Einmal über den Tellerrand blinzeln reicht schon lange nicht mehr!

Solidarität: Wichtig auch zwischen verschiedenen Diabetes-Typen

Kiara kämpft für mehr Bereitschaft zu handeln, für Sensibilität und Solidarität – nicht nur zwischen Menschen mit Diabetes, aber eben auch dort. Sie erklärt die entstandene Problematik zwischen Menschen mit Typ-1- und Typ-2-Diabetes und wünscht sich einen Blick weit über den Diabetes-Tellerrand hinaus.

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In einem Redebeitrag bei einer Demonstration im September 2019 sagte die sprechende Person: „[…] Solidarität ist leider nicht immer etwas, was Spass macht und bequem ist. Wirklich notwendige Solidarität zeigt sich darin, dass man sie auch anbietet, wenn es für einen selbst unbequem ist.“ (vgl. https://whatthefuck.noblogs.org/redebeitrag-von-sexarbeit-ist-arbeit/) Über diese Definition von Solidarität musste ich – vor allem während dieser Pandemie – noch viel nachdenken. Auf der einen Seite spiegelt sie gut wider, was für ein Verhalten ich von meinen Mitmenschen fordere. Auf der anderen Seite zeigt sie mir, dass sich auch mein eigenes Handeln häufig noch deutlich weniger bequem anfühlen müsste.

Diskriminierungsformen und die Rolle der Diabetes-Typen

Wir sind alle nicht in einen luftleeren Raum geboren. Niemand von uns ist befreit von Stigmata und Vorurteilen, die durch gesellschaftliche Diskurse und Strukturen weitergetragen werden.

Und nur weil wir selbst von einer Diskriminierungsform (Ableismus) betroffen sind, sind wir nicht davon losgelöst, Teil davon zu sein, ableistische Strukturen zu verfestigen.

Solidarität: Wichtig auch zwischen verschiedenen Diabetes-Typen
Quelle: Unsplash

Als bei mir mit 15 Typ-1-Diabetes diagnostiziert wurde, war mir noch nicht bewusst, dass eine der nervigsten und auch schmerzhaftesten Folgen dieser Diagnose die damit einhergehenden Vorurteile sind. „Hast du als Kind zu viel Zucker gegessen?“, „du musst nur Gewicht verlieren“ sind Sätze, die wir vermutlich alle kennen und bei mir lange auf ein starkes Gefühl von Rechtfertigungsbedürfnis gestoßen sind. Daran ist erstmal nichts verkehrt. Mir ist es wichtig, dass Menschen in meinem direkten Umfeld Bescheid wissen, was Typ-1-Diabetes für mich und meinen Alltag bedeutet. Aber Typ-1-Diabetes erklären auf Kosten von Personen mit Typ-2-Diabetes à la „Ja, aber das sind nicht wir, wir sind die Guten.“ Ernsthaft?

„Auch Personen mit Typ-2-Diabetes verdienen es, mit Respekt behandelt zu werden“

Ich will kein Teil eines exklusiven „Typ-1-Diabetes-Clubs“ sein, der es sich zur Aufgabe gemacht hat, alle Vorurteile auf Personen mit Typ-2-Diabetes abzuwälzen und das als einzigen Weg sieht, sich selbst von den nervigen Kommentaren zu befreien, die uns entgegengebracht werden. Es sollte keine Überraschung sein, aber: Auch Personen mit Typ-2-Diabetes verdienen es, mit Respekt behandelt zu werden. Genauso, wie wir es fordern. Versteht mich nicht falsch: Ich finde es gut und wichtig, dass sich immer mehr Stimmen von Personen mit Typ-1-Diabetes verknüpfen und ein Dialog über unsere geteilten und auch abweichenden Lebensrealitäten stattfindet. Aber an diesem Punkt kann es nicht aufhören, an diesem Punkt darf es nicht aufhören!

Zu mehr Solidarität gehört mehr Sensibilität

Ich wünsche mir noch mehr Sensibilität dafür, dass auch andere Personen von langen bürokratischen Antragsverfahren bei Krankenkassen, Ablehnungsbescheiden, fehlenden Unterstützungssystemen in Universitäten und an Arbeitsplätzen oder mangelnder Barrierefreiheit betroffen sind. Ich wünsche mir nicht nur einen Blick über den Tellerrand, sondern, dass wir auf den Tellerrand klettern und uns umschauen, was um uns herumsteht und mit was die anderen Teller befüllt sind.

Ich wünsche mir, dass wir aus unserer „Diabetes-Bubble“ rauskriechen und Austausch mit anderen chronisch kranken und be_hinderten Personen stattfindet. Ich wünsche mir, dass wir ihnen zuhören. Genauso, wie wir fordern, dass uns zugehört wird. Ich wünsche mir, dass wir anerkennen, dass wir nicht die einzigen sind, die ableistische Diskriminierungserfahrungen machen. Wir können Ableismus langfristig nicht im Alleingang unseres Exklusiv-Clubs überwinden, sondern nur als Kollektiv und dafür muss es häufiger mal unbequem werden.


Mehr Sensibilisierung zur besprochenen Thematik erfahrt ihr auch in Kiaras Beitrag „Disability Pride Month ist auch Diabetes Pride Month!

2 Kommentare zu “Einmal über den Tellerrand blinzeln reicht schon lange nicht mehr!

  1. Heute jibbet nur noch babbels!

    Typ 2 ist der angefressene, oder?

    Bin seit diagnostiziert 91 Typ 2, längst insulinpflichtig und seit um 10 Jahren HBA1c um 5.

    Hab vor 6 Jahren von 96 kg 25 abgenommen, ABER OHNE jede Verringerung meines Insulinbedarfs.

    Sagt mir: mehr Lebendgewicht=mehr Insulin = fake news 🙁

  2. Dein Text Kiara hat mich echt zum Nachdenken angeregt.
    Natürlich fällt es viel leichter, Menschen einfach in Kisten zu stecken und mit Vorurteilen zu versehen. Manchmal erwische ich mich auch dabei und im Nachhinein tut es mir dann immer leid, weil ich nichts von diesem Mensch und seiner Geschichte weiß, außer wie er aussieht oder was für eine Krankheit er hat.

    Dein Beitrag hat mich inspiriert, den einzelnen Mensch wieder mehr als Mensch zu sehen und mich für ihn und nicht seine Krankheit oder sein Aussehen zu interessieren. Deine Botschaft ist wirklich großartig und wird vielen Menschen helfen. 🙂

    Hast du mir noch einen Tipp, wie ich sensibel sein kann bei Menschen, die ich frisch kennengelernt habe und noch nicht so gut kenne?

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