Druck von außen – was Vorurteile und Kommentare auslösen können

Die Konfrontation mit Vorurteilen und lieb gemeinten Ratschlägen war noch nie einfach. Jeder findet seinen Weg, damit umzugehen. Lisa fragt sich, welche lang- und kurzfristigen Gefühle sie dabei durchlebt.

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Diabetes? Du siehst gar nicht so aus!“ Schon als 10-Jährige machten solche Kommentare einiges mit mir. In meinem kindlichen Kopf verfestigte sich der ungeheure Wunsch, gegen diese Vorurteile anzugehen und erst recht nicht auszusehen, wie sich viele Menschen Diabetiker vorstellen.

So fing ich schon im Kindesalter an, Sport zu treiben und auf meine Ernährung zu achten. Ich wollte diesem blöden Satz „Du siehst gar nicht aus wie jemand, der Diabetes hat“ nicht nur verbal entgegentreten, sondern mein ganzes Erscheinungsbild sollte direkt zeigen, wie Menschen mit Diabetes aussehen können und vor allem: was sie alles können! Nämlich alles, was jeder andere Mensch auch kann.

Quelle: Lisa Schütte

Heute glaube ich, auch das war einer der vielen Faktoren, die mich am Ende auf den Weg einer Essstörung brachten. Dieser starke, innere Wunsch, allen Vorurteilen zu widersprechen. Allein durch mein Äußeres. Ich hatte all diese Kommentare so satt. Ich wollte nicht länger erklären oder gar diskutieren. Ich wollte nur zeigen, wie so ein Leben mit Diabetes aussehen kann.

Das ist nun bald 22 Jahre her und manchmal habe ich auch heute noch das Gefühl, gegen Windmühlen zu kämpfen. Zwar hat sich in den letzten Jahren einiges getan, doch noch immer sehen sich Menschen mit Diabetes immer wieder mit Vorurteilen konfrontiert. Fast einhergehend mit blöden Kommentaren oder noch besser: Halbwahrheiten verpackt in liebgemeinten Ratschlägen. Sorry, aber ich kotze.

Welches Wissen kann man erwarten?

Dabei kann man den meisten gar keine Vorwürfe machen. Diabetes wird zwar gerne als Volkskrankheit betitelt und immer kennt jemand irgendjemanden, der jemanden mit Diabetes kennt, aber ganz so einfach ist es eben doch nicht. Diabetes ist nicht gleich Diabetes. Aber sich wirklich mit Diabetes zu beschäftigen, das tut man meistens nur, wenn man selbst oder Angehörige betroffen sind. Ich möchte niemandem Vorwürfe machen, weil er nicht über das Diabeteswissen verfügt wie ich. Hätte ich keinen Diabetes, wer weiß, was ich darüber wüsste?

Doch genau da sollten wir vielleicht einhaken: Nur weil man hier oder da mal etwas über Diabetes gelesen, die Nachbarskatze Diabetes oder der Onkel zweiten Grades Probleme mit seinen Füßen hat – natürlich wegen Diabetes –, heißt das nicht, dass man Ratschläge verteilen kann. Auch wenn es lieb gemeint ist.

Quelle: Lisa Schütte

Das kommt, in der Regel, bei Menschen mit Diabetes nicht sonderlich gut an. Und gerade bei Menschen mit weniger Selbstbewusstsein oder eben bei Kindern wie mir können solche Kommentare noch ganz andere Dinge auslösen. Vielleicht fühlt man sich in eine Schublade gesteckt. Oder man fühlt sich weniger gesehen, auf den Diabetes reduziert. Vielleicht fühlen sich Sätzen wie „Du hast wohl zu viel Süßes gegessen“ eher an wie: „Du bist doch selbst schuld am Diabetes.“ Und plötzlich hat man den Drang, sich selbst zu erklären, vor einer Person, die man im besten Falle das erste Mal sieht.

Übergriffige Kommentare

Ich selbst empfinde zum Beispiel die Frage „Wie sind denn deine Blutzuckerwerte?“ durchaus als übergriffig. Ausgenommen, sie findet in einem passenden Kontext, wie zum Beispiel beim Diabetologen, statt. Meine Glukosewerte sind schon eine sehr private Sache und ich fühle mich dabei direkt wie vor einem Prüfungsausschuss. Sage ich, dass meine Blutzuckerwerte gerade nicht sonderlich gut sind, könnte der Unwissende denken, es sei meine Schuld, vielleicht sogar mein Versagen, und dann muss ich wiederum erklären, warum sie gerade schlecht sind.

Nein, Moment mal! Ich muss gar nichts. Dennoch fühlt es sich eben manchmal so an, als müsste ich auf all die Vorurteile und Kommentare reagieren. Nicht nur für mich, für alle Menschen mit Diabetes. Um Vorurteilen und gefährlichem Halbwissen den Kampf anzusagen. Damit sich niemand mehr davon belästigt, belächelt, diskriminiert oder unter Druck gesetzt fühlt.

Denn im Leben mit Diabetes macht man sich selbst oft schon genug Druck. Man selbst hat mit Sicherheit die größten Ansprüche an sich und das Leben mit Diabetes. Da brauchen wir keine unüberlegten Kommentare, die unsere Gefühlswelt zusätzlich auf den Kopf stellen.


Weitere Gedanken von Lisa zu dem Thema findet ihr in dieser Podcastfolge: Erwartungen an das Leben mit Diabetes (Podcast)

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