Wie können Diabetespraxen Angehörige von Menschen mit Diabetes unterstützen?

Als Buchautorin gilt Antje neuerdings als Expertin – und durfte bei einem Fachkongress einen Workshop zum Thema „Diabetes und Angehörige“ mitmoderieren. Allerdings gab es nach dem Workshop beinahe mehr ungelöste Fragen als zuvor. Denn für die Angehörigen von Menschen mit chronischen Erkrankungen fehlt in unserem Gesundheitssystem ein verlässliches Auffangnetz.

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Man hatte mir ja prophezeit, dass so etwas passieren könnte. „Wenn du ein Buch schreibst, dann giltst du als Expertin für ein Thema. Und dann wirst du auf einmal überallhin eingeladen und musst Vorträge halten.“ In meinem Fall dauerte es nach dem Erscheinen meines Buchs „In guten wie in schlechten Werten“ sogar nur wenige Tage, bis das Telefon klingelte. Am anderen Ende der Leitung meldete sich eine Dame, die den Kongress „Team Typ 2“ mitorganisierte. Dieser Kongress wird seit ein paar Jahren einmal im Jahr durch das Pharmaunternehmen AstraZeneca ausgerichtet und findet in Berlin statt. AstraZeneca hat viele orale Antidiabetika im Portfolio, die zur Behandlung von Typ-2-Diabetes eingesetzt werden. Doch dieses Mal wollte man auch einmal ein ganz anderes Thema abdecken: die Herausforderungen, mit denen die Angehörigen von Menschen mit Diabetes im Alltag konfrontiert werden.

Wo hakt es in den Praxen beim Umgang mit Typ-F-Diabetikern?

Ich freute mich sehr über diese Anfrage. Denn schließlich habe ich mein Buch ja vor allem deshalb geschrieben, weil diesem wichtigen Thema in der Öffentlichkeit noch viel zu wenig Aufmerksamkeit geschenkt wird. Also stimmte ich zu, hierzu gemeinsam mit dem Hamburger Diabetologen Dr. Jens Kröger beim „Team Typ 2“ einen Workshop für Ärztinnen und Ärzte sowie ihre Praxisteams zu moderieren. Dr. Kröger hatte mir schon bei der Arbeit an meinem Buch sehr geholfen und Expertenkommentare zu den darin geschilderten Fallbeispielen geliefert. Wir einigten uns darauf, zwei dieser Fallbeispiele aus dem Buch herauszugreifen und dem Publikum zu präsentieren – ergänzt durch Tipps und Hintergrundinformationen. Doch vor allem wollten wir mit dem Publikum darüber sprechen, wie sie den Umgang mit den Angehörigen von Menschen mit Diabetes erleben. Was häufige Probleme sind, wo es regelmäßig hakt und welche Lösungen sie Familien und Paaren anbieten können.

Intensive Gespräche und Diskussionen in kleiner Runde

Als ich am 2. Februar 2019 meine Powerpoint-Präsentation bei den Technikern abgegeben und mich im Vortragssaal eingefunden hatte, war ich ziemlich aufgeregt. Immerhin machte mein Diabetes keine Anstalten, den Workshop zu sabotieren. Doch ich hatte keine Ahnung, wie viele Menschen sich für das Thema „Typ F“ interessieren und welche Fragen sie stellen würden. In den Vortragssaal hätten locker 100 Leute reingepasst, doch letztlich waren nur etwa 25 der Stühle besetzt. Einerseits hätte ich mir natürlich mehr Resonanz auf mein Herzensthema gewünscht. Doch andererseits waren in dieser kleinen Runde natürlich intensivere Gespräche und Diskussionen möglich.

Kein Platz im Hort wegen der Diagnose Typ-1-Diabetes

Einer der beiden Fälle aus meinem Buch, die wir in unserem Workshop diskutierten, war der von Jamilah Fahel. Jamilah hat zwei Töchter, von denen eine im Alter von sieben Jahren die Diagnose Typ-1-Diabetes erhielt. Als Milena aus dem Krankenhaus entlassen wurde, weigerte man sich im Hort, das Kind weiter zu betreuen: Die Erzieherinnen weigerten sich, die Verantwortung für das Diabetesmanagement zu übernehmen. Gleichzeitig wollte man aber auch keinen Pflegedienst akzeptieren, der beim Diabetesmanagement hätte unterstützen können. Für Jamilah war das eine Katastrophe. Sie war nach der Diagnose mit dem Diabetesmanagement ohnehin schon mehr als ausgelastet. Außerdem war ihr befristeter Arbeitsvertrag gerade ausgelaufen. Weil sie keine Betreuungsmöglichkeit für Milena nach der Schule hatte, war Jamilah über zwei Jahre lang arbeitslos. Sie hätte zwar juristisch gegen die Kündigung durch den Hort vorgehen können. Doch sie wollte ihre Tochter auch nicht in einer Einrichtung betreuen lassen, in der sie unerwünscht war. Milena wiederum hatte durch diese Erfahrung von Ablehnung einen denkbar ungünstigen Start in ihren Alltag mit Diabetes. Sie hat die Erkrankung bis heute nicht wirklich akzeptiert und tut sich schwer, offen mit ihrem Diabetes umzugehen.

Alltag als Alleinerziehende schon mit gesundem Kind herausfordernd genug

Mich hatte diese Geschichte damals ungeheuer wütend gemacht. Manch einer kann vielleicht nicht verstehen, warum Jamilah sich nicht zur Wehr setzte und sich das diskriminierende Verhalten des Horts ihrer Tochter einfach gefallen ließ. Doch ich konnte sehr gut nachvollziehen, wie ihr zumute war. Schließlich habe auch ich meinen Sohn die längste Zeit seiner Kindheit allein erzogen. Die Organisation des Alltags ist als Alleinerziehende schon mit einem gesunden Kind herausfordernd genug. Jamilah hat aber zwei Kinder, von denen eines gerade die Diagnose Typ-1-Diabetes erhalten hatte. Eine chronische Erkrankung, die ganz besonders am Anfang viel Lernen und Training, ständige Aufmerksamkeit und Energie einfordert. Jamilah hatte in dieser Situation keinen Partner an der Seite, der all das mittragen konnte und wollte. Ich kann gut nachempfinden, dass sie schlicht keine Energie mehr übrig hatte, um sich die Nachmittagsbetreuung ihrer Tochter zu erstreiten.

Menschen mit Behinderungen immer noch oft von Teilhabe ausgeschlossen

Die Diskussion beim Kongress „Team Typ 2“ zeigte mir, dass die Geschichte von Jamilah und Milena leider kein Einzelfall ist. Auch die Diabetesberaterinnen im Publikum berichteten von Fällen, in denen Kinder mit Diabetes von schulischen Aktivitäten ausgeschlossen werden oder erst gar keinen Platz in einer Kita bekommen. Auch knapp zehn Jahre nach Ratifizierung der UN-Behindertenrechtskonvention in Deutschland ist es noch keine Selbstverständlichkeit, dass Menschen mit Behinderungen dieselben Möglichkeiten zur Teilhabe offenstehen wie allen anderen.

Quelle: Pixabay

Was Eltern von Kindern mit Diabetes wissen sollten

Und auch die Diabetespraxen stehen häufig recht hilflos vor den vielen ausgrenzenden Erfahrungen, die Menschen mit Diabetes und ihre Familien erfahren. Es ist in den Bundesländern zum Teil völlig unterschiedlich geregelt, welche Hilfen Eltern von Kindern mit Diabetes in Anspruch nehmen können und wo sie diese beantragen können. Eltern von Kindern mit Diabetes sollten deshalb Folgendes wissen:

  • Kinder mit Diabetes haben Rechtsanspruch auf Betreuungsplatz wie andere Kinder auch.
  • Gleiches gilt für eine Schulbegleitung, die das Kind hinsichtlich des Diabetes betreut, wenn das pädagogische Personal dies nicht tun möchte.
  • Betreuungspersonen sind zu dieser kontinuierlichen Routinebetreuung nicht verpflichtet – sie müssen lediglich im medizinischen Notfall Erste Hilfe leisten.
  • Eltern dürfen nicht wegen Erkrankung eines Kindes vom Erwerbsleben ausgeschlossen werden.
  • Ansprüche können juristisch zur Not im Eilverfahren durchgesetzt werden, damit das Kind nicht unnötig lange vom Schul- oder Kitabesuch ausgeschlossen ist.

Und auf welchen Gesetzen basiert das alles?

Und wer nun noch genau wissen möchte, in welchen Paragraphen diese Dinge geregelt sind bzw. auf welche Gesetze sich Eltern von Kindern mit Diabetes bei der Durchsetzung ihrer berechtigten Interessen berufen können, der möge einmal die Links in diesen Quellen anklicken:

  • In Artikel 3, Absatz 3, Grundgesetz steht u. a.: Niemand darf wegen (…) seiner Behinderung benachteiligt werden. Typ-1-Diabetes ist eine Behinderung, deshalb gilt dieser Passus natürlich auch für Kinder mit Typ-1-Diabetes.
  • § 53 und § 54 SGB XII: Menschen mit Behinderungen haben Anspruch auf Eingliederungshilfe. Dies können verschiedene Leistungen unterschiedlicher Träger sein und sollte von den Gegebenheiten des Einzelfalls abhängig gemacht werden.
  • § 22a Absatz 4 SGB VIII: Kinder mit und ohne Behinderung sollen gemeinsam gefördert werden. Kinder mit Typ-1-Diabetes sollen also nicht ausgegrenzt und aus der Regelbetreuung in Schulen und Kitas ausgeschlossen werden.
  • § 4 Absatz 3 SGB IX: Leistungen sollen so gestaltet werden, dass Kinder nicht von ihrem sozialen Umfeld getrennt werden. Hierauf können sich Eltern z. B. berufen, wenn ihnen nahegelegt wird, ihr Kind mit Typ-1-Diabetes lieber in einer gesonderten Betreuungseinrichtung anstelle der gewohnten Kita anzumelden.
  • § 104 ff. SGB VII: Eine zivilrechtliche Haftung pädagogischer Fachkräfte z. B. wegen fehlerhafter Medikamentengabe ist ausgeschlossen. Dieser Haftungsausschluss ist ungemein wichtig. Denn nach wie vor glauben viele Angestellte in Kitas, Kindergärten oder Schulen, dass sie von den Eltern eines Kindes mit Diabetes persönlich juristisch belangt werden können, wenn sie dem Kind z. B. bei der Insulindosierung helfen und ihnen dabei ein Fehler unterläuft. Die Deutsche Gesetzliche Unfallversicherung (DGUV) hat hierzu Broschüren herausgegeben. Darin kann man nachlesen, dass Fehler bei der Medikamentengabe, die beim betreuten Kind zu gesundheitlichen Schäden führen, wie ein Arbeitsunfall gewertet werden. Solange sie nicht vorsätzlich gehandelt haben, können die pädagogischen Fachkräfte also nicht persönlich haftbar gemacht werden.

Ich hoffe wirklich sehr, dass sich diese Dinge sowohl in den Diabetespraxen als auch in den betreuenden Einrichtungen endlich einmal herumsprechen, damit Menschen mit Typ-1-Diabetes nicht länger ausgegrenzt und ihre Angehörigen endlich unterstützt werden!


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