Kinder und Jugendliche mit Diabetes – was können Eltern tun?

Katharina hat mit ihrer ehemaligen Kinder- und Jugendlichen-Psychotherapeutin, Gundula Göbel, über den Moment ihrer Diabetes-Diagnose im Alter von 17 Jahren gesprochen.

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Viele von uns kennen wohl das Gefühl, sich nach der Diagnose Diabetes alleingelassen zu fühlen. Gerade für Kinder und Jugendliche ist die Situation schwer zu begreifen. Es bleiben zu Beginn nicht nur fachliche Fragen offen, sondern es fehlt auch oft psychische Unterstützung. Mir selbst ging es vor inzwischen mehr als 12 Jahren auch so. Aber ich hatte das Glück, zu der Zeit bereits wegen anderer Probleme in Psychotherapie zu sein, und hatte dadurch einen Anlaufpunkt für meine Ängste, Sorgen und Überforderung.

Gemeinsam mit meiner ehemaligen Kinder- und Jugendlichen-Psychotherapeutin Gundula Göbel erinnere ich mich an die damalige Zeit.

Im Gespräch mit Kinder- und Jugendlichen-Psychotherapeutin Gundula Göbel

Katharina: In meiner Jugend war ich wegen verschiedener privater Gründe bereits einige Jahre Patientin bei dir, als ich dann kurz nach meinem 17. Geburtstag  die Diagnose Typ-1-Diabetes bekam. Erinnerst du dich noch an den Moment, als wir uns danach das erste Mal gesehen haben?

Hattest du das Gefühl, dass ich von ärztlicher Seite zu der Zeit genug Rückenstärkung erfahren habe, um die Diagnose verarbeiten zu können?

Gundula Göbel: Ich erinnere mich gerne an die therapeutische Arbeit mit dir. Die erste Stunde nach deiner Diagnose Typ-1-Diabetes war von viel Ambivalenz gezeichnet. Du hast geweint vor Verzweiflung, dich alleingelassen gefühlt mit dieser Schockdiagnose und der Körper stand im wahrsten Sinne des Wortes unter Schock. Andererseits hatten deine körperlichen Symptome endlich einen Namen. Denn die Ärzte haben dich lange nicht ernst genommen und du hast länger schon gefühlt, dass der Köper nicht angemessen arbeitet.

Quelle: Gundula Göbel / Katharina Weirauch

Es gab immer wieder Ärzte, die meinten, alles ist psychisch, und dir ging es immer schlechter. Da war auch ein Funken Erleichterung mit viel Wut über so eine, wie du sagtest, Scheiß-Krankheit. Die Ärzte gaben dir meiner Erinnerung nach leider keine Rückenstärkung und es fehlten dir wichtige Sachinformationen. Du hast damals gesagt: „Ich fühle mich wie ein rohes Ei.“ Und die Ärzte haben es immer eilig. Es gab keinen Raum für Fragen oder Gefühle, obwohl du noch so jung warst und medizinische und verständnisvolle Antworten gesucht hast.

Psychische Belastung durch die Diabetes-Diagnose

Katharina:  Hattest du den Eindruck, dass sich meine Probleme durch den Typ-1-Diabetes verlagert haben? Oder dass ich allgemein einer größeren psychischen Last ausgesetzt war als vorher?

Gundula Göbel: Eindeutig kann ich die Frage mit Ja beantworten. Denn deine Probleme hattest du gut reflektiert und vieles bearbeitet. Damals, als du 17 Jahre alt warst, ging es um eine altersangemessene Ablösung von der Familie, wie es in dem Alter üblich ist. Jedoch kam es durch die Diagnose zu einer erneuten Abhängigkeit von der Erwachsenenwelt und die zarten pubertären Schritte kamen zum Stillstand.

Die größere Belastung war durch die Schule gegeben. Uninformierte Mitschüler und, besonders schlimm, uninformierte Lehrkräfte nahmen dir viel von deinem Selbstbewusstsein. Plötzlich eine „lebenslange Krankheit“ zu haben, war für dich kaum auszuhalten und psychisch sehr belastend. Mal abgesehen von der Wechselwirkung von Diabetes und Psyche. Das Thema Unterzuckerung, richtige Einstellung des Insulins und Angst, die Familie zu belasten, usw. waren große Sorgen.

Wie können Kinder und Jugendliche mit Diabetes unterstützt werden?

Katharina: Hast du allgemeine Tipps rund um das Akzeptieren von Erkrankungen im Kindes- und Jugendalter?

Gundula Göbel: Der erste Schritt ist sicherlich erst einmal, alle Gefühle von Kindern und Jugendlichen rund um die Krankheit anzunehmen und zu erlauben, egal wie heftig und lange diese auch sein mögen. Seine eigene Ohnmacht und Hilflosigkeit spüren zu dürfen als Betroffene/r oder als Eltern, ist ein wichtiger Schritt.

Traurigkeit und Hilflosigkeit spüren zu dürfen ist wichtig!
Quelle: Gundula Göbel / Katharina Weirauch

Erst viele Schritte später geht es um Handlungskompetenz und Bewältigungsstrategien. Die Resilienz der Familie wird Einfluss auf die weitere Zeit und psychischen Auswirkungen der Krankheit nehmen. Kinder oder Jugendliche haben neben Diabetes oder einer anderen Erkrankung auch andere Themen, Sehnsüchte, Bedürfnisse und Entwicklungsaufgaben zu meistern. Man muss die ganze Person sehen und nicht auf die Krankheit reduzieren. Kinder und Jugendliche brauchen langfristige und kurzfristige  Ziele (Hobby, Schule, Freundeskreis) und sie brauchen Begleitung, die Krankheit in ihr Leben zu integrieren.

Dürfen Kinder und Jugendliche traurig über den Diabetes sein?

Katharina: Denkst du, es ist wichtig, aktiv traurig über solch einen Einschnitt im Leben sein zu dürfen, oder geht es um jeden Preis um Positivität?

Gundula Göbel: Trauer und Traurigkeit über die Erkrankung mit den ganzen Veränderungen im Alltag, der Ernährung, in der Schule usw. ausleben zu dürfen, ist extrem wichtig für den weiteren Umgang mit der Erkrankung. Gerade Kinder und Jugendliche brauchen dann Erwachsene, die es aushalten und sie trösten können, ohne die Gefühle klein- oder wegzureden. Die Gefahr in manchen Familien ist jedoch, dass keine positive Kraft und Wahrnehmung zugelassen wird, es gibt eine Fixierung auf das Negative, also die Krankheit. Unterdrückte Tränen machen krank, aber das Ausblenden von Humor, Lachen und Freude auch.

Kinder und Jugendliche haben nicht nur Diabetes, sondern auch viele andere Aufgaben!
Quelle: Gundula Göbel / Katharina Weirauch

Katharina: Hast du Tipps für Eltern oder auch andere Bezugspersonen von Kindern und Jugendlichen, wie sie eine Unterstützung in dem Prozess der Akzeptanz sein können?

Gundula Göbel: Eltern und Bezugspersonen brauchen als Voraussetzung gute Sachinformationen über die Erkrankung , um ihre Angst einzuordnen.  Dann geht es darum, Kinder ernst zu nehmen – mit allen Gedanken und Gefühlen. Es ist wichtig, die Co-Regulation zu ermöglichen, Gefühle zu spiegeln und echte Wertschätzung und Anerkennung zu geben. Ein wichtiger Punkt ist das angemessene Trösten. Dazu gehört auch, Kinder und Jugendliche nicht in Watte zu packen, sondern ihnen etwas zuzutrauen und eigene angemessene Erfahrungen zu ermöglichen.

„Akzeptanz ist ein Weg mit Höhen und Tiefen.“

Weiter geht es damit, Erfolgserlebnisse zu schaffen und kleine Schritte/Ziele zu setzen. Eltern oder Bezugspersonen sind als Vorbilder für Akzeptanz wichtig. Kinder und Jugendliche merken, ob Erwachsene die Situation/Erkrankung akzeptieren oder es nur vom Kind erwarten und selber nicht können. Es kann helfen, Tagebuch für alles Positive, ein Glückstagebuch, zu schreiben und auch zu malen.

Außerdem gebe ich gerne den Tipp, Bilderbücher oder Jugendromane zum Thema zu schenken. So können sich die Kinder und Jugendlichen mit betroffenen Protagonisten identifizieren und von ihren Bewältigungsstrategien lernen oder diese für sich anpassen.

Akzeptanz ist ein Weg mit Höhen und Tiefen.

Wie reagieren, wenn ein Elternteil an Diabetes erkrankt?

Katharina: Durch meine Arbeit in der Blood Sugar Lounge kenne ich inzwischen auch Fälle, bei denen es andersherum ist und ein Elternteil Diabetes hat und die Kinder gesund sind. Hast du Erfahrungen mit solchen Konstellationen und vielleicht noch einen Extra-Rat für Eltern, wie sie ihren Kindern erklären, was so eine chronische Krankheit bedeutet?

Gundula Göbel: Der wichtigste Rat ist, Kindern alle Fragen ehrlich zu beantworten. Kinder sind neugierig und interessiert, was mit ihren Eltern ist. Man sollte Kindern möglichst schnell nach der Diagnose von der Erkrankung erzählen, denn die Kinder vertrauen ihren Eltern. Kinder dürfen auch die Gefühle von Traurigkeit und Verzweiflung des Elternteils sehen. Aber bitte mit den Kindern im Gespräch bleiben und sie dann nicht wegschicken. Wenn es Kindern zu viel wird oder die Informationen erst einmal ausreichen, verlassen sie in der Regel eh den Raum, wollen sich verabreden oder wollen ein Spiel spielen.

Was tun, wenn Eltern an Diabetes erkranken? Kinder mit einbeziehen!
Quelle: Gundula Göbel / Katharina Weirauch

Geheimnisse rund um die Krankheit führen zu Ängsten bei den Kindern, da sich ihr Bild um die Krankheit dann aus Wortfetzen und Beobachtungen zusammensetzt. Kinder sollten mit einbezogen werden, denn es ist letztlich eine Erkrankung der ganzen Familie, alle sind davon psychisch betroffen und es hat Auswirkungen auf den Alltag. Es ist wichtig, Kindern mitzuteilen, dass sie keine Schuld oder Verantwortung tragen. Kinder fühlen sich häufig schuldig, wenn ein Elternteil erkrankt. Kinder werden nach so einer Diagnose eines Elternteils oftmals weinerlich oder aggressiv. Die veränderte Atmosphäre in der Familie, die veränderte Stimmung des Elternteils müssen Kinder verarbeiten und das braucht Zeit und manchmal auch professionelle Unterstützung.

Über Gundula Göbel

Gundula Göbel, Kinder- und Jugendlichen Psychotherapeutin
Quelle: Gundula Göbel

Gundula Göbel arbeitet als Kinder- und Jugendlichen-Psychotherapeutin in Buchholz in der Nordheide. Als Autorin hat sie mehrere Bücher, Broschüren und Schulungsmaterialien zum Thema Bindung, Begleitung und Trost veröffentlicht. Mehr Infos über Gundula Göbel bekommt ihr hier: https://gundula-goebel.de


Wie es für Eltern ist, wenn das Kind plötzlich chronisch krank ist, erfahrt ihr in diesem Beitrag von Antonia: „O Gott, das arme Kind!“

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