„Time in Range“ und „Time in tight Range“ – oder doch eher „Zeit in Rage“? 🤯

„Time in Range“ (TIR) und mittlerweile auch „Time in Tight Range“ (TITR) sind jedem CGM-nutzenden Menschen mit Diabetes ein Begriff. Doch sind solche strikten Therapieparameter überhaupt hilfreich, da sie ja mitunter dafür sorgen, dass die psychische Belastung durch das alltägliche Diabetesmanagement noch größer werden? Caro hat sich darüber Gedanken gemacht.

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Time in Range“ und „Time in tight Range“ – manchmal möchte man vielleicht eher von „Time in Rage“ sprechen …🤯
Aber erst mal zu den Begriffen: „Time in Range“ wird mit „Zeit im Zielbereich“ gut übersetzt. Diese ist in der Diabetestherapie ganz allgemein auf den Bereich zwischen 70 und 180 mg/dl (3,9 bis 10 mmol/l) festgesetzt. Mit diesen Zahlen muss man sich also messen lassen. Darauf hat man sich geeinigt. Im Vergleich dazu wird neuerdings immer mehr über die „Time in tight range“, also die Zeit im „engen bzw. strengen Zielbereich“ diskutiert.

Dieser strengere Bereich bezieht sich auf Werte zwischen 70 und 140 mg/dl (3,9 bis 7,8 mmol/l). Durch die Verbreitung der Daten von CGM Systemen und mit dem Erscheinen der AID-Systeme auf dem Markt, wird nun damit argumentiert, dass mit Hilfe der verbesserten technischen Hilfsmittel, das Erreichen der Ziele leichter geworden ist. Die TITR ist den Einstellungen eines Menschen ohne Diabetes ähnlicher.

Hypos vermeiden vs. Stress vermeiden

Die folgende Grafik zeigt die derzeit gültigen Festlegungen. Im Bereich des Schwangerschaftsdiabetes gelten bereits die strengen Werte. Diese zwei unterschiedlichen Zielbereiche werden derzeit jedoch noch heiß diskutiert.

Eine Seite argumentiert, dass immer noch zu viele Komplikationen, vor allem durch Hypoglykämien, entstehen (auch mit Blick auf die Entstehung von Demenzerkrankungen) und dass daher eine strengere Einstellung, die mit den modernen Technologien leichter zu erreichen ist, vorzuziehen sei. Die andere Seite argumentiert dagegen, dass die psychische Belastung durch das alltägliche Diabetesmanagement, mit dem Menschen mit Diabetes auf sich allein gestellt umgehen müssen, schon enorm hoch ist. Das Vorkommen depressiver Phasen und von Diabetes-Burnouts ist bei Menschen mit Diabetes signifikant höher.

„Time in Happiness“ nicht vergessen!

Die Erhöhung der Anforderungen an die Therapie kann somit kontraproduktiv sein. Um diese strengen Werte zu erreichen, braucht es viel Kontrolle (wenn es die überhaupt geben kann 😉), Disziplin, gut abgestimmte und immer wieder angepasste Faktoren u.v.m. Die Gefahr, die Zeit in Hypoglykämien durch zu viele Korrekturen zu erhöhen, sollte nicht außer Acht gelassen werden. Das Aufrechterhalten der Motivation, sich so intensiv um den Diabetes zu kümmern, ist besonders langfristig schwierig. Dies sind alles Dinge, die das Erreichen dieser strengeren Therapieeinstellung durchaus schwierig machen können.
„Time in Happiness“, also die „Zeit im Glück“ sollte dabei im direkten Vergleich zur „Zeit im Zielbereich“ immer im Auge behalten werden – egal welcher Zielbereich angestrebt wird!

Auch wenn die Nutzung der TITR derzeit nur eine Option für alle darstellt, so soll doch beim nationalen Diabetesregister in Schweden dieses neue Maß als Benchmark für Kinder verwendet werden!

Während im Deutschen Ärzteblatt von 2019 noch die TIR im Vergleich zum HbA1c diskutiert wird (s. Tabelle 2), und auch hier noch keine gesicherten Studien dazu vorliegen, in wie weit, welche Werte der TIR denn Folgeerkrankungen verzögern oder verhindern können, gibt es bis heute meines Wissens keine gute Studienlage, die Schlüsse darüber zulässt, ob eine strengere Einstellung mit der Betrachtung der TITR Vorteile bieten könnte.

Interessant ist allerdings die Tabelle 1, die zeigt, dass eine höhere TIR zu einem besseren HbA1c führt – und dies in einer direkten Korrelation zueinandersteht. Während ein Blick nur auf den HbA1c durchaus die in Hypos verbrachte Zeit sehr gut verschleiern kann.

Ein Wert, der Schwankungen in den Fokus nimmt

Das führt mich zu dem Gedanken … ist ein Blick auf die Variabilität der Glukosewerte hier nicht viel interessanter? GVI (Glucose Variability Index) und PGS (Patient Glycemic Status) sind Werte die von Dexcom entwickelt wurden (mehr dazu hier).

Hier geht es darum, die Schwankungen zu bewerten, die es innerhalb der Glukosekurve gibt. Je weniger Schwankungen desto besser die Therapieeinstellung. Besonders mit Blick auf die Augen und den Augenhintergrund ist dies ja durchaus interessant (die kleinen Blutgefäße im Auge leiden durch schnelle Blutzuckerschwankungen besonders). Vielleicht sollte also auch dieser Wert und seine Bedeutung für die Therapieeinstellung in den Fokus gerückt werden?!

Auch wenn Dexcom diesen Wert meines Wissens aktuell nicht mehr verwendet und er natürlich auch, wie alle anderen Werte seine Tücken hat (siehe hierzu den schönen Bericht), so bin ich doch der Meinung, dass diese Werte, wenn richtig interpretiert und mit anderen Werten wie HbA1c und SD (standard deviation) kombiniert werden, eine gute Einschätzung der Stoffwechsellage erlauben. Wenn man nun auf die TITR blicken möchte, müssten auch diese Werte entsprechend angepasst betrachtet werden.

Wie steht ihr denn zu diesen beiden Werte-Bereichen? Glaubt ihr, die TITR leicht erreichen zu können oder denkt ihr eher an Druck, der euch entsteht, wenn diese Werte zukünftig betrachtet werden sollen?

Quelle der Grafik 1 sowie Tabellen 1 und 2:
SUPPLEMENT: Perspektiven der Diabetologie. Time in Range: Ein neuer Parameter – komplementär zum HbA 1c; Dtsch Arztebl 2019; 116(43): [4]; DOI: 10.3238/PersDia.2019.10.25.01


2 Kommentare zu “„Time in Range“ und „Time in tight Range“ – oder doch eher „Zeit in Rage“? 🤯

  1. Danke Caro für die wunderbare Zusammenfassung und Einschätzung.
    Was mir da sofort in den Kopf schießt: Früher hatten wir ja nix, außer dem HbA1c und wenn es gut lief 4-5 Werte am Tag. 😉

    TiR ist für mich im täglichen Management Richtwert und grob: wenn, dann so kurz wie möglich Ü250 und nach Möglichkeit gar nicht erst Ü180, dann bleib es entspannt.
    TiTR werde ich mal rein interessehalber rückwirkend auswerten und auch quartalsweise vergleichen, erscheint mir aber im Moment für mich persönlich nicht relevant und zu anstrengend, als dass ich da täglich drauf achten wollen würde. Aber so ganz grob mache ich das ja mit dem Zielwert ja doch irgendwie.

    Seit ich wieder besser auf mein Management und das Risiko möglicher Folgeerkrankungen achte, nutze ich für meine langfristige Beurteilung und nicht für das tägliche Management, die Kombination aus mehreren Werten und deren quartalsweisen Verlauf. Nur das gemeinsam lässt meines Erachtens ein gutes Gesamtbild entstehen und kein Einzelwert.
    HbA1c, TiR, GVK, GVI, PGS, PGR (prognostischer glykämischer Risikoparameter) und der durchschnittliche Glukosewert.
    (Dank Nightscout-Reporter für beliebige Zeiträume auswertbar)

    1. Ja, danke für deine ausführliche Stellungnahme! Es gibt tatsächlich so viele Zahlen, um den Diabetes zu “vermessen”…man sollte wirklich darauf achten, die Zahlen zu finden, die einem helfen, Therapie-Entscheidungen zu treffen… alles andere wird zu Ballast!

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