Das Gefühl von Unterzucker – der Versuch einer Aufklärung

Wie sichtbar der Diabetes ist (und gemacht wird), hängt immer von der betroffenen Person ab. Heike hat erst im Laufe der Zeit angefangen, ihren Unterzucker offen zu kommunizieren.

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Viele Menschen kennen mich als berufstätige Mama mit ihrer kleinen-großen Tochter und der neugierigen, schwarzhaarigen Labradorhündin an der Seite. Mein Diabetes ist dabei jedoch unsichtbar. Und oftmals – das stelle ich immer wieder fest – weiß kaum jemand Bescheid über meine kleinen Schwachstellen: die Unterzuckerungen. Im Gegenteil – mein Unterzucker geht für die Außenwelt oftmals „unbemerkt“ vorüber.

Quelle: Heike Wolf

Ich möchte hier mit meinen eigenen Worten beschreiben, wie sich für mich persönlich ein Unterzucker anfühlt. Denn ich muss im Alltag täglich jonglieren: die Balance zwischen meinem Familienleben, den Anforderungen im Beruf und dazu gibt es noch immer meinen ständigen Begleiter, den Diabetes mit den Hypoglykämien. Wenn Menschen mich nicht als Diabetikerin kennen, dann erlebe ich bei diesen Menschen oft eine Art von Hilflosigkeit. Die Mitmenschen reagieren sehr unterschiedlich. Mal ist es Hilflosigkeit, mal Ignoranz, dann auch Hilfsbereitschaft.

Unterzuckerungen und die psychische Verfassung

Die Anzeichen jeder Unterzuckerung schauen bei mir sehr verschieden aus. Es gibt sowohl körperliche als auch psychische Merkmale. Auf die konkreten körperlichen Details möchte ich nicht genauer eingehen. Mir ist in diesem Beitrag die psychische Verfassung sehr wichtig.

Ich habe mit bald 30 Jahren Diabetesdauer schon extrem viele Erlebnisse mit diesen verflixten Unterzuckerungen erlebt.  Bei mir selbst fühlt sich eine Hypoglykämie je nach Situation sehr verschieden an. Es erinnert fast an ein Chamäleon, dessen Haut sich sekundenschnell verändern kann. Mal bin ich in meinen Reaktionen etwas langsamer, dann wieder extrem „zickig“ oder launisch und manchmal etwas abwesend, wie in einer eigenen Welt.

Quelle: Pixabay

In meinem Kopf schreit es dann oft laut nach „Essen“. Es erscheinen innerlich Bilder von Süßigkeiten, Saft oder Brot. Ich brauche dieses Essen dann jetzt, SOFORT!!! Was immer dabei bleibt, ist meine LANGSAMKEIT.

Charakteristisch war für mich die Eigenschaft, dass ich versuchte, jede Unterzuckerung – wenn möglich – zu kaschieren und sie meinem Umfeld zu verheimlichen. In mir entsteht dann eine Art innerer Bedrohung. Ich will bei meiner Außenwelt nicht als schwacher Mensch dastehen. Ein Mensch, der seinen Diabetes und damit sein Leben nicht im Griff hat… Es sind für mich oft furchtbare Gefühle bei diesen Unterzuckerungen. Mich plagte dann häufig ein schlechtes Gewissen, etwas falsch zu machen. Diese eigenen Schuldzuweisungen sind sehr unangenehm.

Meine Hypoglykämien im Laufe der Zeit

Nun lebe ich mit meinem Diabetes schon über 25 Jahre. Und damit haben sich auch die Beziehungen zu meinen Hypoglykämien verändert. Wollte ich früher unbedingt die Hypoglykämien kaschieren, gehe ich jetzt viel lockerer mit ihnen um. Ich sage meinen Kollegen in der Arbeit offen, dass ich jetzt eben ein Glas Apfelsaft brauche, weil mein Blutzucker in den Keller rauscht. Oder ich gönne mir zu Hause diese 10 Minuten Pause, weil ich das jetzt brauche. Meine Tochter kennt den Zustand ihrer Mutter schon und bietet mir oft Süßigkeiten aus ihrer „Süßbox“ an.

Quelle: Heike Wolf

Das Gefühl bei einer Unterzuckerung bleibt nicht ein Leben lang gleich. Es verändert sich. Genauso wie sich der Umgang mit meinem Diabetes geändert hat. Aus Angst oder Panik vor einer Hypoglykämie kann auch der bewusste Umgang mit diesem besonderen Zustand werden. Alles braucht jedoch Zeit und viel (Lebens-)Erfahrung.

Über ein Feedback von Euch freue ich mich!


Das unterschiedliche Erleben von Hypoglykämien war auch Thema bei einer Barcamp-Session, über die Antje berichtet: 100 Gesichter, 100 Hypos: Wir erklären, wie sich eine Hypo anfühlt!

7 Kommentare zu “Das Gefühl von Unterzucker – der Versuch einer Aufklärung

  1. Technik ist eben nicht überall einsetzbar. Den Sensor trage ich aufgrund von Hautproblemen und technischen Defekten nicht mehr. Nach bald 30 Jahren weigert sich die Haut langsam noch mehr Einstichstellen zu akzeptieren. Ich vertraue jetzt wieder mehr auf meinen Körper und auf meinen Diabetes Hund.

  2. Hallo liebe Heike 🙂

    Sehr interessanter Beitrag! Ich gehe (wie mit allem) sehr offen mit Hypos um. Manchmal merke ich sie mehr, manchmal weniger (nachts schlief ich ohne Dexcom einfach durch).
    In der Uni gehen auch alle in meinem Umkreis locker damit um. Wenn ich sage, ich brauch mal kurz einen Moment, weil der Blutzucker wieder runter geht, wird kurz abgeklärt, ob ich genug habe oder mir jmd etwas holen soll. Dann werde ich mit einem wachenden Auge aus der Seite beobachtet & alles wieder cool 🙂

    Das Schlimmste an einer Hypo (für mich persönlich) ist der Heißhunger – das Ungesündeste aus dem Kühlschrank und am besten in 3-facher Menge! 😀

    Liebe Grüße
    Nathalie

  3. Hallo Heike, Danke für deinen Bericht!

    Ich gehe mit Hypos sehr offen um, alleine schon aufgrund der Tatsache, dass mich drei Hypos mit Bewusstlosigkeit (vor CGM) umgehauen haben, zwei davon mit üblen Frakturen, unter denen ich noch heute leide, war somit kein Spaß. Im Ernstfall, ich hoffe das passiert unter CGM nicht mehr, kann es für mich nur gut sein, dass mein Umfeld Bescheid weiß, sollte eine Hypo im Anmarsch sein.

    Lieben Gruß Matthias

  4. Hypos sind sicher die unendliche Geschichte beim Diabetes. Nach 48 Jahren mit Diabetes und auch schweren Hypos (u.a. beim Auto fahren) kann ich sagen, es ist wichtig offen zu sein. Auf der Arbeit wissen alle Bescheid, auch über meine „Eigenheiten“. Mit einer neuen Pumpe habe ich mich für ein CGM-System entschieden und bereue es nicht. Da ich ohne Testgerät groß geworden bin, schätze ich die Technik sehr.

  5. Hallo Heike, danke das Du dieses wichtige Thema angesprochen hast. Ich meine auch, das die Hypo zum Typ1 gehören, wir müssen damit leben und die Hypo ist auch mit ausgefeiltester Technik nicht immer zu verhindern. Wichtig dabei nur das in solchen Fällen nichts aber auch nichts wichtiger ist. Und ist die Besprechung noch so wichtig … aufstehen und etwas tun, und zwar sofort. Scham oder Rücksichtnahme ist absolut falsch, auf uns nimmt auch keiner Rücksicht. Und noch eins … Ihr macht das alle wunderbar, immer wieder aufzustehen und Kämpfen. Oft geht mir diese erklärende Blabla in diesen Situationen schon auf den Geist, weil diese Fragen jeden Tag kommen. Ob Kollegen, Ärzte oder Partner, die werden es nie begreifen, und wirklich helfen auch nicht. LG Jürgen

    1. Vielen Dank für eure Worte!
      Das Thema Hypo begleitet meine Diabeteskarierre schon sehr lange. Immer wieder gab und gibt es dabei Konflikte im Umfeld (früher meine Eltern, jetzt mein Partner, manchmal Arbeitskollegen). Ich wollte eben genau das in diesem Artikel ansprechen. Für mein Umfeld ist es oft sehr schwierig zu verstehen, wie man sich während einer Unterzuckerung fühlt. Jedesmal ist es anders. Jedesmal gibt es eine andere Reaktion. Und das ist für andere Menschen zugegeben eine Herausforderung … Natürlich haben wir nun dank der Technik die Möglichkeit, besser Hypos vorzubeugen. Und ein Austausch hilft auch immer weiter. Danke!!

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