Bilges großer Traum vom Kilimandscharo – Teil 2

Bilges großer Traum seit Jahren: den Kilimandscharo besteigen. Mittlerweile sind sie und ihre Freundin Mona in Tansania angekommen, der Aufstieg beginnt und sie kommen dem Berg immer näher. Eine besondere Rolle am Anfang spielt eine Insulinpumpe, die einfach nicht aufhören will zu piepsen …

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Über Bilge
Quelle: Bilge Özyurt

Name: Bilge Özyurt (im Bild rechts, links ihre Freundin und Reisepartnerin Mona)
Alter: 28 Jahre
Wohnort: Friedrichshafen
Beruf: Krankenschwester; ab 9/2020: Studium „Communication, Culture & Management“, mit dem Ziel, im Bereich Motorsport zu arbeiten
Diabetes seit: 5 Jahren; Omnipod-Patchpumpe und CGM-System Dexcom G6
Und jetzt? denkt über neue Abenteuer nach, „aber es steht noch nichts fest“
Instagram: www.instagram.com/bilge_ou
Kontakt: bilge.oezyurt@googlemail.com

Über Äthiopien sind meine Reisepartnerin Mona und ich nach Tansania gereist und haben dort noch eine Nacht im Hotel verbracht. Wie ich mich vorbereitet habe, warum ich diese Reise unbedingt machen wollte und was bis zu dem Morgen geschah, an dem der Aufstieg startete, könnt ihr im ersten Teil meiner Erzählung nachlesen.

Der Aufstieg beginnt und eine Pumpe verschwindet

28. Dezember 2019 / Tag 1:

Jetzt ging es endlich los. Wir wollten den Gipfel über die Lemosho-Route erreichen. Sie gilt als die schönste Route und als nicht so stark frequentiert wie die Marangu-, Machame- oder Rongai-Route. Die Lemosho-Route ist konditionell recht anspruchsvoll, bergsteigerische Fähigkeiten sind jedoch nicht erforderlich, trotz einiger schwieriger Passagen.

Wir sind gegen halb 10 mit dem Bus gestartet. Plötzlich hat meine Omnipod-Pumpe laut zu piepsen angefangen. Die Pumpe war verstopft und ließ deshalb ein durchgehendes Alarmsignal hören. Im wackligen Bus habe ich heimlich meine Pumpe gewechselt und war froh, dass Mona und ich hinten saßen. Nun piepste die alte Pumpe aber immer noch. Als wir eine Pause machten, habe ich sie deshalb aus lauter Verzweiflung in ein Plumpsklo geworfen. Diese Plumpsklos sind tiefe Eingrabungen im Boden und werden mit einer Holzhütte überdacht. Meine Pumpe fiel nicht allzu tief – und piepste noch immer und wahrscheinlich bis heute… Ein großartiger Start!

Auf 2100 Meter Höhe haben wir mit dem Aufstieg begonnen. Startpunkt war das Lemosho Gate, ab da ging es durch den Regenwald.

Blick in den Regenwald. Da mussten wir gleich zu Beginn durch. Hier hat mich ein schwarz-weißer Stummelaffe attackiert. Auch die riesigen Bienen haben mich dort wegen meiner ach so tollen Idee, Honig in Tüten für den Fall einer „Hypo“ mitzunehmen, nicht in Ruhe gelassen. / Quelle: Bilge Özyurt

Erst nachts kamen wir im Mkubwa Camp (auf 2650 Metern) an. Die Zelte waren wie in einem großen Zeltlager aufgebaut. Komischerweise hatte ich bis jetzt keine Probleme mit den Zuckerwerten und habe gehofft, dass das so bleibt. Ich habe lediglich meine Basalrate auf 10 Prozent laufen lassen und alle 3 Stunden mit Boli gearbeitet, wenn mein CGM-System angefangen hat zu piepsen. Mein Insulin hatte ich nachts immer im Schlafsack.

Immer höher hinauf

29. Dezember 2019 / Tag 2

Um 6.30 Uhr morgens schlüpften wir aus den Zelten, und die Guides brachten uns das Sonnenlied bei, das uns von nun an begleitete. Da ich das meiste Essen nicht kannte, musste ich oft meine Boli schätzen und war überrascht, wie gut das funktionierte.

Der Tag startete wieder im Regenwald, bald jedoch gab es nur noch wenige Pflanzen. Weil die Bäume nicht mehr so hoch waren, hatten wir jetzt eine sehr gute Aussicht. Mein CGM-System trug ich nun in meiner Hosentasche mit Reißverschluss und hatte es nur auf Vibration gestellt, weil ich noch so traumatisiert vom Gepiepse der Pumpe im Bus war. Immer, wenn der CGM-Apparat vibrierte, sah ich nach; das klappte gut.

Schließlich erreichten wir eine Moorlandschaft, dort war der Boden etwas feuchter und nicht mehr so fest. Zum ersten Mal konnten wir den Kilimandscharo sehen. Gegen 17 Uhr kamen wir am Gate Shira 1 auf 3610 Meter Höhe an. An diesem Abend haben wir unsere swahilischen Spitznamen bekommen. Meiner ist Dada Nesi (Krankenschwester), der von Mona Ndogo (klein, wegen ihrer Körpergröße). Die Nacht war ziemlich kalt und ich war froh über meinen Daunenschlafsack.

Wir kommen dem Berg näher

30. Dezember 2019 / Tag 3

Morgens haben wir uns wieder zum Singen im Kreis getroffen. Das Sonnenlied hat wirklich geholfen, denn es hat kein einziges Mal geregnet 😉. Wir liefen weiter durch das flache Moorland. Das war nicht so anstregend, ich konnte den Tag sehr genießen. Trotzdem musste ich alle 30 Minuten auf die Toilette. Das hatte aber nichts mit meinem Diabetes zu tun; der Blutzucker war normal. Ich habe nur so viel getrunken, weil ich solche Angst vor der Höhenkrankheit hatte. Ich war froh, dass es meiner Freundin Mona und Charlotte, einer weiteren Frau aus unserer Gruppe, auch so ging. Während des Wanderns hatten wir einen schönen Blick auf den Kilimandscharo, aber gleichzeitig dachte ich immer wieder: „Oje, wie soll ich da nur hochkommen?“

Auf 3806 Metern haben wir unsere Rucksäcke stehen lassen, einer der Guides blieb zurück, um darauf aufzupassen. Um uns an die Höhe zu gewöhnen, sind wir nun hoch auf den auf 3872 Meter Höhe gelegenen Cathedral Point gelaufen.

Dieses Foto ist nach dem steilen Abstieg vom Cathedral Point entstanden. / Quelle: Bilge Özyurt

Nach diesem „Höhentraining“ ging es wieder ein Stückchen hinunter, zum nächsten Camp (Shira II auf 3850 Meter Höhe). So kamen wir dem Kilimandscharo immer näher. Der Sonnenuntergang und die Wolken waren wunderschön, und wir hatten eine super Aussicht auf den Mount Meru, der mit seinen 4500 Metern im Schatten des Kilimandscharo steht.

„Happy (?) New Year“

31. Dezember 2019 / Tag 4:

Die Guides haben sich abgewechselt, wenn es darum ging, uns den Weg zu weisen. Immer hieß es nun „Pole Pole“ („Langsam“), um ja der Höhenkrankheit entgegenzuwirken. Wir liefen sehr langsam, trotzdem war es sehr anstrengend. Das lag wohl an dem niedrigen Sauerstoffgehalt der Luft dort oben. Die Landschaft wurde immer karger, außerdem wurde es zunehmend kälter, windiger und der Himmel wolkiger. Die Landschaft sah für mich aus wie auf einem anderen Planeten.

Wir alle haben die Sonne etwas unterschätzt. Ich habe mich sorgfältig mit Sonnencreme eingerieben und hatte keine kurzärmligen T-Shirts an, um mich vor der Sonne zu schützen. Mein Gesicht und vor allem meine Ohren waren trotzdem verbrannt. Ich konnte regelrecht die Haut abziehen.

Wir waren schon auf 4400 Meter Höhe, als die Truppe plötzlich anhalten musste. Ich war immer direkt hinter dem Guide vorne und habe von der hinteren Truppe meist nichts mitbekommen. Als ich mich umdrehte, saß Mona auf einem Stein. Sie hatte Kreislaufprobleme und war bleich im Gesicht, aber dann konnte sie weiterlaufen.

Doch keine 20 Minuten später ging es Mona so schlecht, dass sie sich nicht mehr auf den Beinen halten konnte. Ich weiß noch, wie ihre Beine gezittert haben und wie sie von rechts und links je ein Guide festhalten musste. Plötzlich hat sie immer wieder schwallartig erbrochen. Die Guides waren ganz ruhig, darüber war ich froh. Einer der Guides hat gesagt, dass wir keine Angst davor haben sollten, zu erbrechen, meistens gehe es einem danach schon viel besser.

Ich habe mir solche Sorgen gemacht und dachte nur: „Bitte, lass es ihr wieder gut gehen!“ Ihr wurde ganz plötzlich sehr heiß und sie wollte sich ausziehen, dabei war es so kalt, dass wir alle unsere dicken Jacken rausgeholt hatten und Handschuhe trugen. Nach einigen Minuten wurde ihr jedoch wieder kalt. Als Mona murmelte, dass sie runter will, habe ich mich nicht mehr getraut, sie zum Weitergehen zu ermutigen. Ben und ein anderer Guide haben Mona dann nach unten gebracht.

Ich bin weitergelaufen und plötzlich habe ich ein unsagbar schlechtes Gewissen bekommen und angefangen zu weinen. Ich habe mich gefragt: Habe ich meine Freundin im Stich gelassen? Hätte ich sie nach unten bringen sollen? Einige aus der Gruppe haben mich beruhigt: Mona würde nicht wollen, dass ich mit ihr runtergehe und so riskiere, dass mein Traum vom Kilimandscharo nicht in Erfüllung geht. Allgemein herrschte nun zum ersten Mal schlechte Stimmung in der Gruppe. Alle hatten Hunger und es war eine der schwierigsten Routen, da wir schon etwa 7 Stunden unterwegs waren.

Nun nur noch zu siebt sind wir weitergelaufen, hoch zum Lava Tower Camp.

Auf dem Weg zum Lava Tower Camp. Es war extrem windig und kalt, sobald die Sonne kurz von einer Wolke verdeckt wurde. / Quelle: Bilge Özyurt

Durch den Aufstieg zum Lava Tower Camp haben wir uns an die Höhe und die dünnere Luft gewöhnt; zum Schlafen sind wir zum weniger hoch gelegenen Baranco Camp abgestiegen. Der Weg nach unten hat sich gezogen, aber die Aussicht war schön. Da gab es Pflanzen und Bäume, von denen ich nie im Leben gehört hatte – zum Beispiel eine Art Mischung aus Palmen und Kakteen. Das sind Riesen-Senezien. Ich habe mich wie in einer anderen Welt gefühlt.

Mein Zucker ist gestiegen, wenn es nach oben ging, und wieder gesunken, wenn wir wieder abgestiegen sind.

Hier stehe ich vor einer der Riesen-Senezien, die es nur auf dem Kilimandscharo gibt. Aufgenommen wurde das Bild, als wir vom Lava Tower Camp zum Baranco Camp abgestiegen sind . / Quelle: Bilge Özyurt

Nach dem Abendessen haben wir uns früh schlafen gelegt und wurden kurz vor Mitternacht geweckt. Ich hatte keine Lust auf Silvester, weil ich immer noch traurig war, dass Mona runter musste. Ich habe dann aber doch mit den anderen eine halbe Stunde lang gesungen und auf Töpfen herumgeschlagen. Wir haben uns gegenseitig ein frohes Neues Jahr gewünscht. Es war so kalt und ich wollte wieder in meinen Schlafsack. Trotzdem war es ein einmaliges Silvestererlebnis – und ich durfte mit Bens Funkhandy Mona anrufen.

Und auf dem nächsten Bild seht ihr, wie atemberaubend die Sonnenuntergänge waren. Atemberaubend war aber auch die immer dünner werdende Luft.

Quelle: Bilge Özyurt

Nathalie hat den direkten Vergleich vom Leben im Ausland mit und ohne Diabetes machen können – Der Unterschied: Südkorea mit und ohne Diabetes

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