Als Diabetiker mit mehreren Autoimmunerkrankungen leben – wie geht das? Heike hat Roman getroffen und führte mit ihm zu diesem Thema ein spannendes Interview.

Was konntest du als Diabetiker mit Zöliakie dann essen?
R: Die Ernährung ist damals sehr viel nach Rezepten abgelaufen. Der Arzt hat gesagt, das und das darfst du essen. Und dann wurde sich strikt daran gehalten. Beim Diabetes bedeutete das – alles, wo Zucker darauf stand, kam nicht in Frage. Bei einem Unterzucker gaben sie mir keinen Zucker, sondern nur Traubenzucker kam in Frage. Verrückt, oder? HW: Und wie schaut es heute aus? R: Heute ist mein Leben als Diabetiker mit Zöliakie viel einfacher. Die Technik hat sich sehr verbessert. Musste ich früher noch auf einen Urinteststreifen pieseln, um meinen Blutzucker zu testen, gibt es heute praktische Testgeräte, die den Blutzucker in 5 Sekunden anzeigen. Beim Essen spüre ich viel nach Innen und auf meinen Körper. Ich esse aber wenig Brot. HW: Trinkst du Alkohol, wenn du fortgehst? R: Ich trinke Bier. Es gibt ja mittlerweile schon glutenfreie Sorten, die gar nicht schlecht schmecken. HW: Mit diesen vielen Erkrankungen, gibt es da gewisse Ängste bei dir? R: Nein. Ich habe immerhin ein gewisses Alter, in dem ich beruflich und auch familiär alles erreicht habe. Wenn ich jetzt weitermache, gibt es nur noch ein neues Baugerät oder noch einen neuen Auftrag. Und was bedeutet das? Mich freut es einfach, wenn ich mich mit meinen Arbeitskollegen gut verstehe. Ich schaue, dass ich so gut wie möglich am Leben bleibe und ich gut auf meine Erkrankungen eingestellt bin. Ich möchte noch einiges im Leben genießen! Aber erreicht habe ich bis jetzt schon sehr viel! HW: Welche Rolle spielt dein Alter dabei? R: Bei mir spielt das Alter eine wesentliche Rolle! Ich hatte Angst davor, dass ich nicht so alt werde wie mein Vater. Mein Vater wurde nur 36 Jahre alt. Er wurde damals mit seinem Diabetes noch nicht so gut wie heute behandelt und ist dann leider am Diabetes gestorben. Er hat am Ende nichts mehr gesehen und wurde auf eine Kur geschickt. Im Anschluss konnte er die Umrisse seiner Frau wieder erkennen. Aber plötzlich hatte er einen Gehirnschlag und starb unerwartet. Ich wollte unbedingt meinen Vater überleben! Und mittlerweile sage ich mir, wenn ich am Abend einen Blutzucker von 120 oder 140 mg/dl (6,7 oder 7,8 mmol/l) habe, stört mich das gar nicht.Wie behandelst du deinen Diabetes? Benutzt du eine Insulinpumpe oder hast du einen Pen? Welches Insulin benutzt du?
R: Ich spritze nach dem Basis-Bolus-Prinzip und benutze einen Pen. Ich verwende das Lantus, ein 24-Stunden-Insulin, und das NovoRapid als Kurzzeitinsulin. Das Lantus spritze ich jeden Tag um 22 Uhr. Nebenbei gesagt ist das NovoRapid als Kurzzeitinsulin für mich fast schon ein tödliches Insulin. Diese neue Art von Insulinen ist für mich deshalb so gefährlich, weil sie so schnell wirken, innerhalb von 10 Minuten. HW: Wie meinst du das? R: Ich gebe dir ein Beispiel. Früher habe ich im Restaurant für mein Essen immer vor jeder Bestellung gespritzt. Mit dem NovoRapid hat sich mein Verhalten verändert. Solange das Essen nicht auf dem Tisch steht, spritze ich nicht mehr. Das war früher anders. HW: Kannst du mir das an einem Beispiel erklären? R: Ich saß einmal in einem Restaurant und habe mir etwas zum Essen bestellt. Zu der Bestellung habe ich mir mein Insulin gespritzt. Plötzlich kam in das Restaurant ein Reisebus und ich musste über eine Dreiviertelstunde lang auf mein Essen warten! Mein Blutzucker sank, sank, sank und plötzlich bin ich umgekippt, die Rettung musste kommen … Das hat die anderen Gäste natürlich geschockt. Es war im Urlaub in Venedig und ich wurde mit der Wasserrettung in die Klinik gebracht. Dumm gelaufen …Wie bemerkst du deine Unterzuckerungen?
R: Ich bemerke sie ganz unterschiedlich. Manchmal wird mir ganz heiß. Es kann aber auch sein, dass ich müde werde. Das können aber alles auch Anzeichen von einem Überzucker sein. Ganz eindeutige Anzeichen sind diese „Sternchen“. Wenn ich die Augen zumache, dann gibt es einen schwarzen Hintergrund und ich sehe weiße Flecken. Je größer die Flecken sind, desto tiefer ist mein Blutzucker. Natürlich sind auch Stimmungsschwankungen oder Depressionen ein Anzeichen für einen Unterzucker. Manchmal habe ich auch Muskelkrämpfe und muss schauen, dass ich mit der Hand noch meinen Traubenzucker in der Hosentasche erwische. Gegen die Muskelkrämpfe nehme ich auch Magnesium. HW: Roman, als ich dich kennen gelernt habe, warst du mit verschiedenen Ausbesserungsarbeiten bei uns im Haus beschäftigt. Bei uns in der Wohnung hast du zum Beispiel die Badewanne untermauert, in unserem Garten eine Mauer fertig gestellt und dazu eine Wärmeisolierung unter dem Boden angebracht und wasserfest abgedichtet. Das alles sind zum Teil auch schwere körperliche Arbeiten. Wie gestaltet sich dein Arbeitsalltag? Wie managst du deinen Blutzucker während der Arbeitszeit? R: Während der Arbeit esse ich fast nichts mit Kohlenhydraten, weil mein Blutzucker durch die Kohlenhydrate ins Trudeln gerät. Ich messe aber regelmäßig meinen Blutzucker und weiß, dass, wenn ich nichts esse, mein Blutzucker ansteigt. Das ist dadurch bedingt, dass mein Körper dann Zucker aus der Leber freisetzt. Und für jeden Zucker, der im Blut ist, benötigt der Körper Insulin, damit die Energie genutzt werden kann. Das Insulin transportiert den Zucker aus dem Blut in die Zellen und versorgt diese mit Energie. Wenn ich jetzt nichts esse und auch kein Insulin spritze, leistet mein Körper Ersatz für das „nicht vorhandene Essen“. Mein Körper schüttet aus der Leber Zucker aus und dieser geht ins Blut. Und dann, wenn der Zucker im Blut drinnen ist, dann steigt der Blutzucker an. Deswegen messe ich regelmäßig auf der Baustelle und mein Blutzucker geht während meiner Arbeit tendenziell nach oben. Ich fange zum Beispiel mit einem Blutzucker von 85 mg/dl (4,7 mmol/l) an und dann fängt mein Blutzucker an zu steigen. Er steigt nur langsam, aber dann gegen 15/16 Uhr am Nachmittag ist er dann doch höher. HW: Was bedeutet für dich kräftig ansteigen? Wie hoch ist dein Blutzucker dann? R: Er steigt dann so wie gestern – ich hatte nichts gegessen – bis auf 228 mg/dl (12,7 mmol/l). Ich habe das aber mit verfolgt und habe dagegen gespritzt. Ich habe mich dann noch etwas bewegt, allerdings sehr wenig. Es hat dann lange gedauert, bis mein Blutzucker wieder runtergekommen ist. Ungefähr 19 Uhr am Abend war mein Blutzucker dann auf 110 mg/dl (6,1 mmol/l). HW: Isst du dann den ganzen Tag nichts? Wie schaffst du dann deine Arbeit, die ja auch körperlich anstrengend ist? R: Wenn ich tagsüber auf einer Baustelle bin und dann auch ein Hungergefühl entwickle, dann gibt es bei mir oft so etwas wie Gemüsesalat. Ich esse immer Dinge, die meinen Blutzuckerverlauf nicht grob beeinflussen. Wenn ich aber zum Beispiel Schokolade essen würde und mir dafür fünfzehn Einheiten Insulin spritzen, wäre die Wahrscheinlichkeit hoch, dass ich eine Stunde später in der Klinik aufwache. Weil mein Blutzucker dann zu schnell oder zu langsam sinken könnte. Ich möchte mich dieser Gefahr nicht aussetzen! Statt dessen esse ich viel Gemüse, auch mal Fleisch, Wurst oder Fisch. Wobei auch da zum Teil Kohlenhydrate versteckt sind. Man muss immer gut auf die Verpackung schauen! Ich schaue aber tendenziell immer darauf, dass mein Essen ohne oder mit wenigen Kohlenhydraten ist.Wie gehen deine Arbeitskollegen mit deinem „Handicap“ um? Bemerken sie es überhaupt?
R: Es gibt manchmal Situationen, wo ich mit meinen Arbeitskollegen in ein Lokal essen gehe und zum Teil auch Kohlenhydrate esse. Aber genau in solchen Momenten habe ich häufig Schwierigkeiten mit meinem Blutzucker. HW: Wie gehst du mit Stress in der Arbeit um? Wie reagieren deine Arbeitskollegen dann im Bezug auf deinen Blutzucker? R: Stress beeinflusst meinen Blutzucker extrem! Stress auf der Baustelle kann meinen Blutzucker auf 200 bis 300 mg/dl (11,1 bis 16,7 mmol/l) hochtreiben. Wenn ich meinem besten Arbeitskollegen sage, dass ich meinen Blutzucker jetzt testen muss, gibt er mir aber sofort die nötige Zeit dafür. Er sagt dann: „Du hast jede Zeit der Welt zum Blutzuckertesten!“ Aber sobald ich zurück bin, geht es gleich wieder weiter mit dem Stress 🙂 Den Diabetes mit der Arbeit zu verbinden, ist nicht leicht! Ich verzichte dann eben auf gewisse Dinge, wie zum Beispiel das Essengehen. Das stresst mich total, also verzichte ich darauf. HW: Was machst du nach der Arbeit? R: Wenn die Arbeit vorbei ist und ich ein – zwei – drei Stunden nach dem Essen meinen Blutzucker testen kann, dann genieße ich die Zeit richtig! Dann genieße ich auch das Essen. HW: Darf ich dir bitte am Ende noch ein paar persönliche Fragen stellen? Ist es für dich möglich, als Diabetiker eine Partnerschaft zu führen? Sagst du, dass du Diabetes hast, wenn du jemanden kennen lernst? R: Ich hätte vor 5 oder 10 Jahren noch niemandem von meinem Diabetes erzählt. Heute sage ich es jedem sofort und auch meiner Freundin habe ich bei unserem Kennenlernen sofort von meinem Diabetes erzählt. Der Diabetes ist für mich aber eine große Herausforderung in der Partnerschaft. HW: Merkt deine Freundin deine Unterzuckerungen? R: Wir haben etwas vor einigen Jahren vereinbart. Wenn Sie sagt: „Roman, testen!“, dann teste ich sofort meinen Blutzucker. Sie spürt meine Hypos sehr gut und erkennt rasch, wenn mein Blutzucker zu stark sinkt. HW: Ich selbst bin als Diabetikerin vor einem Jahr Mutter der kleinen Emilia geworden. Möchtest du eventuell auch eine Familie gründen? Hast du Angst, deine Handycaps an deine Kinder weiterzugeben? R: Nein, ich möchte keine Kinder bekommen. Das Risiko einer Vererbung wäre mir zu hoch. Vielen Dank für deine Zeit und das Gespräch, Roman! Ich hoffe, dass wir unsere „süße“ Baustelle auch die nächsten Jahre weiter so gut meistern werden! Während unseres Interviews ging Roman drei Mal seinen Blutzucker messen.Vitiligo (Weißfleckenkrankheit)

Zöliakie (Gluten-Unverträglichkeit)
