Insulinresistenz statt Hirntumor: Wie ich trotz Falschdiagnose den richtigen Weg gefunden habe

Carla dachte, sie hätte einen Hirntumor – und das nur, weil ihre Ärzte sie nicht richtig untersuchten. Über ihre wahre Diagnose „Insulinresistenz“ schreibt sie ab jetzt in der #BSLounge.

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Ursprünglich hieß es, dass ich einen Hirntumor hätte. An meinem dreißigsten Geburtstag saß ich bei der Urlaubsvertretung meines Frauenarztes in der Praxis mit einer stark vergrößerten, feuerroten, pochenden linken Brust. Seine Diagnose: „Sie haben einen Tumor an der Hypophyse (Hirnanhangdrüse) und der ist hormonell aktiv. Gehen Sie nach Hause und ab jetzt keine Schokolade und keinen Kaffee mehr.“ Kein Überweisungsschein, kein Rezept, keine weitere Erklärung, dafür sehr viel Unsicherheit und absolut kein Verständnis davon, wie ich an diesen Hirntumor geraten war.

Ein Hirntumor?!

Drei Wochen später: Meine kaffeefreie Ohne-Schokolade-Ernährung hatte dazu geführt, dass die rechte Brust sich ein Beispiel an der linken genommen hatte und nun ebenfalls stark vergrößert war. Hin und wieder trat auch mal Flüssigkeit aus. Ich saß diesmal bei meinem Frauenarzt höchstpersönlich in der Praxis. Auch er machte keine Anstalten, mich zu einem MRT zu überweisen oder mal über eine Medikation nachzudenken. Er meinte: „Das pendelt sich schon wieder von alleine ein.“

Quelle: Pixabay

Ein paar Wochen später hatte sich nichts von alleine eingependelt. Ich bekam endlich ein Medikament und damit ging die Talfahrt erst so richtig los. Fünf Jahre lang, immer zum Sommeranfang, wurde ich bei meinem Arzt vorstellig. Weil man das Medikament immer nur zwei Monate nehmen darf und in der Zeit ohne Medikation der angebliche Tumor anfing, zu viel von einem Hormon namens Prolaktin zu produzieren. Irgendwann ging mein Frauenarzt in Rente und übergab die Praxis einer neuen Ärztin. Auch sie verschrieb mir das Medikament, das starke Nebenwirkungen hat und sich anfühlt, als würde man eine Depression in Pillenform einnehmen.

Verdacht: „Hashimoto“

Auch nahm ich in der Zeit enorm zu, obwohl ich 3-5 Mal in der Woche zum Sport ging und mich an einen Low-Fat-Ernährungsplan hielt. Ich spürte, wie mein Körper sich stark veränderte. Die zunehmenden Rücken- und Fußschmerzen machten es da nicht angenehmer. Irgendwann meldete ich mich beim Fitnessstudio ab. Hatte ja eh keinen Sinn, denn das Training hatte zur Folge, dass ich noch hungriger war als ohnehin schon. Seitdem ich denken kann, bin ich hungrig. Musste ich einmal länger als zwei Stunden ohne Essen auskommen, stand ich kurz vor der Ohnmacht. Dass alle diese Symptome miteinander zu tun haben, wusste ich damals noch nicht.

Nach insgesamt sechs Jahren überwies mich meine Ärztin dann endlich zu einer Endokrinologin. Verdacht: Hashimoto-Thyreoiditis. Diese Endokrinologin gab vor, mich auf alles Erdenkliche zu prüfen. In Wahrheit aber nahm sie mir nur Blut ab. Nur sieht man da eine Insulinresistenz nicht unbedingt. Schon gar nicht die Sorte, die ich habe. Denn mein Blutzuckerspiegel war jeden Morgen ganz normal. Um eine Insulinresistenz feststellen zu können, hätte sie mich aber einen Glukosetoleranztest (kurz oGTT) machen lassen müssen. Sie kam zu dem Ergebnis, dass ich „kerngesund“ sei. Mit Tränen in den Augen verließ ich die Praxis.

Per Zufall zur richtigen Diagnose

Dass ich heute weiß, was damals nicht stimmte und eigentlich schon mein ganzes Leben nicht gestimmt hat, habe ich dem Zufall zu verdanken. Während ich für ein anderes Thema auf YouTube recherchierte, schlug mir der Algorithmus Videos über die ketogene Ernährung vor. Zuerst klickte ich sie weg. Ich hatte jahrelang mit meiner Ernährung experimentiert und herzlich wenig Positives damit erreicht. Irgendwann sah ich mir aber eins der Videos an. Die Frau in dem Video erzählte davon, dass sie nicht mehr ständig Hunger hätte. Das klang unvorstellbar und zugleich sehr verführerisch für mich. Ich hatte ja nichts zu verlieren. Ich würde drei Tage oder vielleicht eine Woche Keto ausprobieren und damit beweisen, dass diese Idee, alles in Butter zu ertränken (so wirkte Keto zunächst auf mich) Schwachsinn sei.

Quelle: Carla Langner

Drei Tage fühlte ich mich, als befände ich mich in einem Fahrstuhl, der nach unten fährt. Danach, als stünde ich auf festem Boden. Meine Rückenschmerzen waren weg. Ich hatte ein bisschen Gewicht am Bauch verloren. Ich dehnte mein Experiment auf weitere sieben Tage aus. Danach waren meine Fußschmerzen verschwunden. Erst jetzt begann ich damit, mich intensiver damit zu befassen und zu recherchieren. Ich kam dabei zu folgendem Ergebnis: Ich bin insulinresistent, Insulinresistenz hängt mit Typ-2-Diabetes zusammen und was ich jetzt tun muss, ist, wieder insulinsensitiv zu werden. Und mir einen Arzt zu suchen, der mich richtig diagnostizieren kann.

Eine Insulinresistenz

Ein halbes Jahr später hielt ich dann endlich den Zettel in den Händen, der für mich wichtiger war als jedes andere Zeugnis: der Nachweis darüber, dass mein Körper auf Zucker jeglicher Art hochsensibel reagiert. Denn Insulinresistenz kann unterschiedliche Muster aufweisen. Meins läuft etwa so ab: Wenn ich eine große Menge Kohlenhydrate esse, schüttet mein Körper unverhältnismäßig viel Insulin aus. Dieses nimmt zu viel Zucker aus dem Blut, sodass ich innerhalb der ersten Stunde nach Verzehr stark unterzuckere. Danach verzögert sich das Einpendeln von Blutzucker und Insulin. Ein bisschen wie eine Art allergischer Reaktion. Deshalb auch der immerwährende Hunger.

Während dieser Zeit begann ich, meine Entwicklung auf Instagram zu dokumentieren. Eigentlich nur für mich, als eine Art Tagebuch. Dann begann ich damit, meine Erfahrungen wiederzugeben, und so bekamen meine Beiträge immer mehr Aufmerksamkeit. Andere Betroffene nahmen Kontakt zu mir auf und schilderten mir ihre Geschichten und stellten auch viele Fragen. Weil man auf Instagram nur sehr kurze Informationshäppchen einstellen kann, veröffentlichte ich meine ausführlichen Beiträge auf meinem Blog.

Meine Ernährungsumstellung

Das Jahr, in dem ich meine Ernährung auf zuckerfrei und ketogen umgestellt habe, war das erste Jahr, in dem ich kein Medikament für meinen angeblichen Hirntumor brauchte. Es dauerte eine paar Wochen, bis ich durch Keto in Kombination mit Intervallfasten mein Essverhalten weiter umstellen konnte, sodass mein Körper nicht ständig von Insulin geflutet wurde. Ich machte noch weitere positive Erfahrungen: Ich konnte plötzlich Milchprodukte und Käse verzehren, ohne dass ich krank wurde. Überhaupt wurde ich nicht mehr schnell krank. Mein Gewicht normalisierte sich, ohne dass ich dafür ins Fitnessstudio musste. Ausgiebige Spaziergänge halfen mir eher dabei, meinen Körper ins Gleichgewicht zu bringen. Im zweiten Jahr bemerkte ich, dass mir die Haare nachwuchsen. Meine Nägel rissen nicht mehr bei jeder Kleinigkeit ein und die Akne, unter der ich auch als Erwachsene immer noch gelitten hatte, verschwand.

Quelle: Carla Langner

Das Beste aber: Außer an ein paar Tagen im Monat, die geprägt sind von meinem PMS (Prämenstruelles Syndrom), ist mein Essverhalten nun so, wie ich mir immer ein normales Essverhalten vorgestellt habe. Mal vier, fünf Stunden ohne Essen auskommen ist nun kein Problem mehr. Ich muss auch keine Angst davor mehr haben, dass mir schwarz vor Augen wird. Wer nicht selbst erlebt hat, wie sich eine Unterzuckerung anfühlt, kann sich nicht vorstellen, wie sehr ich darunter gelitten habe.

Entspannt und zuckerfrei Low-Carb

Meine experimentelle Einstellung habe ich mir erhalten. Ich verstehe die ketogene Ernährung als eine essensbasierte Therapie. Eine Therapie sollte irgendwann auch mal vorbei und der Therapierte in der Lage sein, flexibel reagieren zu können. Gerade bei Frauen sehe ich da einen großen Unterschied und bemerke, wie gut es mir jetzt tut, zwischen einer entspannten, zuckerfreien Low-Carb-Variante und Keto innerhalb meines Zyklus zu pendeln. Dass ich mich einmal so gut mit meinem Körper verstehen würde, hätte ich mir damals nicht träumen lassen. Heute setze ich mich mit traditioneller Ernährung auseinander, also so, wie unsere Großmütter gekocht und gegessen haben, als sie noch jung waren. Denn verarbeitete Lebensmittel haben keinen Platz in meinem Speiseplan. Ich bin sehr gespannt darauf, wohin die Reise als Nächstes geht.


Welche Folgen Fehldiagnosen haben können, weiß auch Lea. In ihrem Beitrag Drei Jahre gegen ein ganzes Leben – Diabetesschicksale berichtet sie über die 5-jährige Kycie Terry.

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