Typ-F-Diabetes: eine Belastung?

Vivi ist Typ-1-Diabetikerin, das macht ihre Freunde und Familie gewollt oder ungewollt zu "Typ-F-Diabetikern". Wie belastend ist das?

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Habt Ihr Diabetes? Lebt Ihr mit jemandem zusammen, der Diabetes hat? Z.B. Eltern, Partner/in, Geschwistern oder eigenen Kindern? Herzlich willkommen zum Thema „Typ-F-Diabetes“ – denn das F steht für Familie und Freunde. Die meisten reden immer darüber, wie Diabetes ausgelöst wird und wie man diese Krankheit möglichst früh erkennen kann. Unzählige Artikel und Vorträge handeln von der Vielzahl an Risiken für Folgeerkrankungen der Betroffenen. Immer wieder geht man auf den Umgang mit Diabetikern in Notfällen ein und wie man als Außenstehender einen Notfall erkennt und darauf reagiert. Ich möchte in meinem heutigen Artikel den Fokus umdrehen und diesen auf Verwandte, Freunde und Partner von Menschen mit Diabetes setzen: auf Typ-F-Diabetes. Denn auch, wenn diese Menschen keine chronische Krankheit haben, leben sie damit und tragen für ihren „diabetischen Angehörigen“ viel Verantwortung, die u. U. sehr belastend sein kann.

F wie „Family and Friends“

Menschen, die mit Diabetikern zusammenleben, sind auf sozialpsychologischer Ebene sehr wichtig für Diabetiker und haben (gewollt oder ungewollt) großen Einfluss auf deren Stresshaushalt und „Zuckermanagement“. Darüber hinaus stehen allerdings auch genau diese Menschen aufgrund ihrer „diabetischen Angehörigen“ unter einem enormen Druck und großer Belastung, die häufig unter den Teppich gekehrt werden. Das Leben eines Diabetikers beeinflusst die gesundheitsbezogene Lebensqualität und das Selbstmanagement mit allen Höhen und Tiefen (Über- und Unterzuckerungen). Wenn Ihr mit einem Diabetiker zusammenlebt, zieht Euch dieser mit hoher Wahrscheinlichkeit häufig (ungewollt und unbewusst) mit in diese „Höhen und Tiefen“. Ich kenne es von mir selbst. Es gibt Zeiten, da werde ich von einem Zittern und Schwindel überrascht. Wie eine große Welle, mit der ich nicht gerechnet habe, erwischt mich manchmal noch eine Unterzuckerung (trotz CGMs). Einmal war ich mit einer Freundin wandern, als ich bemerkte, dass meine „Hypo-Helfer“ aufgebraucht waren und ich es nicht mehr zur Alm schaffen würde. Meine Freundin holte Hilfe. Seither sitzt der Schreck tief bei ihr. Bei jedem Treffen fragt sie, was ich an „Zuckerstoff“ dabeihabe und ob ich „okay“ bin? Zu Hause gehe ich bei Unterzuckerungen konzentriert zu meinen „Zucker-Verstecken“; um mich mit einer Banane, Saft oder Traubenzucker wieder zu stabilisieren. Ich habe zwei kleine Kinder. Eines davon ist noch ein Baby. Aus Sicherheitsgründen lege ich es ab, wenn ich unterzuckere. Das ohrenbetäubende Geschrei lässt mich natürlich noch mehr schwitzen und den Stresspegel steigen. Unter Umständen verstärkt das die Unterzuckerung. Mein größeres Kind – knapp 4 Jahre alt – kennt den Namen meiner Krankheit und deren Facetten. Es hat bereits gelernt, Verantwortung zu übernehmen. So schaut das große Kind instinktiv ruhig und besonnen nach dem Baby, lenkt es ab, beruhigt es und kommt dann zu mir, streichelt mich und fragt, ob es mir besser geht oder ich noch was zum Naschen brauche.
Quelle: Pixabay
Puuuhhh, als Mama wollte ich Diabetes in jeder Form von ihnen fernhalten. Ich habe mich um eine gesunde Schwangerschaft bemüht und wollte alle „dunklen Seiten der Medaille“ von ihnen weghalten. Doch das Leben mit Diabetes lässt ein Verschweigen nicht zu. Meine Freundin, meine Kinder, mein Mann, meine Mutter… sie alle haben Typ-F-Diabetes… – meinetwegen.

Sozialpsychologisch

Typ-F-Diabetes ist natürlich kein medizinischer Begriff. Sozialpsychologisch wird es irgendwann jedoch meiner Meinung nach bei jedem Diabetiker zu einem wichtigen Thema. Natürlich können Typ-F-Diabetiker nie komplett nachempfinden, was es bedeutet, Diabetes zu haben. Die Suche nach Ruhe kann für Verwandte und Freunde von Menschen mit Diabetes aber sehr schwierig sein, denn die Sorge um und ständige Rücksichtnahme suf einen Diabetiker, den sie lieben, kann belasten – und auch nerven, wie ich von meinem eigenen Mann in einer ehrlichen Konversation erfahren habe. Die Sozialpsychologie erforscht die Auswirkungen anderer Menschen auf das Erleben und Verhalten des Individuums. Noch sind für „Typ F“ keine Ergebnisse am Markt. Aus eigener Erfahrung aber kann ich sagen, dass meine vierjährige Tochter sich bereits schweren Herzens, aber bewussten Verstandes, disziplinieren kann, wenn es darum geht, das letzte Stück Traubenzucker oder den letzten Schluck Apfelsaft in Ruhe zu lassen. Wenn mein Mann und ich hitzig streiten, sagt er manchmal unverwandt: „Miss Deinen Zucker und dann reden wir weiter!“ DAS nervt mich zwar, aber wie oft hatte er leider schon Recht damit. Es gibt so viele Situationen, in denen mein Umfeld eigene Lebensgewohnheiten, Wünsche, Bedürfnisse geändert hat oder zurückhält meinetwegen bzw. wegen meines Diabetes. Ich weiß, dass das aus Liebe geschieht, aber deshalb sollte man das nicht einfach als selbstverständlich hinnehmen. Manchmal überlege ich mir durchaus, ob es meinen Kindern an irgendetwas fehlt oder meinem Mann, weil sie mit mir leben (müssen). Das klingt vielleicht seltsam, aber ich bin mit einem schwerkranken Vater aufgewachsen und so sehr ich ihn auch liebte, nahm es mir an vielen Stellen meiner Jugend die Luft zum Atmen. Mit schwerem Herzen, aber kühner Entschlossenheit, Zielstrebigkeit und einem blutigen Herzen bin ich Anfang 20 dann für mehrere Jahre ins Ausland gegangen. Ich hatte einen Job, in dem ich nicht willkürlich nach Hause hätte fliegen können. Während andere Gleichaltrige ohne Sorgen über das Morgen nach der Arbeit feierten, sorgte ich mich darum, ob ich rechtzeitig zu Hause sein würde, bevor mein Vater stirbt. Ganz so schlimm steht es um mich als Diabetikerin natürlich nicht. Sozialpsychologisch finde ich es aber wichtig, dass wir Betroffene uns auch mal bewusst damit auseinandersetzen, wie das Leben mit uns ist. Ich bemühe mich mit meinen Kindern um eine offene Kommunikation.

DAWN2-Studie – eine gemeinsame Last

Diabetes mellitus bestimmt unseren Alltag, aber logischerweise auch den unserer Angehörigen. Unser chronischer Stoffwechselzustand erfordert nun mal ein Leben lang Aufmerksamkeit und das rund um die Uhr. Wir alle wissen: Mit Typ-1-Diabetes muss man seinen Blutzuckerspiegel mehrmals täglich überprüfen, Insulin injizieren und den Kohlenhydratgehalt der Mahlzeiten berechnen. Eltern oder Partner nehmen oft an diesen „Alltagsprozeduren“ teil, wie die DAWN2-Studie zeigte.
  • Die DAWN2-Studie ist übrigens die größte globale Studie über die psychosozialen Aspekte von Diabetes – emotionales Wohlbefinden, Familiendynamik und mehr.
Es wurde festgestellt, dass 35% der Familienmitglieder eine „moderate“ oder „sehr große“ Belastung durch die Betreuung eines Verwandten mit Diabetes aufweisen, wobei viele Familienmitglieder zugaben, nicht zu wissen, wie sie helfen können. Es ist also wichtig zu überlegen, welche Unterstützung Familienmitglieder benötigen, um ihre Last angemessen zu managen. Viele machen sich lt. der DAWN2-Studie insbesondere Sorgen darüber, eines Tages mit einem Notfall konfrontiert zu werden, wie beispielsweise mit einer Bewusstlosigkeit aufgrund Über- oder Unterzucker. Allerdings gibt es auch positive Auswirkungen des Diabetes auf Angehörige und zwar die bewusste Ernährung und das Wahrnehmen von Vorsorgeuntersuchungen!

Mein Typ-F-Fazit

Alles Schlechte hat sein Gutes. Und das Beste am Schlechten ist, dass ich daraus Gutes lernen kann. Aus Schlechtem entwickelt sich also oft Gutes, auch wenn ich es im Augenblick nicht sehe. Für uns Betroffene wünsche ich mir nur das nötige Bewusstsein und die Empathie, sich regelmäßig in unser Umfeld hineinzudenken, um es entsprechend abzuholen und das Beste draus zu machen!
Klinische Studien – wie funktioniert das? Das fragt ihr euch auch? #BSLounge Autorin Tanja klärt auf!

3 Kommentare zu “Typ-F-Diabetes: eine Belastung?

  1. Ich gehe keine festen Bindungen zu anderen Menschen ein um niemanden zur Last zu fallen, oft schäme ich mich wegen meinem Diabetes weil ich als Krankenschwester alles eigentlich besonders gut wissen müsste in in der eigenen Hypo völlig hilflos.

  2. Hallo zusammen! Ich habe da eine ganz andere Erfahrung gemacht. Meine Partnerin schert sich einen Dreck um meinen Typ1. Das Gemecker geht los, wenn ich einmal im Quartal oder länger zum Arzt gehe. Sport wird mit Missgunst beantwortet und dabei versuche ich ihr seit 17 Jahren ein bisschen beizubringen. Erklärungen gleichen dem Geplanter eines Papagei, immer wieder kommen dieselben Fragen und blöden Bemerkungen. Auch das “kannst du das nicht auch noch essen ” und ein Versuch sie mit zum Diebetologen zu nehmen endete in Geschrei. Ich habe schon gedacht bei Bauer sucht Frau mitzumachen, weil nach meiner Erfahrung können nur Typ1 untereinander eine Partnerschaft haben. Ein Kompliment an alle wo das nicht so ist, und eine besondere Hochachtung an alle die die mürrischen Hypos ertragen. LG Jürgen

    1. Wenn man Kinder will und Typ 1 Diabetes hat, ist wegen der viel größeren Gefahr der Vererbung ein Partner mit Typ 1 keine gute Idee (20% Wahrscheinlichkeit). Ich selber kenne einen Mann mit Typ 1, dessen Sohn (ebenfalls Typ 1) im Alter von 35 Jahren an einer Hypoglykämie mit Bewusslosigkeit starb – damals gab es noch keine Blutzuckersensoren (2007). Der Vater rief ihn jeden Morgen an, eines Morgens hob er nicht ab, aber es war zu spät

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