Während der Frühlingsferien am College war Felix im Yosemite-Nationalpark unterwegs. Eigentlich dachte er, er hätte genügend Not-BEs dabei … Danach war klar: Es waren zu wenige Not-BEs im Gepäck und zu viel Leichtsinn. Weiterlesen...
In Deutschland sind sie eher unbekannt, in den USA berühmt und berüchtigt: Spring Break, die „Frühlingsferien“. Für gewöhnlich fliegt man als College-Student mit seinen Freunden für ein paar Tage in eine der vielen Party-Hochburgen – Las Vegas, Miami, Panama City Beach, Cancun (Mexico) oder Nassau (Bahamas). Die partyhungrigen Studenten haben viele Ziele, aber eine Mission… feiern, bis der Arzt kommt! Ich dagegen freue mich, wenn ich in dieser einzigen studienfreien Woche im Frühlingssemester mal ein bisschen das Land erkunden kann. Gesagt, getan. Ich fieberte einem Wochenende im Yosemite-Nationalpark mit meinem besten Freund entgegen.
Erster Tag: Wanderung zu den Wasserfällen – an der Grenze zur Unterzuckerung
Samstag, 26. März 2016. Endlich war es so weit: Um 6 Uhr klingelte der Wecker, um 7 Uhr ging’s los Richtung Yosemite Valley in der Sierra Nevada. Gerade einmal drei Stunden Autofahrt sind es von meiner Wahlheimat San Jose bis dorthin. Schon die Anreise war atemberaubend, entlang der bis zu 4000 Meter hohen Berghänge, über Flüsse und Schluchten.
Für den ersten Tag war eine achtstündige Wanderung zu den Upper Yosemite Falls, den „Oberen Yosemite-Wasserfällen“, geplant. Bewaffnet mit insgesamt 25 schnellen „Not-
BE“ (Saft, Cola, Sportgetränken) sowie etwa 15 weiteren BE in Form von Äpfeln, Bananen, Müsliriegeln und Keksen machten wir uns auf den Weg.
Zwar hatte ich seit dem offiziellen Ende meiner College-Karriere im Dezember nicht mehr so regelmäßig Sport getrieben, aber die Wanderung schätzte ich dennoch nicht als hochintensive Belastung ein. Leider lag ich falsch. Schon nach wenigen Stunden machte sich mein schlechter Trainingszustand bemerkbar. Für den Rest der Tour nagte ich an der Grenze zur
Unterzuckerung. Erst das Abendessen gegen 20.30 Uhr sorgte für einen nachhaltigen Anstieg des
Blutzuckers. Alles in allem war es trotzdem ein erfolgreicher erster Tag in der Natur. Fast 25 Kilometer hatten wir heute zurückgelegt, die Notvorräte erwiesen sich als geradeso ausreichend – zunächst.
Zweiter Tag: extremer Leichtsinn und fast alle Not-BEs weg
Sonntag, 27. März 2016. Aufstehen. Duschen. Frühstücken. Abfahrt. Auf zum ersten Ziel des heutigen Tages, den Chilnualna Falls. Ein kurzes Stück mit dem Auto, schnell noch im Dorfladen die Hypo-Helfer aufgestockt – 30 Not-BEs waren es für heute – dann konnten wir starten. Ich dachte, ich hätte aus dem gestrigen Tage gelernt, also reagierte ich früh auf einen scheinbar absinkenden Blutzuckerspiegel. Wieder lag ich falsch. Eine Stunde später korrigierte ich bei einem Wert von 220
mg/dl (12,1 mmol/L) mit einer Einheit Humalog. Und… wieder lag ich falsch. Innerhalb weniger Minuten fiel mein Blutzucker auf 80 mg/dl (4,4 mmol/L).
Im Prinzip war der Tag für mich zu diesem Zeitpunkt schon gelaufen. Über die nächsten vier Stunden verbrauchte ich nahezu all meine Not-BEs. Doch Pausemachen kam nicht in Frage. Auch wenn es wohl der vernünftige Weg gewesen wäre, wollte ich weiter den Berg hinauf, meinen besten Freund nicht enttäuschen. Das war extremer Leichtsinn. Je höher es ging, desto weiter entfernten wir uns von möglichen Rettungswegen. Irgendwie lief trotzdem alles gut, gegen 16 Uhr waren wir wieder am Ausgangspunkt unserer Wanderung und mein Blutzucker befand sich im Aufwärtstrend. Was dann folgte, war purer Wahnsinn…
Zweiter Tag, zweite Wanderung – und noch mehr Leichtsinn
Sonntag, 27. März 2016. Wanderung Teil 2. Zurück im Auto, auf dem Weg ins Hotel. Dann die Idee: „Hey, warum machen wir eigentlich nicht noch eine Wanderung? Nur eine kleine, ein paar Stunden.“ Warum nicht?! „Wir gehen einfach los und drehen um, wenn es dunkel wird.“ Unbeträchtliche Randbemerkung: passiert in Kalifornien zu der Jahreszeit so gegen 19 Uhr.
Wir machten uns also ganz entspannt gegen 16.30 Uhr auf den Weg zum Alder Creek und den Alder Creek Falls. Ohne Druck, wenn’s dunkel wird, drehen wir um. Eigentlich ganz einfach. Schon auf dem Hinweg hatten wir teilweise Probleme, überhaupt den Wanderweg zu finden. Dutzende umgestürzte Bäume und ausgeblichene Hinweisschilder erschwerten die Situation. Dann packte uns der Ehrgeiz. Keiner wollte derjenige sein, der „aufgibt“. Also gingen wir weiter. Inzwischen hatte ich sämtliche Not-BEs aufgebraucht. Aus Angst vor weiteren Unterzuckerungen machte ich mich über die verbleibenden Vorräte her: Weißbrot, Erdnussbutter aus dem Glas, ein Apfel und Fitnessriegel.
Als wir endlich am Ende des Weges ankommen, ist es bereits kurz vor 19 Uhr. Erneut eine kurze Pause, dann nichts wie zurück Richtung Auto. Eine Stunde später war es stockfinster. Unsere einzigen Lichtquellen – zwei kleine LED-Taschenlampen und die Leuchten der Smartphone-Kameras. In der Region sind Angriffe von Wildtieren nicht selten, Bären, Schlangen und sogar Berglöwen werden häufig gesehen. Bei jedem Knacken vermutete man das Schlimmste.
Obwohl es dunkel war begannen wir leicht zu joggen. Aber nur kurz. Wir hatten schon bei Tageslicht Probleme, den Weg zu finden. Sich bei Nacht im Wald zu verirren oder zu stolpern, ohne Proviant, ohne frisches Wasser und ohne Handy-Empfang – nein, danke. Endlich. Die Wiese vor dem Parkplatz. Nur noch wenige hundert Meter. Dann war es endlich da, das Auto. Rein. Los. Burger King zum Abendessen. Ab ins Bett, sich Gedanken machen, was alles hätte schiefgehen können. Leichtsinn. Wahnsinn. Erleichterung. Definitiv ein Wochenende, das man nicht so schnell vergisst!