Den Jahreswechsel verbrachte Susanne mit ihren Samba-Bandkollegen im tiefsten Russland. Wie ihr Insulin die -28 Grad und weitere winterliche Abenteuer verkraftet hat, verrät ihr Reisebericht.
Reisen ist mein Hobby. Musik machen auch. Mit meiner Münchner Sambaband „Uniao do Samba“ über Silvester nach Russland zu reisen, hörte sich für mich daher von Anfang an doppelt attraktiv an. Gesagt, geplant, getan – Ende Dezember flogen wir als 41 Mann, Frau und Kinder starke Truppe über die russische Hauptstadt nach Nischni Novgorod, Russlands fünftgrößte Stadt. Von dort sollte uns ein Bus zwei weitere Stunden lang in ein Feriencamp mitten im winterlichen Wald fahren – der Auftakt für unsere „Russland-Tournee“. Mein Diabetes fuhr natürlich auch mit. Silvester in Russland kannte er ohnehin schon, da ich vor vier Jahren schon mal den Jahreswechsel hier gefeiert habe (s. hier). Damals hatte es im Extremstfall rund -10 Grad. Zwei Ersatz-mylife-Omnipods transportierte ich im Handgepäck – für den Fall, dass mein Koffer nicht zeitgleich mit mir ankommen und ein paar Tage länger brauchen sollte. Eine gute Entscheidung. Denn ein Koffer unserer Gruppe blieb tatsächlich zurück, sodass wir uns ohne ihn am Flughafen in Nischni Novgorod in den abenteuerlichen Bus setzten, der mit seiner Zottel-Deko an einen fliegenden Teppich erinnerte. 41 Leute, 40 Gepäckstücke, alle Instrumente einer Sambaband – das passt trotzdem nicht. Doch es wurde passend gemacht und so fuhren wir mit Gepäck auf Sitzen und im Gang verteilt gut gelaunt durch die winterliche Nacht Russlands – in immer abgelegenere Waldgegenden, nachdem wir die Großstadt hinter uns gelassen hatten.
С Новым годом [s nowym godam] – Frohes Neues!
Ab dann jagte an den nächsten zehn Tagen ein Highlight das nächste: Auftritt im Kreml von Nischni Novgorod vor hunderten begeisterten Zuschauern, Berichterstattung im russischen Fernsehen, herrlich entspannte Tage mit anderen russischen Gästen im Feriencamp, die uns Traditionen wie das richtige Wodka-Trinken näherbrachten („Sa druschbu – auf die Freundschaft“), eine lebhafte Silvesternacht mit Putin-Ansprache im Fernsehen um Mitternacht, eine spaßige Eisrutsche, ein Besuch in einer Matroschka-Fabrik, ein nächtlicher Besuch einer orthodoxen Weihnachtsmesse und ein abenteuerlicher Hochseilgarten, der mir aufgrund der Anstrengung (oder Anspannung?) eine Unterzuckerung einbrachte. Mein Diabetes kennt es schon, dass ich ihn „zwinge“, meine Lust auf Aktivität mitzumachen. Das dankt er mir manchmal mit niedrigen Werten, was in Russland aber nur einmal grenzwertig wurde: Nach einer rund 1,5-stündigen Stadtführung in Nischni Novogorod lag mein Blutzucker trotz vorab gesenkter Basalrate um 50 Prozent, trotz reduziertem Bolus zum Frühstück und trotz Extra-Zuckerladung zum Tourstart am Ende wieder im roten (unteren) Bereich. Kritisch wurde es deshalb, weil mein Zuckervorrat gerade aufgebraucht war und die historische Straßenbahn – unser nächster Programmpunkt – bereits auf uns wartete, sodass ich keine BEs mehr im Café nebenan shoppen konnte. Ich hatte nur die Wahl zwischen zurückbleiben und ohne Zucker einsteigen – in der Hoffnung, dass meine Mitreisenden besser ausgestattet sind. Ich entschied mich für Letzteres und erhielt von den anderen tatsächlich reichlich Kohlenhydrate in Form von Croissants vom Frühstücksbüffet, Mars-Riegel usw. Zu weit nach oben ging es dagegen einmal, als offenbar der Katheter meines Omnipods verrutscht ist: Nach einem leckeren Essen bei einem Azerbaidschaner lag mein Blutzucker nachts bei 220 mg/dl (12,2 mmol/l) – also korrigierte ich und ging ins Bett. Am Morgen danach dann bemerkte ich eine beginnende Ketoazidose – Keton zweifach positiv, mein FreeStyle Libre wollte gar keinen Wert mehr anzeigen („HOCH“). Die Korrektur am Vorabend kam vermutlich auch schon nicht mehr an … also habe ich mein Equipment gewechselt, Korrektur gespritzt und mich beim Frühstück auf kohlenhydratfreies Rührei beschränkt. Ein paar Stunden später bin ich wieder im grünen Bereich angekommen, als wir schon im Zug nach Moskau saßen.
