Nadja kämpft seit 12 Jahren mit ihrem Diabetes. In diesen 12 Jahren hat sich viel getan. Hier ist ihre persönliche Einschätzung, wie die digitale Welt den Diabetes verändert hat.
Es gibt heute quasi für alles eine App, ein Forum oder Videos und Blogs. Viele davon helfen Diabetikern, ihren Alltag zu managen. Diabetiker-Foren im Internet und auf sozialen Plattformen. Apps mit Nährwertangaben für Lebensmittel. Digitale Diabetes-Tagebücher. Apps, die FGMs und CGMs unterstützen, und sogar führende Hersteller von Hilfsmitteln setzen auf Videoanleitungen für ihre Produkte. Inzwischen kann man die neusten CGMs sogar mit der Smartwatch koppeln. Ein Blick auf die Uhr reicht, und ich weiß über meinen Zuckerwert Bescheid.
Die Vorteile
Ich muss schon sagen, ich genieße die Vorzüge dieser digitalen Revolution sehr. Das fängt bei meinem FGM an. Mein Lesegerät für den FreeStyle Libre bleibt meistens zuhause. Denn ich scanne eigentlich nur noch über die Libre-Link-App.
Korrektur- oder BE-Faktor berechnen – wie geht das nochmal? Keine Ahnung, denn das macht mein OmniPod digital für mich. Wenn ihr mich nach meinem Korrektur- oder BE-Faktor fragt, kann ich ihn euch, um ehrlich zu sein, nicht nennen. Und wenn der PDM mal ausfällt, habe ich die Faktoren digital im Handy und auf dem PC gespeichert.
Kommt der digitale Super-GAU und liegt jedes elektronische Gerät brach, bin ich aufgeschmissen.
Für mich ist mit der Patch-Pumpe und vor allem mit dem FGM alles viel leichter. Die beiden Helferlein haben mich dabei unterstützt, meinen Diabetes wieder in die Bahn zu lenken. Es geht schneller. Es geht weniger kompliziert. Es geht ohne Stechen. Es geht ohne Kopfrechnen.
Heute verstehe ich nicht mehr, warum ich mich als Jugendliche so lange gegen eine Pumpe gewehrt habe.
Auch für meinen Diabetologen ist es leichter geworden. Früher war ich mit meinem Arzt dagesessen, und wir haben das Blutzucker-Tagebuch durchgeschaut. Zu hohe oder zu niedrige Werte mussten noch rausgelesen werden. Inzwischen können die Werte per App synchronisiert oder mit einem Programm ausgelesen werden. Meistens schlüsseln die Programme schon die Werte auf. Geben Tagesdurchschnitte und besonders kritische Werte an und verpacken alles schön in Grafiken.
Dank FGM sehe ich genau, wann meine Werte sich wie verändern und woran es liegen kann. Wenn ich morgens mit einem niedrigen Wert aufwache, kann ich dank dem FreeStyle Libre genau nachvollziehen, wann die Werte abgesunken sind, und dann in diesem Intervall z.B. die Basalrate ändern.
Social Media und der Diabetes
Auch die sozialen Medien sind ganz vorne dran, wenn es um den Diabetes geht. Probleme mit dem Diabetes? Kein Thema! Es gibt viele verschiedene Foren, in denen man sich mit anderen Diabetikern austauschen kann.
Man will eine neue Pumpe oder ein neues CGM/Messgerät? Okay – was sagt die Facebook-Community zum Wunschgerät?
Das neue Insulin führt zur Gewichtszunahme oder ist anscheinend nicht so wirksam? Wie geht es anderen Diabetikern damit?
Bei mir geht es momentan um die Beantragung des Eversense-Systems. Meiner Meinung nach hat dieses viele Vorteile, und ich war begeistert, wollte es UNBEDINGT haben. Naja. So lange, bis ich dann in einem Forum gelesen habe, dass der Transmitter jeden Tag aufgeladen werden müsse. Außerdem ist die Infektionsgefahr beim Einsetzen des Stäbchens natürlich nicht ganz ohne. Daran hatte ich vorher gar nicht gedacht. Das hat meine Euphorie ein bisschen gedämpftt.
Wie war es eigentlich früher?
Gehen wir mal in die Zeit vor Insulinpumpe und FGM/CGMzurück: Wie hat man da seinen Diabetes gemanagt?
Erstmal wurden Insulindosen mit Korrektur- und BE-Faktoren selbst im Kopf berechnet. Man hatte grundsätzlich mindestens zwei Insuline. Ein Langzeit- und ein Kurzzeit-Insulin. Und wehe, man hat die beiden mal vertauscht. Die Nährwerttabelle war ein ständiger Begleiter. Man musste alles feinsäuberlich in ein Tagebuch eintragen. Welches Insulin verwendet werden soll, wurde vom Arzt vorgeschlagen. Ein Insulinwechsel kam nur bei schwerwiegenden Komplikationen in Frage. Man hat sich vielleicht noch mit anderen Diabetikern ausgetauscht, wie diese mit ihrer Therapie klarkommen, jedoch war nicht die große Resonanz der breiten Masse gegeben.
Es hat funktioniert. Keine Frage. Doch ich muss gestehen, dass meine Werte vor Pumpe und FGM wirklich katastrophal waren. Woran lag es? In meinem Fall, weil mir das alles einfach zu lästig, zu umständlich und zu unübersichtlich war.
Was soll man dagegen tun?
Ich glaube, die grundsätzliche Frage ist erstmal: Will und muss man was dagegen tun? Ist diese digitale Vernetzung wirklich so schlecht?
Mein FGM und meine Pumpe machen mir das Leben so viel einfacher. Und ich bin komplett ehrlich, wenn ich sage, dass ich ohne nicht mehr klarkommen würde. Ich bin immer wieder erstaunt, dass mein Bruder und meine Mama ihren Diabetes noch „old school“ managen. Allerdings bin ich in diesem Haushalt die Diabetikerin mit dem besten HbA1c – vielleicht kommt das daher, dass mir mein Dia so viel leichter fällt und ich meine Werte besser nachvollziehen kann.
Wer sich nicht von anderen beeinflussen lassen möchte, der braucht keinen Foren oder Facebook-Gruppen beizutreten. Manchmal bin auch ich überrascht, was Menschen, die sich sicher hinter einem PC „verstecken“, von sich geben. Auf der anderen Seite können manche Anregungen auch sehr hilfreich sein.
Wichtig ist nur, dass ihr euch klarmacht, dass es hier um persönliche Einschätzungen und selten um fundierten medizinischen Rat geht. Wenn ihr wirklich schwerwiegende Probleme habt, verlasst euch lieber auf euer medizinisches Diabetesteam.
Und sind wir mal ganz ehrlich: Es ist schöner, sich von Angesicht zu Angesicht mit anderen Diabetikern auszutauschen als über den PC oder das Smartphone.
Gibt es Gefahren?
Natürlich gibt es immer Gefahren. Wer sich zu sehr auf seine digitalen Helferlein verlässt, der steht irgendwann ganz schön blöd da, wenn diese ausfallen. Deshalb ist es wichtig, die Daten zu sichern.
Habt immer Pens daheim. Auch Langzeitinsulin, ein Testgerät und Teststreifen – so seid ihr gerüstet, wenn ein Gerät mal ausfällt.
Können Pumpe, FGM und CGM gehackt werden? So ziemlich jedes digitale Gerät und vor allem die, die Anschluss an das Internet haben (Apps auf dem Smartphone), können irgendwie gehackt werden. Die Frage ist hier eher: Was bringt es jemandem, eure Geräte zu hacken?
Kritischer ist es dann schon, wenn es um Datenbanken von z.B. Herstellern geht. So kommen Hacker z.B. an eure Adressen, Kontodaten/Kreditkartendaten und E-Mail-Accounts. Diese Gefahr besteht jedoch für jeden, der irgendwie im World Wide Web unterwegs ist.
Wie sieht die digitale Zukunft aus?
Das weiß wohl keiner. Man kann nur Vermutungen anstellen. Momentan ist das Closed-Loop-System in aller Munde. CGM und Pumpe kommunizieren digital miteinander, so dass man sich eigentlich keine Gedanken mehr über den Diabetes machen muss. Sozusagen eine digital ausgelagerte Bauchspeicheldrüse.
Statt sein Essen für Instagram und Facebook zu fotografieren, wäre es doch super, wenn eine App die BE-Anzahl anhand eines Fotos berechnen könnte. Bald wird man die ersten Pumpen bestimmt auch über das Smartphone steuern können.
Wie auch immer die digitale Diabetes-Zukunft aussieht – die Forschung versucht, uns unser Leben mit der Krankheit leichter zu machen. Wer davon nicht so begeistert ist, der greift einfach auf die „alten“ Methoden zurück.
Wie’s früher war und welche Gerätschaften und Hilfsmittel es gab, um den Diabetes zu behandeln, erfahrt ihr, wenn ihr Antje auf ihrem Streifzug durch die Geschichte der Diabetestherapie begleitet.