Zuckersüße Protagonisten – Dunbridge Academy, Band 3

Ein Buch mit einem Protagonisten mit Typ-1-Diabetes gibt es nicht oft. Merle hat sich für euch Band 3 von Dunbridge Academy durchgelesen und ein Fazit zur Darstellung des Diabetes gezogen.

Weiterlesen...

Menschen mit Diabetes in der Position der Protagonistinnen oder Protagonisten, findet man in Büchern eher selten. Um so mehr habe ich mich gefreut, als ich den dritten Band der Dunbridge-Academy-Trilogie begonnen habe und auf Seite 42 feststellen durfte, dass Collin Fantino Diabetes hat. Collin ist einer von zwei Hauptfiguren in diesem Buch, und allein wegen dieses Details musste ich es einfach lesen.

„Oh nein er ist im Unterzucker, wir müssen unbedingt
Insulin spritzen!“

Vorab möchte ich sagen, dass ich das Buch geliebt habe und jeder negative Kommentar Meckern auf hohem Niveau ist. Soweit ich bei meiner Recherche herausfinden konnte, hat Sarah Sprinz, die Autorin, selbst nicht Diabetes. Dafür war dieses Buch wirklich gut recherchiert. Ich glaube, ich spreche für die geballte Diabetikerfront, wenn ich sage, dass wir bereits mehr seltsame Diabetesszenen in Filmen und Serien gesehen haben, als uns lieb ist. Ganz nach dem Motto: „Oh nein, er ist im Unterzucker – wir müssen unbedingt Insulin spritzen!“ Auf diesem Level findet man kein einziges Ereignis bei Dunbridge
Academy – anytime.

Vorab ein paar Infos

Ich habe die verschiedenen Szenen, in denen Collins Diabetes thematisiert wurde, in vier
Level kategorisiert:
Level 1 = exzellent (einfach nur Liebe)
Level 2 = eine Kleinigkeit hat mich gestört
Level 3 = nicht fachlich inkorrekt, aber ich möchte über die Ereignisse reden
Level 4 = fachlich inkorrekt

Die Diabetes-Einleitung

„Mein Herz pocht weiter, meine Hände sind schwitzig, und erst als mir ein wenig schwindlig wird, komme ich auf den Gedanken, dass es noch einen anderen Grund für meine Nervosität und dieses Ekelhafte Panikgefühl geben könnte. […] als ich die App auf meinem Handy öffne, die mir den aktuellen Blutzuckerwert übermittelt, die der Sensor in meinem Oberarm erfasst“ (S. 42 und 43). Mit diesen Worten wird Collins Diabetes eingeführt. Meiner Meinung nach ein ganz klarer Level-1-Satz. Die Autorin fällt nicht sofort mit der Tür ins Haus und erwähnt nicht im allerersten Satz, dass Collins Diabetiker ist. Es geht vielmehr fließend, wie es auch im wahren Leben ist. Zudem wird direkt eingeleitet, wie anstrengend eine Unterzuckerung sein kann – was ein weiter Punkt ist, warum ich dieses Buch liebe. Es thematisiert auch die nervigen Seiten des Diabetes, ohne dabei zu übertreiben oder pessimistisch zu werden.

Ein Messgerät aus der Zukunft?

Wie oben bereits zitiert, erzählt Collin in seinem ersten Kapitel davon, dass er einen Sensor am Oberarm trägt, der seinen Blutzucker misst. Später im Buch erwähnt er gegenüber Olive, er würde eine Pumpe mit integriertem Messgerät am Bauch tragen. Einem Nicht-Diabetiker würde dieses Detail wohl kaum auffallen, aber ich würde diese Diskrepanz als Level 2 einstufen. Ich habe mich schon ein wenig gewundert bei Collins Kommentar „damit sie den runden Pod sehen kann, der […] meine Pumpe sowie ein Messsystem vereint“ (S. 169). Mir ist so ein System noch nicht unter die Augen gekommen. Nach ein wenig Recherche und Herumfragerei habe ich in Erfahrung gebracht, dass Medtronic vor einiger Zeit so ein integriertes System angekündigt hatte, doch bisher hat es dieses noch nicht auf den Markt geschafft. Hätte sich Sarah Sprinz nicht in Kapitel 3 und 12 widersprochen, könnte man sagen, es spielt einfach ein paar Jahre in der Zukunft. Ich bin mir sicher, wir alle würden es Collin gönnen.

Was ist eigentlich „Messen”?

Ein weiterer Punkt, der mich ein wenig gestört hat, ist, dass Collin im gesamten Buch das Kontrollieren seines Blutzuckers in der App als „Messen“ betitelt. Diese Begrifflichkeit ist für mich wieder ein Level-2-Fall. Wenn man uns Diabetikern sagt „Ich messe meinen Blutzucker”, gehen wir davon aus, dass es über Blut und einen Messtreifen erfolgt. Das bloße Nachschauen in der App würde ich vielmehr als „Nachschauen“, „Kontrollieren“ oder „Checken“ bezeichnen. In mir hat sich so immer ein wenig der Diabetiker gesträubt, doch den meisten Lesern, die keinen Diabetes haben, ist diese Begrifflichkeit wahrscheinlich gar nicht aufgefallen.

Falsches Bild von Menschen mit Typ-1-Diabetes

In Kapitel 11 kommen wir zu meiner ersten Level-3-Szene: Olive erfährt auf Seite 165 davon, dass Collin Diabetiker ist, und ich persönlich finde ihre Reaktion nicht okay. Eine ihrer ersten Aussagen äußert sie glücklicherweise nur gegenüber ihren Freunden: „[…] muss man nicht als Diabetiker darauf achten, nicht zu viel Zucker zu sich zu nehmen? Er isst die ganze Zeit“ (S. 166). Ich finde diese Aussage sehr gut platziert, da hiermit auf das falsche Bild und die Stigmatisierung der Typ-1-Diabetiker in der Gesellschaft hingewiesen wird.

Grenzüberschreitung der Figuren

Wie sie später aber mit Collin umgeht, geht gar nicht, wie ich finde. Wie gesagt, ich stufe dies als Level 3 ein, also keineswegs eine Kritik an der Autorin, sondern an Olive als Person. Ich finde, sich überschreitet meilenweit eine Grenze, indem sie Collin praktisch zwingt, mit ihr darüber zu reden (S. 169). Es gibt zwei Arten von Diabetikern: Jene, die kein Problem mit ihrer Diagnose haben, gerne alle Fragen beantworten und einen Einblick in ihr Leben geben und solche wie Collin, die ganz offensichtlich nicht darüber reden wollen, die versuchen, eine Sonderbehandlung zu vermeiden und am liebsten alle Zeichen für ihre Krankheit verstecken möchten.

Schon in Kapitel 4, auf Seite 67 ist Collin nicht davon begeistert, dass Sinclair, sein Mitbewohner, von seiner Mutter, der Direktorin, von seiner Diagnose erfahren hat. In diesem Fall könnte man noch mit Vernunft argumentieren, dass es wirklich lebensrettend sein kann, wenn dein Mitbewohner von deinem Diabetes weiß. Eine wildfremde Mitschülerin jedoch, die dich nicht einmal großartig leiden kann, „muss“ (wie Olive es auf S. 165 betitelt) es auf gar keinen Fall wissen. Ich kann ihre Reaktion vor dem Hintergrund verstehen, dass sie sich schlecht fühlt, ihn für das Essen und Handybenutzen verurteilt zu haben, doch deswegen sollte sie nicht Collins Grenzen überschreiten.

„Zu Mahlzeiten kann ich einen Bolus abgebe. Also Insulin, das schnell wirkt, wenn ich etwas esse.“

Im gleichen Kapitel gibt Collin nach und erklärt ihr einige Dinge. Abgesehen von dem bereits erwähnten Pumpen-Sensor-Widerspruch, ist die Szene wirklich gut gestaltet. Sarah Sprinz erhält von mir ein Extra-Sternchen dafür, dass sie nicht nur den Zucker, sondern auch die Kohlenhydrate im Essen erwähnt. Dies hat mein Diabetiker-Herz ein wenig höher schlagen lassen. Eine klare Level-1-Einstufung! Auch die Erwähnung der Basalrate hat mich sehr gefreut. Allerdings sagt Collin im folgenden Satz: „Zu Mahlzeiten kann ich einen Bolus abgeben. Also Insulin, das schnell wirkt, wenn ich etwas esse“ (S. 171). Die Erwähnung der Terminologie „Bolus“ hat mich wieder erfreut, allerdings ist die Aussage nicht völlig korrekt (Level 2). Über eine Insulinpumpe wird reinweg schnellwirksames Insulin abgegeben; auch für die Basalrate. Diese ist so konzipiert, dass sie quasi den ganzen Tag wirkt – aber nur durch ständige Abgabe, nicht durch eine andere Art des Insulins. Kurz- und Langzeitinsulin wird lediglich von Diabetikerin benutzt, die manuell spritzen.

„Wichtig ist, dass ich die meiste Zeit ungefähr um die Hundert liege.“

Noch auf der gleichen Seite kommen wir zu dem Punkt, der mir am meisten unter den Nägeln gebrannt hat – ebenfalls ein Level-3-Fall. Collin erwähnt gegenüber Olive: „Wichtig ist, dass ich die meiste Zeit ungefähr um die Hundert liege“ (S. 171). Sechs Zeilen später stellt Olive fest, dass Collins aktueller Wert zu niedrig ist. Es wird sogar erwähnt, dass er zweistellig ist, aber es fällt kein einziges mal eine Zahl. Dies zieht sich durch das gesamte Buch. Niemals wird eine echte Zahl zu Collins Blutzucker erwähnt. Das hat mich fast verrückt gemacht. Natürlich ist es wieder ein klarer Fall von ‚keinem Nicht-Diabetiker wäre das je aufgefallen‘. Aber ich habe immer darauf gewartet, die Situation einschätzen zu können und diese Erlösung wurde mir nicht gegönnt.

In dieser Szene hätte eine solide 75 mg/dl gereicht. Tief genug, um zittrig zu werden, aber noch nicht ohnmachtsgefährdend. Außerdem schien Sarah Sprinz bereits zu wissen, dass sich Unterzuckerungen etwa im zweistelligen Bereich abspielen. Da wäre der Weg zur Zahl nicht mehr weit gewesen. Genau genommen könnte man ihr auch gar keinen Fehler bei jeglicher zweistelligen Zahl andrehen, da jeder Diabetiker anders reagiert. Manche können mit 30 mg/dl noch gut herumlaufen, andere haben bei 60 mg/dl bereits Sichtprobleme. Dieser Punkt hat bei mir persönlich am meisten Unruhe ausgelöst, trotzdem hat es weiter nicht groß gestört.

Wichtige Themen wie Langzeitschäden, Unterzucker-Symptome oder HbA1c werden besprochen

Das zwölfte Kapitel ist jenes im Buch, in dem es sich am meisten und im Grunde ausschließlich um Collins Diabetes dreht. Mir persönlich hat es sehr gut gefallen, da jegliche wichtige Themen abgedeckt wurden, ohne, dass sie erzwungen wirkten. Besonders für Menschen, die Diabetiker in ihrem Umfeld haben, kann diese Kapitel sehr interessant sein, da auch Dinge erwähnte werden, die wir so im Alltag selten thematisieren. Es wird über Themen gesprochen wie: Langzeitschäden, jegliche Unterzucker-Symptome (die echt unangenehm werden können), HbA1c (ich bin mir sicher, keiner meiner Freunde hat einen Plan, was das sein soll), Hypoglykämie-Wahrnehmungsstörung und weitere. Ich würde dies als das wichtigste und schwierigste Kapitel hinsichtlich des Themas Diabetes einstufen. Dieses hat Sarah Sprinz wirklich gut gemeistert. Und wie bereist erwähnt: Ich bin beeindruckt, wie einfach es sich lesen ließ. Zu keinem Moment fühlte es sich wie eine Lehrstunde an.

Weitere Grenzüberschreitung

Ein paar Kapitel später ist mir Olive noch einmal auf die Nerven gegangen. Sie wirft ihrem Vater, dem Internatsarzt, vor, dass er sie nicht über Collins Diagnose aufgeklärt hat (S. 187). Olive und ihre Grenzen… Natürlich wäre dies ein Verstoß gegen die ärztliche Schweigepflicht gewesen, und eigentlich müsste Olive das wissen. Da hätte ich sie am liebsten geschüttelt!

Und ein weiteres Mal überschreitet Olive eine Grenze, als sie am Ende von Kapitel 21 Collin beim Frühstück danach fragte, woher er weiß, wie viel Insulin er spritzen muss (S. 278). Im Grunde ist dies eine sehr harmlose Frage, die die meisten Diabetiker gerne beantwortet hätten. Doch Olive sollte nach der Hälfte des Buches langsam mal ein Feingefühl dafür entwickeln, ob Collin in der Öffentlichkeit vor all seinen Klassenkameraden auf seine Krankheit angesprochen werden möchte oder nicht. Ihre patzige Antwort: „Sorry, dass ich mich interessiere“ (S. 279), ist keine angebrachte Entschuldigung. Nein, Olive, eine angebrachte Antwort wäre gewesen: „Entschuldige, dass ich so neugierig bin. Wenn du nicht drüber reden willst, ist das okay!“ Sie führt sich sehr wie der Main-Charakter auf, was sie zugegeben auch ist, trotzdem überschreitet sie stetig die Grenzen des anderen Main-Charakters. Ihr fehlt schlicht und einfach die Gabe, sich in Collins Lage hineinzuversetzen. Dabei müsste sie es eigentlich können, da auch sie ihre Narben nicht gerne zur schau stellt.

Achtung, Spoiler!

Im letzten Drittel des Buches kommt es noch einmal zu einem Zwischenfall mit Alkohol. Darüber habe ich mich persönlich sehr gefreut (auch wenn ich für Collin natürlich nur das Beste will). Dieses Thema ist nämlich ein großes Ding im Leben jedes Teenagers mit Diabetes. Ich hätte es ein wenig schade gefunden, wenn der Alkoholkonsum ohne jegliche Probleme nebenbei gelaufen wäre. Glücklicherweise war auch dies gut recherchiert. Collin hatte sich infolge eines Streits betrunken und sich – wie es mal vorkommen kann – verspritzt. Auf Seite 368 wacht er mitten in der Nacht in einer sehr tiefen Unterzuckerung (leider ohne Nennung des Werts) auf. Obwohl Olive ihm etwas zu trinken besorgt, kann die Ohnmacht nicht verhindert werden. Er kommt mit dem Notarzt ins Krankenhaus und kann – Achtung, Spoiler 😉 – natürlich gerettet werden.

Obwohl das Kapitel aus Olives Sicht geschrieben ist, kommt Collins Hilflosigkeit sehr gut zum Ausdruck. Ich persönlich konnte seinen Zustand gut nachempfinden. Was eine Kunst von Sarah Sprinz ist, wenn man bedenkt, dass sie wohl eher nicht weiß, wie sich eine wirklich schwere Unterzuckerung anfühlt. Hier wurde also noch einmal eine schöne Level-1-Szene geschaffen. Abschließend kann ich eigentlich nur sagen, dass ich dieses Buch sehr geliebt habe. Auch wenn ich Olive ab und zu gerne durchgeschüttelt hätte, hatte ich eine Menge Freude beim Lesen und bin der Meinung, dass es neben einem guten New-Adult-Roman auch eine Bereicherung der Diabetes-Welt darstellt. Ich kann es jedem Menschen, der etwas mehr über das Leben seiner Mitmenschen mit Diabetes erfahren möchte (und gerne Romane ließt), nur wärmstens empfehlen.

Collin als Menschen mit Diabetes in einem Buch: ein Geschenk

Ich persönlich sehe die Art und Weise, wie Collins Diabetes in diesem Buch erwähnt wurde, als Geschenk. Allein schon die Schilderung, wie sich Unterzuckerungen anfühlen, kann bei den Mitmenschen ein besseres Verständnis für Diabetiker schaffen. Ich habe noch nicht ehrlich zugegeben, wie mies man sich in einer tiefen Unterzuckerung fühlen kann. Auch nicht, wenn ich mittendrin gesteckt habe. Irgendwie tut man es einfach nicht. Um so leichter ist es, auf diese Art und Weise für Verständnis und Wissen zu sorgen. Dafür ein großes Danke an Sarah Sprinz!

© Bastei Lübbe AG

Dunbridge Academy – Anytime
von Sarah Sprinz
LYX, 2022, 5. Aufl., 479 Seiten, Paperback
ISBN-10: 3736316852
ISBN-13: 9783736316850

Weitere Informationen und Shop: www.luebbe.de/lyx/buecher/new-adult/dunbridge-academy-anytime/id_8604005

Schreibe einen Kommentar