Als Köchin den eigenen Genuss zu vernachlässigen, ist eine große Bürde. Annika N. brauchte Zeit, um die Philosophie des Essens für sich wiederzufinden und endlich wieder gutes Essen zu genießen.
Heute gibt es Pasta mit Tomatensauce. Es ist Sommer; die Regale in den Supermärkten, genauso wie der Gemüsestand meiner Lieblingsbäuerin sind voll von roten fleischig feurigen Früchten. Sie alle warten nur darauf, mit viel Liebe zu einem kleinen Festmahl verwandelt zu werden. Ich stehe vor meinem Einkauf und grüble. 70g Pasta haben… na, wie viele Gramm Kohlenhydrate haben die blöden Dinger jetzt nochmal. – Warum habe ich sie nochmal in das schönere Glas gepackt ohne KH-Angabe?! Jetzt muss ich alles nochmal in Google eintippen. Okay, 15g Rohgewicht haben 1 BE… 15x …= 70g?
Rechnen, rechnen, rechnen
Mir schwirrt der Kopf; Jetzt schon und ich habe noch nicht einmal meinen Bolusrechner für meinen Insulinbedarf, die zusätzliche Tomatensauce, den Spritz-Ess-Abstand und die Bewegung danach mit eingerechnet. Eigentlich, um ehrlich zu sein, will ich gar keine Pasta essen. Und eine Tomatensauce ohne leicht karamellisierte Zwiebeln als Basis mit Knoblauch und einem Hauch Honig, das ist einfach nicht das Gleiche. Frustriert, wütend und genervt schneide ich die Dinger zusammen, werfe sie in eine Schale, packe das Basilikum dazu und esse alles als Tomatensalat mit einer Scheibe Brot. – Ohne Brot, das ist gesünder. Also nur Tomatensalat, so wie irgendwie jeden Tag.
Ich bin Köchin und schaffe es nicht einmal, für mich ein gutes, leckeres Essen zuzubereiten. Es tut weh. Da irgendwo tief in meinem Herz. Warum?!
Weil mir alles zu anstrengend ist. Weil ich lieber einen Keks oder ein Stück Kuchen genieße und genau weiß, wie viele Kohlenhydrate das hat. Weil ich bei jedem Gericht erst mal mit Millionen Fragen und Gedanken zur Gesundheit überhäuft werde und mein Genuss dabei völlig aus meinen Gedanken gedrängt wird.
Messen, abschätzen, ausrechnen, stechen, abwarten, essen, abwarten, bangen um den guten oder schlechten Wert, enttäuscht sein (in 99% der Fälle zumindest, weil ich mich meist verrechnet habe)… Der Teufelskreis eines Diabetikers und der Untergang einer leidenschaftlichen Genießerin.
„Essen ist Amore“
Jeder sagt dir etwas anderes, alles muss berechnet, strukturiert, dokumentiert, geplant und am besten auch noch super optimiert und gesundheitsfördernd sein. Das Leben eines Diabetikers. Wo bleibt da der „eigentliche“ Aspekt des Essens? Was ist Essen überhaupt?
„Essen ist… AMORE!!!“ Die Worte einer etwas älteren sizilianischen Dame des kleinen Bistros in meiner Heimatstadt. Sie erzählte mir von Genuss und Wertschätzung. Von der Liebe und der Natur, der Tradition und dem Handwerk. „Kochen ist eine Kunst, welches jedes Handwerk miteinander vereint“,
„Zum Kochen brauche ich all meine Sinne, den Körper, die Erfahrung, Kultur und Hausverstand“ – das Zitat einer Köchin mit Herz und Leidenschaft. Ein Zitat, welches mir jedes mal Tränen in die Augen treibt. Kann man das als Diabetiker überhaupt? Darf man das?
Ja, man darf genießen und, ja, DU DARFST DAS!!… Gerade als Diabetiker darfst du genießen, denn es ist das Essen, das dich am Leben hält, und nicht die Krankheit dahinter.
Wir essen dreimal am Tag, manchmal auch 16-mal, weil es einfach nicht klappt mit dem Rechnen oder der falschen Basalrate für den zu heißen Tag. Dann darf ich eben 16-mal genießen. Essen darf auch für uns Genuss bedeuten. Es ist eben eine besondere Wertschätzung und Liebe, die wir uns genauso schenken dürfen.
Essen ist ein GLÜCKLICHMACHER und es gibt uns Kraft und Energie zum Weitermachen. Jeden Tag drei Mal.
Genießen erlaubt!
Mit Essen können auch wir die Welt ein Stück besser machen. Bewusst einkaufen, gut, saisonal und fair den Einkaufskorb füllen, wenig wegwerfen, wenig Müll produzieren, das Handwerk des Dorfmetzgers, Bäckers, Landwirtes oder anderer respektieren und fördern.
Wir können Gerichte zaubern, Freunde, Bekannte und Familie an den Tisch laden und mit ihnen gemeinsam etwas genießen. Essen ist mehr, als wir denken! Es ist Genuss, Handwerk, es ist Tradition, Erinnerung, Kultur, Gesundheit, Kunst, Wissenschaft, Natur und unsere Lebensessenz.
Ich will das nicht in die Ecke drängen und ich will, dass auch du das niemals vergisst! Wir sind auch Genießer (und eben Diabetiker zugleich). Beides schließt sich nicht voneinander aus.
Ich will dir von den Genussmomenten erzählen, von den kleinen und großen kulinarischen Abenteuern in meiner Küche und dir jedes Mal wieder ein Lächeln ins Gesicht – und Mut zum Genießen – ins Herz zaubern.
Essen ist Amore – für uns alle – auch für dich!!
Darfst du? Weißt du? Kannst du? – Über das Essen mit Diabetes – Tines Gedanken zum Thema
Mit solchen Darstellungen kann ich nichts mehr anfangen. Auch ich lebte sehr lange mit solchen negativen Darstellungen, wie “… Untergang einer leidenschaftlichen Genießerin”. Ich bin zur natürlichen Ernährung übergegangen und erfahre wie genüßlich diese ist und zudem für mein Wohlbefinden und und meinen gesundheitlichen Allgemeinzustand verbessert. Durch diese Ernährung befreie ich mich weitestgehend von den gefährlichen Zusatzstoffen welche ja offensichtlich unseren Genuss ausmachen, in den natürlichen Produkten aber auf natürlicher Basis vorhanden sind. Durch diese ausgewogene Ernährung brauche ich auch nicht vor jeder BZ Messung bangen ob eines schlechten Wertes. Aufgrund dieser Ernährung erfreuen mich auch meine vierteljährlichen Hba1C Werte. Seit fast 40 Jahren bin ich nun Typ 1 Diabetiker. Spätschäden sind weder bei den Augen, Nieren oder Gefäßen erkennbar. Und darüber freue ich mich ebenfalls. Mein Leben kann ich trotz Diabetes vollstens genießen.
Ich sehe das wie der Kommentar vor mir. Ausserdem ist es mir egal, wenn mein BZ nach dem Essen nicht perfekt ist. Dann wird halt nochmal etwas Insulin nachgespritzt. Der Pieks mehr ist mir egal und dank des Freestyle Libre muss ich mir zum Messen nicht einmal mehr in den Finger stechen. Und wenn der Wert zu niedrig sein sollte, gönne ich mir guten Gewissens ein Stück Schokolade oder was auch immer gerade an Süssem im Haus zu finden ist (z.B. Die Reste vom Kuchen). Bisher lag mein BZ meist um die 7, seit der noch häufigsten Messung Dank FGM sogar bei 6,6. Nieren, Augenhintergrund etc. zeigen bislang keine Veränderungen. Mein Motto lautet daher: messen, korrigieren und nicht verrückt machen lassen. Das ist keine perfekte Wissenschaft, sondern unser Organismus, wo auf den BZ Wert soviele Faktoren einwirken, dass eine perfekte Punktlandung immer auch Glück erfordert.