Jasmins Verhältnis zu ihrem Körper war immer schwierig. Sie dachte, das absichtliche Weglassen von Insulin wäre die Lösung ihrer Probleme. Doch es kostete sie fast das Leben. Sie berichtet über ihre Reise zurück.
Flackerndes, grelles Licht, es schmerzt in den Augen. Ich öffne selbige langsam, es fällt mir sehr schwer. Der Raum ist viel zu steril und hell. Wo bin ich?! Stück für Stück kann ich meine Augen unter Anstrengung länger offenhalten.Wo bin ich?
Was tut da nur so weh auf meiner Brust? Ich registriere, dass da jemand steht. Dieser Schmerz; mein Körper, er tut einfach nur höllisch weh, jede Faser. Was ist denn hier los? Ich spüre, wie Panik in mir aufkommt. Wer steht da? Ich konzentriere mich. Es ist meine Mutter. Sie sieht müde und gleichzeitig traurig aus. Jetzt erkenne ich es, diesen Raum, diesen ganz speziellen Geruch. Ich bin im Krankenhaus. Das Piepen, was ich die ganze Zeit nicht aus meinem Kopf und meinen Ohren bekomme, das ist der Herz-Monitor. Meine Mutter streicht mir über die Wange. Die Erinnerungen kommen zurück. Der Zusammenbruch am Morgen, das Gefühl, das Erbrechen, die Fahrt hierher und dann nichts! Mein Vater hat mich in das Auto getragen, weil ich nicht mehr gehen konnte. Bis dahin weiß ich es, doch dann nur ein hoher greller Ton mit dem dazu passenden Licht, gefolgt von sehr viel Leere.Der Herzstillstand
Verzweifelt schaue ich zu meiner Mutter. Sie drückt meine Hand fest, umklammert sie schon beinahe. „Fast hätten wir dich verloren! Du warst 3 Minuten weg.“ Ich verstehe, was sie sagt. Verstehe jedes Wort, und mir wird auf einen Schlag klar, dass meine „erfolgreiche“ Reise hier ein jähes Ende fand. Ich war 3 Minuten tot.Es fing alles eigentlich schon immer an
Seit ich denken kann, war ich die Dicke, die etwas zu gerne aß. Die Laute, die etwas zu wild war. Aber vor allem nicht die Beliebteste in der Schule. Ich war ein Sonderling, wie man sie aus Highschool-Filmen kennt.
Meine Reise der Sucht
Also wurde ich immer fülliger, und der Diabetes wuchs heran zur zusätzlichen Qual und Motivation, heimlich zu essen. Mit 14 begann ich alles zu verweigern. Meine Umgebung, die Schule und auch alles, was mit dieser Krankheit zu tun hatte: Tagebuchführen, Essenabwiegen und auch das Insulinspritzen. Einfach, weil ich allen zeigen wollte, wie stark ich bin. Dass ich so unabhängig von allem und jedem bin und man mich genau deshalb auch nicht mehr kleinhalten kann. Das Weglassen des Insulins, hatte sich langsam eingeschlichen, zunächst habe ich den Bolus für die Mahlzeiten ausgelassen, dann die Basalrate abends oder morgens, mal beide, ich benutzte damals noch Pens. Mir ging es dadurch nicht besser, mein Körper zeigte mir schnell, dass dies nicht gut sein kann, mir war ständig übel und ich war antriebslos.Diagnose: Diabulimie
Aber noch etwas geschah, und das weckte meine Aufmerksamkeit weitaus stärker: Meine Hosen und Shirts fingen an zu schlackern. Ich verlor an Fülle im Gesicht und ich erinnerte mich daran, wie schön ich im Sommer vor meiner Diagnose abgenommen hatte. Ich zählte eins und eins zusammen und verstand, dass es an dem fehlenden Insulin lag. Aber so, wie es bis dahin lief, war das nicht sinnvoll, dahinter lag kein System, keine Kontrolle. Das wollte ich nicht. Ich wollte mich von niemandem kontrollieren lassen, auch nicht von meinem Diabetes. Ich würde die Kontrolle übernehmen, das stand für mich fest.Insulin spritzen oder nicht?
Also begann ich, mich heranzutasten: Wie viel Insulin war am Tag nötig, um mir die Übelkeit weitestgehend vom Leib zu halten und trotzdem Gewicht zu verlieren? Was konnte ich gut essen, ohne dass es meine Übelkeit förderte? Ich passte jeden Tag die Stellschrauben an, notierte alles bis ins kleinste Detail und war mir spätestens nach den ersten Kommentaren über meine „bessere Figur“ sicher, alles richtig zu machen.
Im Krankenhaus
Als mir im Krankenhaus erklärt wurde, was mit mir im Schockraum geschah, und mir die Schwester sagte, sie hätte nicht gedacht, dass ich das schaffe, bekam meine Reise auch einen Namen: Diabulimie*. Ich hatte davon noch nie gehört und eigentlich war es mir auch egal, ich wollte nur wissen, wie ich mein Gewicht halten konnte. Mir war damals bewusst, dass ich im Krankenhaus kein Insulin weglassen könne, da ich auf der Intensivstation lag und unter anderem angeschlossen an einen Insulin-Perfusor war. In meinen Augen wurde mir das gefährlichste Elixier in die Venen gepumpt. Also vermied ich es zu essen, so lange, bis es mich überkam oder die Schwestern nicht mehr glaubten, dass ich an Bauchschmerzen oder Übelkeit litt. Wenn ich dann etwas aß, folgte umgehend das Erbrechen, weil mich das schlechte Gewissen überkam. Es dauerte nicht lange, bis Ärzte und Schwestern dahinterkamen und ich, nach mehrmaliger Aufforderung zur Nahrungsaufnahme, über eine Sonde zwangsernährt wurde. Denn neben den Auswirkungen des Diabetes auf meinen Körper war ich mit 42 kg bei einer Körpergröße von 1,77 m auch durch meine körperlichen Gegebenheiten in Lebensgefahr.Außer Kontrolle?
Nach vier Monaten durfte ich das Krankenhaus dann verlassen und nichts war mehr wie vorher. Man hatte mich zwar wiederbelebt und dadurch zurück ins Leben geholt, aber innerlich war ich tot. Ich hatte mein Gewicht mittlerweile verdoppelt und hatte das Gefühl, alles verloren zu haben, was ich je besaß. Für mich hatte mein Leben so absolut keinen Sinn mehr.
Hallo,
das kommt mir sehr bekannt vor.Auch ich wahr so in meiner Jugend.
Meine letzte schwere Ketoazidose hatte ich mit 19 und der Arzt auf der Intensiv sagte nur das war sehr knapp.Erst da hat es so langsam bei mir Klick gemacht.
Seit klein auf habe ich einen schwer einstellbaren Diabetes,aber ich kämpfe weiter mit meinem Monsta. Unsere Tochter hat nun auch seit 4 Jahren ihr Monsta,ist mitten in der Pubertät und hatte erste Züge davon gezeigt,aber ich halte da den Daumen drauf halten und auch ihre Schulbegleitung.Es kommt zwar oft Muddi mich nervt das alles,aber dann sage ich ihr mich auch,aber da müßen wir zusammen durch.
LG Sandra