Es fällt vielen Menschen nicht leicht, über die möglichen Risiken einer Hypoglykämie nachzudenken. Maya ging es auch lange Zeit so, doch jetzt hat sie ihrem Diabetes Platz in ihren Gedanken gegeben.
Die Erkenntnis, dass so eine Hypoglykämie mich im Ernstfall das Leben kosten kann, habe ich die ersten Jahre nach meiner Diagnose, zusammen mit all den Spätfolgen und anderen Risiken, so weit wie möglich von mir weggeschoben.
Aber als ich begann, mich damit doch auseinanderzusetzen, hatte ich auf einmal Angst vor Unterzuckerungen. Die meisten „Hypos“ gehen bei mir verhältnismäßig harmlos aus und ich habe nach bald 10 Jahren immer noch ein gutes Gefühl dafür, wann mein Blutzucker zu weit absinkt.
Fragen, die mich beschäftigen
Aber wenn ich tatsächlich einmal eine „Hypo“ mit Bewusstlosigkeit haben sollte… Was ist, wenn ich nicht unter bekannten Menschen bin und einfach auf der Straße umkippe, wo niemand Bescheid weiß?
Welchen Menschen kann ich eigentlich zumuten, die Verantwortung in so einem Fall zu übernehmen, wie erkläre ich das neuen Leuten, ohne ihnen direkt Angst zu machen?
Das waren eine ganze Menge Fragen, denen ich mich plötzlich stellen musste und die mir ein ungutes Gefühl im Bauch verpasst haben.
Ich musste lernen, über den Diabetes zu sprechen
Vor ungefähr einem Jahr habe ich mich mit dem Sportklettern anstecken lassen und das hat neben einer Menge Spaß auch die Möglichkeit geboten, ein paar Schritte in die richtige Richtung zu gehen und offen über den Diabetes zu sprechen.
Optimale Hilfe kann ich nur dann bekommen, wenn ich den Menschen um mich herum vorher Bescheid gebe, ihnen sage, dass ich Typ-1-Diabetiker bin, was die Anzeichen für eine Hypoglykämie sind und wie sie mir helfen können. Ich hatte den Vorteil, eine kleine, recht beständige Teilnehmergruppe in meiner Klettereinrichtung zu haben, und einige wussten sogar schon ein bisschen über Diabetes Bescheid, hatten Bekannte oder Verwandte, die selber oder deren Kinder betroffen sind, sogar ein Notfallsanitäter klettert ab und an mit.
Mittlerweile besitze ich auch ein Glukagon-haltiges Nasenpulver, dessen Einzeldosis mir verpasst werden kann, wenn ich unterzuckere. Da das Nasenpulver nicht mehr im Kühlschrank aufbewahrt werden muss wie das Notfall-Kit, das ich vorher hatte, liegt es immer in meiner Tasche und ich bin mit ein paar Leuten die „Bedienungsanleitung“ durchgegangen und habe ihnen gezeigt, wo sie das Döschen finden.
Verantwortung zu übernehmen, bedeutet auch, Verantwortung zu teilen
Zu den seltenen Gelegenheiten, bei denen ich alleine in eine Boulderhalle fahre, gebe ich vorne an der Rezeption Bescheid, dass ich Typ-1-Diabetiker bin und was im Notfall zu tun ist. Auch da wurde ich zum Teil schon durch meinen CGM–Sensor entlarvt, bevor ich mich überhaupt zu Wort melden konnte, und hatte danach den Kopf frei, um mich ganz der Kletterei zu widmen.
In der Berufsschule fühle ich mich relativ sicher, da ich eine Ausbildung im medizinischen Bereich mache und mindestens die Lehrer genug Berufserfahrung haben, um nicht nur zu wissen, was zu tun ist, sondern ich sicher sein kann, dass sie auch die nötige Ruhe und Gelassenheit in kritischen Situationen bewahren können.
Notfall-Accessoires zur Absicherung
Jetzt hatte ich also erstmal Personen in meinem üblichen Umfeld informiert, aber ich bewege mich ja trotzdem noch alleine durch die Stadt, ohne auf Schritt und Tritt eine informierte Person an der Seite zu haben.
Deshalb entschied ich mich dazu, ein Armband mit entsprechendem Schriftzug zu tragen, in Rot (ich trage hauptsächlich Schwarz und Grautöne) und ein Dog-Tag prägen zu lassen. Ich verlasse meine Wohnung nicht mehr ohne diese Kette und lege sie wirklich nur kurz ab, wenn es sich nicht vermeiden lässt. Im Endeffekt ist das keine Garantie, dass sich jemand für das Dog-Tag interessiert und die Aufschrift liest, aber es erhöht meine Chancen, und das ist alles, was ich tun kann. Die Umstände, soweit ich sie beeinflussen kann, so günstig wie möglich zu gestalten.
Ich habe auch schon coole Diabetes-Tattoos gesehen und irgendwann werde ich mir vermutlich auch eines stechen lassen, aber das wird sich vermutlich weniger als klare Informationsquelle eignen, sondern eher ein metaphorisches Kunstwerk werden.
Außerdem erinnerte ich mich an diese kleinen Info-Kärtchen im EC-Karten-Format fürs Portemonnaie und kramte in meinem Diabetes-Schrank danach, aktualisierte die Angaben darauf und habe es seitdem immer im vordersten Kartenfach, so dass der „ICH BIN DIABETIKER“-Schriftzug das Erste ist, was einen anlächelt.
Trotzdem ist es für mich noch nicht immer leicht zu entscheiden, wie und wem ich die Verantwortung zumute.
Die Balance zwischen dem Bewusst- aber Keine-Angst-Machen
Wie finde ich hier den Mittelweg zwischen dem Bewusst-Machen des Ernstes der Lage, ohne Angst zu machen?
Ich glaube, das Glukagon-Nasenpulver hat hier nochmal einen großen Vorteil abseits des Fakts, dass man es nicht zu kühlen braucht und daher mitnehmen kann. Vor allem für jemanden, der nicht so viel mit dem ganzen Diabetes, den ganzen Nadeln und Piksern zu tun hat, ist es vermutlich eine deutlich kleinere Hemmschwelle, jemandem eine Dosis in die Nase zu verpassen als eine Spritze ins Bein. Jemandem (etwas heruntergebrochen) zu sagen, „verpass mir einfach das Nasenspray“, fällt mir leichter, als „du musst mir dann eine Spritze geben“ und wirkt eben einfach etwas weniger gruselig.
Außerdem möchte ich ungern als Klotz am Bein wahrgenommen werden (auch wenn ich vermutlich die Einzige bin, die das so sieht), aber wer will schon das Gefühl haben, als Babysitter eingesetzt zu werden, um aufzupassen, dass es mir gut geht?
Eine neue Wahrnehmung meines Diabetes
Das Klettern sowie das Skaten hat mir auch beigebracht, meinen Blutzucker genau zu studieren. Zu wissen, wann ich besonders anfällig für eine Hypoglykämie bin, gibt mir die Möglichkeit, es nicht so weit kommen zu lassen oder die „Hypo“ zumindest nicht so heftig werden zu lassen.
Nachdem ich dem Diabetes erlaubt habe, so viel Platz in meinem Leben einzunehmen, wie er eben braucht, hatte auch meine eine beste Freundin die Möglichkeit dazu, sich mehr damit auseinanderzusetzen. Sie stellte mir ganz viele Fragen, hörte sich den Vortrag über Diabetes an, den ich für die Schule ausgearbeitet hatte, und installierte sich die Follow-App für den Dexcom-CGM-Sensor, so dass sie meine Gewebezuckerwerte sehen kann. Jetzt passiert es schon mal, dass ich eine Nachricht oder, bei ausbleibender Antwort, einen Anruf bekomme, ob ich soweit zurechtkomme. Sie telefoniert nachts mit mir, bis mein Wert wieder nach oben wandert, wenn ich mir nicht mehr sicher bin, ob mein „Hypo“-Snack schnell genug ist, um gegen die Unterzuckerung anzukommen.
Auch meine Mam, die seit neustem ein Handy hat, das mit der Dexcom-Follow-App kompatibel ist, hat mich heute nacht kurz angerufen, als ich auf 2,9 mmol/l (52mg/dl) (und später auf „NIEDRIG = unter 2,2 mmol/l (40 mg/dl)) abgerutscht bin, um zu gucken, ob ich wach bin.
Auch wenn ich mich im Endeffekt nicht darauf verlasse, dass meine Freundin oder meine Mam sich um meine „Hypos“ kümmern, tut es ganz gut zu wissen, dass noch jemand ein Auge drauf hat, zumal ich die Alarme zum Teil auch gern einfach verschlafe, einen Anruf allerdings nicht (vielleicht sollte ich die Alarmtöne mal durchrotieren, damit ich mich nicht so daran gewöhne…)
Zuletzt ist für mich wichtig zu lernen, meinen Unterzuckerungen den nötigen Respekt zu zollen. Nachdem die „Hypo“-Angst sich wieder gelegt hat, die ich zwischenzeitlich hatte, ertappe ich mich oft dabei, wie ich nicht warte, bis der Wert wieder oben ist, bevor ich weiter skate oder die nächste Kletterroute angehe (ich erinnere mich an einen Moment, wo mir meine Freundin beim Klettern eine Hand voll Gummibärchen in den Mund stopfte, weil ich bereits angeseilt und meine Hände in Chalk getaucht waren, bevor ich losgeklettert bin), wie ich unterzuckert zur Schule laufe, weil ich nicht zu spät kommen will oder die Gruppe, mit der ich unterwegs bin, nicht aufhalten möchte und schweißnass hinter ihnen hertaumele, weil ich mal wieder behaupten musste, dass es nicht so schlimm ist. Ich möchte lernen, mir hier die nötige Zeit zu nehmen, zu sagen: „Nein, ich sollte das jetzt nicht tun“, und lieber 10 Minuten zu warten, als mich da durchzuschleifen und mich einer größeren Gefahr auszusetzen, als nötig wäre.
Mehr Information – weniger Angst
Letztendlich regiert ein bisschen der Grundsatz „Mehr Informationen – weniger Angst“, sowohl für mich als auch für die Menschen, die mich lieben.
In dem Sinne und im Hinblick auf den 14.11.: Spread Awareness, informiert euer Umfeld, informiert euch, springt über euren Schatten an den Stellen, wo es euch vielleicht auch schwerfällt, mit euren Mitmenschen zu sprechen, und tut es erst recht, wenn ihr keine Angst davor habt, das macht es für alle anderen ein bisschen leichter 🙂
Das Diabetes-Tattoo: Ein Erfahrungsbericht von Annika!