Diabetes und Achtsamkeit – warum?

Das Diabetes-Management kann mitunter ganz schön aufreibend und stressig sein: der Umgang mit den Emotionen, dem Stress, dem Frust, den das ständige Rechnen, Vorausplanen, Anpassen, und das vorprogrammierte Scheitern. Achtsamkeitsübungen können dabei helfen, den emotionalen Stress zu reduzieren, weiß Mirjam zu berichten.

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„Hypo – allein auf einem Berg in den Alpen. Ich habe schon gegessen und muss jetzt warten, dass der Zucker wirkt. Aber mein Herz rast, meine Gedanken auch, und der Sensorpfeil zeigt weiter steil nach unten. Panik. Da erinnere ich mich an unsere Atemübung, setze mich auf einen Stein, richte meinen Blick in die Ferne und all meine Konzentration auf den Atem. Einfach nur ein und aus. Einfach nur da sein. Mein Puls wird ruhiger, und ich auch. Tatsächlich: als ich nach einer Weile wieder auf den Sensorwert schaue, hat sich die Glukose stabilisiert und steigt wieder langsam.“1

Quelle: Johanna Mechler

So ähnlich berichtete es eine der anderen Teilnehmerinnen in der U-Health Pilotstudie zu Diabetes der Arbeitsgruppe Integrative Typ-1-Diabetologie der Universität Witten-Herdecke (mehr zur Studie: https://www.uni-wh.de/gkls/forschung/projekte/u-health-pilotstudie-zu-typ-1-diabetes/). Hier geht es um einen ganzheitlichen Ansatz in der Behandlung von Diabetes: Es fallen Begriffe wie emotionale Regulationskompetenz, Züricher Ressourcenmodell, Psycho-Neuro-Immunologie und Somatic Experiencing. Der Rahmen: Die Theory U von Otto Scharmer, nach der man (verkürzt) erst aus dem Bewussten, Bekannten, runter ins Unbewusste tauchen muss, da muss es arbeiten, und dann kann man mit offenem Geist, Herz und Verstand bewusst und verändert Themen bearbeiten.

Zahlen, Zahlen, Zahlen

Bei unserer Diabetes-Diagnose bekommen wir erst einmal einen ganzen Satz an Zahlen und Formeln an die Hand: Kohlenhydrate, BE (Broteinheiten), KE (Kohlenhydrateinheiten), Korrekturfaktoren, ICR (Insulin-Carb-Ratio), Spritz-Ess-Abstand, temporäre Anpassung der Basalrate oder prozentuale Anpassung des Basal-Insulins bei Sport, Krankheit oder Urlaub, den Effekt von Sport und zahlreichen anderen Aktivitäten. Hinzu kommen Zielwerte, Time in Range (TIR), TITR (Time in Tight Range), TAR (Time above Range) und TBR (Time below Range). Unser Kopf wird plötzlich zu einer immerwährenden, wabernden Gleichung voller Abkürzungen. Was nachgefragt und trainiert wird, wonach wir „bewertet“ werden und uns oft selbst bewerten, sind die Zahlen.

Was tun mit all den Emotionen?

Fust, Ärger und ein Gefühl der Hilflosigkeit können immer wieder auftauchen.

Doch was kaum Raum findet, ist die Frage nach dem Umgang mit den Emotionen, dem Stress, dem Frust, den das ständige Rechnen, Vorausplanen, Anpassen, und das vorprogrammierte Scheitern bedeutet – denn der Körper ist keine Maschine, und auch wenn ich mein Bestes gebe, kommt nicht immer das aus meiner Sicht beste Ergebnis dabei heraus. Ganz davon abgesehen, muss so eine Diagnose erst einmal verarbeitet und integriert werden, damit das Leben wieder neu weitergehen kann. Denn von einem auf den anderen Tag ist alles anders. Bei Menschen mit Typ-1-Diabetes sind insbesondere Depressionen und Angststörungen deutlich höher als im Bevölkerungsdurchschnitt. Was also tun?

Alltagshilfe durch Achtsamkeit und Stressmanagement

Wir könnten jetzt das Grundproblem diskutieren, dass der Mensch mehr ist als eine Zahl, dass wir die diabetologische Versorgung revolutionieren sollten – eigentlich unsere Gesellschaft. Außerdem gibt es Situationen und Konstellationen, in denen es schlicht professionelle therapeutische Begleitung braucht, um mit bestimmten Belastungen umzugehen. In vielen Fällen aber helfen Rituale und Übungen im Alltag vieler Menschen, die heute im Kontext von Achtsamkeit und Stressreduktion geteilt werden. Außerdem hilft der Austausch in der Gruppe mit gleichgesinnten Menschen, die die Diabetes-Erfahrung teilen. Auch Studien belegen positive Effekte von Achtsamkeitsübungen auf die Lebenszufriedenheit, die Resilienz und die Zufriedenheit mit dem Diabetesmanagement (siehe beispielsweise Chen et al. 2020, Ngan et al. 2021).

Dass Achtsamkeitsübungen, zur Ruhe kommen, der Austausch in einer Gruppe von Menschen, die genau das in unserem oft allzu vollen Alltag üben, helfen, das habe auch ich persönlich schon vielfach erfahren – in mehreren Kursen und mehrtägigen Achtsamkeits-Seminaren, in meiner Fortbildung im Bereich Capacitar (eine Methode zur ganzheitlichen Resilienzstärkung, Körper- und Trauma-Arbeit; https://capacitar.org/), gerade als Teilnehmerin an der U-Health Pilotstudie und in den Angeboten, die ich selbst für Menschen mit Diabetes rund um Achtsamkeit und Körperarbeit mache.

Gerade ist das erste 6-Wochen-Seminar zu Ende gegangen, der zweite beginnt am 29. April und der dritte am 3. Juli 2024 (Anmeldelink zur zweiten Seminar-Runde: https://forms.gle/yirkXhBhhXVmBj8o7). Und hier könnt ihr euch für die dritte Runde anmelden: https://forms.gle/6aZupoZBZyQ6TMMm7.

(1) Hinweis zur Glukosekurve: erstens „hängt“ die Sensorglukose, gerade bei starken Schwankungen, der Blutglukose oft 10-15 Minuten hinterher, und zweitens kann das Messverhalten der Sensoren in Höhenlagen verändert sein. Deswegen wird in solchen Situationen dazu geraten, zusätzlich einen Blutglukosewert zu nehmen.

 

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