klasse, dass Du über dieses Thema geschrieben hast…..
    Liebe Grüße
    Danny

    1. Es schön zu hören, dass sich noch alles zum Guten gewendet hat und dein Mann für dich da war!
      Ich finde es interessant, dass auch bei dir genauso wie bei mir, das Stillen ein wichtiger Aspekt war.
      Ich wünsche euch noch alles Gute 🙂

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