Sind wir nicht alle ein bißchen Cyborg?

Wie viele Sensoren hat ein durchschnittliches Smartphone heutzutage am Start? Wie und wer entwickelt heute neue Produkte im Gesundheitsbereich? Und was sind wir als Diabetiker heutzutage eigentlich noch: Early Adopter? Begehrte Forschungsobjekte? Cyborgs? Industrie-Partner?

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Quelle: Anne Seubert

Am Abend des 29. Juni 2017 fanden in Berlin zwei Veranstaltungen zum Thema Digitale Innovation im Gesundheitsbereich statt: Ein Herz für Cyborgs am Alexander von Humboldt Institut und das Diabetes Tech Meetup. Die erste mit einem Fokus auf Themen wie menschliche Identität, künstliche Intelligenz und die weder absolut bewertbaren noch abschätzbaren Folgen von Innovationen an der Schnittstelle Mensch-Maschine, die zweite widmete sich relevanten Lösungen und innovativen Lösungswegen für unsere oft allzu alltäglichen Herausforderungen als Diabetiker.

Ein Herz für Cyborgs? 

Das Thema betrifft nicht nur Menschen mit Diabetes oder anderen körperlichen Defekten, es ist ein gesellschaftliches. Alles deutet darauf hin, dass der nächste Evolutionsschritt nicht biologischen, sondern technologischen Ursprungs sein wird. Ob gedankengesteuerte Prothesen und fühlende Roboterhände – alles schon machbar. Wir werden in naher Zukunft die Möglichkeit haben, uns mit künstlichen Gliedmaßen zu verbinden, die unseren Körper nicht nur nachahmen und wiederherstellen, sondern auch verbessern.

Unter dem Titel „Ein Herz für Cyborgs“ diskutierten im Digitalen Salon des Alexander von Humboldt Instituts für Internet und Gesellschaft der Philosoph Christoph Asmuth, Michael Hasenpusch, Leiter des Open Innovation Space von Ottobock Deutschland, die Künstlerin Susanna Hertrich sowie Moderatorin Katja Weber über die Gesundheit des Menschen im digitalen Zeitalter. Dabei standen auch Fragen im Raum wie: Wer bestimmt über Funktionalität und Design? Gelten für Cyborgs dieselben Rechte und Pflichten und wer haftet, wenn mal was ins Auge geht?

An der Schnittstelle zwischen Mensch und Maschine

In nur einer Stunde hinterfragte das interdisziplinäre Panel Möglichkeiten, Visionen, drohende Abhängigkeiten und Optimierungszwänge an der Grenze zwischen Mensch und Maschine. Beispiele respektive Prototypen wie Viktoria Modesta, ein prothesentragendes, transhuman performendes Model, machten sicht- und greifbar, wie gelernte Kategorien durchlässig werden (müssen) und welche Rolle Inszenierung und Ästhetik spielen. Auch eine Form von Inspiration und Empowerment!

Berlin Diabetes & Technologie MeetUp

Schweren Herzens hatte ich mich gegen die Einladung auf dieses Panel des HIIG entschieden, und für das Berliner MeetUp Diabetes and Digital Technology  entschieden. Mit mir waren etwa 40 Gäste – Typ-1-Diabetiker, Produktentwickler und Programmierer, aber auch Ärzte und Wissenschaftler –  der Einladung des Wissenschaftlers und Initiators des Meet Ups Dmitri Katz trotz Hitze in den 5. Stock gefolgt und kamen so in den Genuss Diabetes-relevanter Startup-Vorstellungen und der Dachterrasse des Locationsponsors 5Space.

Die Mission der Veranstaltung war bereits in der Einladungs-Mail deutlich geworden:

„A MeetUp about helping Berlin to be a world center for patient-centered health innovation. And to do this we need your help!“

Ein heeres Ziel, das in englischer Sprache erreicht werden wollte. Zu Recht, wie sich angesichts des internationalen Publikums zeigte, das zu jedem der Vorträge Fragen, Anmerkungen und Ideen parat hatte und nach dem offiziellen Teil die Gelegenheit zum Netzwerken und Kennenlernen nutzte.

Von Frühwarnsystem über Lobbyarbeit bis zu Remote Temperaturkontrolle

Menschen mit Diabetes haben eigentlich mehr als genug mit dem Management der D-Diva zu tun, sollte man meinen. Trotzdem oder vielleicht gerade deswegen entwickeln viele von ihnen einen ungestümen Ehrgeiz, sich und anderen das Leben etwas weniger schwer zu machen.

Oft sind konkrete Erfahrungen von Frust und Ohnmacht der Auslöser, wie etwa bei „Med-Angel“ Amin Zayani, den die Unzuverlässigkeit seines Insulins so frustrierte, dass er Nachforschungen anstellte und Temperaturschwankungen seines Kühlschrankes als Auslöser ausfindig machen konnte. Seine Lösung: Er gründete Med-Angel und entwickelte einen Sensor, der sich an Insulin (und anderen Medikamenten) anbringen lässt und qua App Mitteilung von zu kalt über o.k. bis zu warm sendet.

xBird, ein Berliner StartUp, das uns Jonas Harder vorstellte, hatte hingegen erst eine Lösung („We will save 1 million lives by 2020!“) und suchte dann ein passendes Problem dafür. Für die Lösung, ein Frühwarnsystem auf Basis von Bewegungsdaten, ließ sich die Typ-1-Diabetes-Community nicht lange bitten und so waren Abnehmer und Partner in der Weiterentwicklung gefunden. Seit Anfang laufen die ersten Studien in Zusammenarbeit mit der RWTH Aachen.

Hand in Hand: Forschung, Industrie und Patienten?

Partnerschaft, Inspiration und Zusammenarbeit waren die Themen des Abends: Wie arbeiten Forschung, Industrie und Patienten wirkungsvoll zusammen? Wer entscheidet, was auf den Markt kommt? Wer entwickelt heutzutage relevante Innovationen und – welche Rolle spielen die Diabetiker dabei?

Um es kurz zu machen: Mehrere! Der Abend zeigte eindrucksvoll, dass Diabetiker mitnichten passive Patienten sein müssen, sondern je nach Fähigkeiten und Interesse in unterschiedlichen Kontexten aktiv die Tools mitentwickeln und somit den Alltag mit Diabetes mitgestalten.

Mandy Jones, die leider einzige Frau auf der Bühne, war aus San Francisco zu Gast und berichtete von ihrer Lobby-Arbeit bei den beiden amerikanischen Communities T1decoded und  The Diabetes Hands Foundation. Sie fasste ihre Mission in Tweet-Format zusammen:

„Getting people with diabetes into leadership positions, into innovation and UX positions!“

Co-Gastgeber des Abends war Roche, die aktuell die Community-basierte Diabetesmanagement App MySugr übernehmen. Sebastian Liedtke, Head of Product Design at Roche Diabetes Care in Mannheim, machte in seinen einleitenden Worten deutlich, wie horizonterweiternd und das auf der Überholspur es für ein gewichtiges Pharma-Unternehmen ist, wenn es sich auf kreative Diabetiker einlässt.

Quelle: Anne Seubert

Kevin Röhl, selbst Gründer des Warnsystem-StartUps Lumind und einer der zwölf Diabetiker im sogenannten Roche Diabetes Lab, deutete in seinen Slides an, wie eine solche Zusammenarbeit auf Zeit, geprägt von Austausch, Ausprobieren und Innovationsgeist, aussehen kann. Anhand von drei Beispielen machte er klar, dass in wenigen Monaten erst Ideen und dann Prototypen für Apps, Spiele und Chatbots entwickelt und auch wieder verworfen wurden. Kevin verriet, dass auch welche auf den Markt kommen werden, welche das sein werden, musste vorerst geheim bleiben.

Wie alle Speaker und auch der Gastgeber betonte auch er, dass weitere Diabetiker zum Mitentwickeln und Testen der Produkte herzlich willkommen sind!

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