Den eigenen Weg gehen – ein Interview mit Jürgen Schultz

Jürgen Schultz ist 71 Jahre alt und er lebt mit Diabetes Typ 1. Über das Diabetes-Journal hatte er von der Aktion „Wir suchen Menschen mit Diabetes über 70 für ein Interview“ erfahren. Im Telefoninterview mit Susanne erzählt er von seiner individuellen und engagierten Behandlungsstrategie.

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Was war Ihr erster Impuls, warum wollten Sie an der Interview-Aktion teilnehmen?

Ich dachte: Ok, ich schneide mir den Aufruf aus dem Diabetes-Journal aus und rufe dort an. Vielleicht ist ja meine Vorgehensweise, den Typ-1-Diabetes ohne Unterstützung eines Diabetologen zu behandeln, für andere interessant.

Jürgen Schultz unterwegs im Urlaub
Jürgen Schultz im Urlaub unterwegs Quelle: Jürgen Schultz

Wann haben Sie die Diagnose Typ-1-Diabetes erhalten und wie war das für Sie?

Während eines Skiurlaubs, den ich 1987 mit meiner Frau in Österreich verbrachte, merkte ich, dass irgendetwas nicht stimmt. Ständig musste ich zur Toilette. Auf der Rückfahrt nach Hause mussten wir an jeder Raststätte anhalten. Zu Hause angekommen wurde beim Arzt ein sehr hoher Blutzuckerwert festgestellt. Es folgte die direkte Einweisung ins Krankenhaus. Dort erhielt ich im März 1987 die Diagnose Diabetes Typ 1.

Wie ist es dann weitergegangen?

Erst einmal wusste ich mit der Diagnose gar nichts anzufangen. Im Krankenhaus erfolgte die Diabeteseinstellung mit einem Mischinsulin. Nach meiner Entlassung aus dem Krankenhaus brach dann eine Welt für mich zusammen. Bislang war ich noch nie ernsthaft krank gewesen. Ich tat mich zunächst sehr, sehr schwer mit der Diabetesdiagnose. Ich wollte die Diagnose nicht wahrhaben und versuchte, mich ohne Kohlenhydrate und nur mit Fett zu ernähren. Schnell wurde mir klar: „So geht das nicht – ich muss mich um die Erkrankung kümmern!“

„Ich tat mich zunächst sehr, sehr schwer mit der Diabetesdiagnose.“

Ich begann, über den Diabetes zu lesen, und besuchte einen Vortrag in Kiel. Der Arzt traf Aussagen, an denen ich mich bis heute orientiere: „Versuche, Deine Krankheit selbst zu behandeln, Du machst Fehler, lerne aus den Fehlern. Du wirst weitere Fehler machen, lerne auch aus diesen Fehlern. Irgendwann bist Du so weit, dass Du Dich selbst behandeln kannst.“

Wie hat sich Ihre Diabetesbehandlung entwickelt?

Nach relativ kurzer Zeit schossen die Werte nach den Mahlzeiten in die Höhe, weil das kurzwirksame Insulin im Mischinsulin nicht individuell eingestellt werden konnte. Die Umstellung auf die intensivierte Insulintherapie brachte dann den Erfolg. Um meine Therapieanpassungen kümmerte ich mich immer selber, d.h. ohne Behandlung durch einen Diabetologen oder Unterstützung durch ein Diabetesteam. Das kurzwirksame Insulin spritze ich als Bolus mit dem Pen, das NPH-Basalinsulin ziehe ich aus einer Durchstechflasche in eine Insulinspritze auf. Um Folgeerkrankungen zu vermeiden, achte ich darauf, meinen HbA1c-Wert konstant in einem niedrigen Bereich zu halten. Nach dem Motto: „Ich habe nur einen Körper – wenn ich mich gut behandele, habe ich auch weniger Probleme.“ Es ist weniger aufwendig, sich vernünftig zu verhalten, als im Nachhinein zu versuchen, den entstandenen Schaden zu reparieren.

„Ich habe nur einen Körper – wenn ich mich gut behandele, habe ich auch weniger Probleme.“

Meine Ernährung stellte ich überwiegend auf Obst und Gemüse um. Seit dem Ruhestand, mit 65, genieße ich auch öfters mal schönes Essen in Restaurants oder trinke zwei Gläschen Wein.

Beim Diabetes gilt es, selber Verantwortung zu übernehmen und nicht zu sagen: „Der Arzt hat mich schlecht eingestellt.“ Menschen, die Hilfestellungen bei der Therapie benötigen, sollten diese dann aber auf jeden Fall vom Arzt bekommen.

Motivfoto Abbildung eines Weges mit  dem Text den eigenen Weg gehen
Den eigenen Weg gehen Quelle: Susanne Thiemann

Hat der Diabetes Ihren Alltag oder Ihre Aktivitäten beeinflusst?

Ich bin ein sportlicher Mensch und ich habe meine sportlichen Aktivitäten auch nach der Diabetesdiagnose beibehalten. Immer mit Blick, auch Vorsorge für Unterzuckerungen zu treffen.

Meine Frau und ich unternahmen im Laufe der Jahre einige Fernreisen: 1991 Florida, 1992 Ägypten, 1993 China, 1998 Norwegen, 2005 Jemen usw. Als Vorbereitung auf eine Nepal-Reise war ich streckenweise alleine in den Alpen unterwegs. Auch beim Reisen wählte ich immer meinen Weg. Inzwischen verreisen meine Frau und ich auch öfters innerhalb von Deutschland, um schöne Ecken im eigenen Land zu entdecken, ohne andere Länder und auch Kreuzfahrten zu vernachlässigen. Unser Lieblingsziel ist der Norden, z.B. die Insel Föhr.

Welche medizinische Vorsorge nehmen Sie in Anspruch?

Den HbA1c-Wert, Albumin und die gängigsten Laborwerte lasse ich regelmäßig bestimmen und ziehe daraus meine Schlüsse. Die Augenuntersuchungen erfolgen jährlich, bisher ohne diabetische Folgeschäden. Das Herz, die Schilddrüse, Koloskopie, Hautkrebsscreening und die Füße lasse ich ebenfalls untersuchen. Erfreulicherweise wurden bei mir bis jetzt keine Folgeerkrankungen des Diabetes festgestellt.

Haben Sie jemals über technische Hilfsmittel wie eine Insulinpumpe oder einen Sensor zur Gewebezuckermessung nachgedacht?

Über die aktuellen technischen Entwicklungen bin ich informiert, habe aber für mich entschieden, dass ich diese bisher nicht nutzen möchte.

„Mein Wunsch ist es, dass ich mich so lange wie möglich selbstständig und selbstbestimmt um meine Diabetestherapie kümmern kann.“

Eine Insulinpumpe ist für mich keine Option, da ich nichts am Körper tragen möchte. Ein Sensorsystem benötige ich nicht, da ich eine gute Körperwahrnehmung habe. Es gibt Indikatoren, an denen ich z.B. einen fallenden und niedrigen Blutzucker bemerke. Dann handele ich direkt. Bei den technischen Hilfsmitteln sehe ich auch den wirtschaftlichen Aspekt der Unternehmen, Gewinne zu erzielen.

Ich möchte allerdings nicht ausschließen, dass ich in der Zukunft in einen Status kommen könnte, wo ich dann z.B. auch technische Unterstützung nutzen würde. Das wäre der Fall, wenn ich nicht mehr in der Lage wäre, z.B. meinen Blutzucker selber zu messen.

Wenn sie an Ihre künftige Diabetesbehandlung denken, welche Wünsche haben Sie für die Zukunft?

Vielleicht gelingt es, den Diabetes irgendwann zu heilen. Bedenklich finde ich die Situation in Alten- und Pflegeheimen. Es fehlt an Personal, um eine individuelle Betreuung von Menschen mit Diabetes zu leisten. Hinzu kommt, dass die Pflegekräfte sich kaum mit Diabetes auskennen.

Mein Wunsch ist es, dass ich mich so lange wie möglich selbstständig und selbstbestimmt um meine Diabetestherapie kümmern kann.

Herzlichen Dank an Jürgen Schultz für das offene und sehr interessante Gespräch.


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