Systeme für die „unblutige“ Glukosemessung: Apple Watch 7 und Indigo-Sensor

Ob Heilungsversprechen oder Technik, die das gesamte Diabetes-Management übernehmen wird: In den Laien-Medien ist die Berichterstattung schnell euphorisch. So war es auch zuletzt im Bezug auf das Thema unblutige Glukosemessung. Andreas verrät, was wirklich dahintersteckt.

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In meinem letzten Beitrag für die Blood Sugar Lounge bin ich auf die prinzipielle Möglichkeit der „unblutigen“ Glukosemessung, aber auch auf die dabei zu bewältigenden Herausforderungen eingegangen. Nachfolgend möchte ich dazu Beispiele vorstellen, erläutern und einschätzen.

In letzter Zeit gab es wiederholt Anfragen bezüglich eines Projektes des Unternehmens Apple zur „unblutigen“ Glukosemessung. In der Laienpresse wurde zunächst berichtet, dass die 2021 auf dem Markt zu erwartende Apple Watch 7 die Glukosewerte „unblutig“ und kontinuierlich messen wird. Die Berichte bezogen sich dabei darauf, dass sich Apple bereits verpflichtet fühlte, Gesundheitsdaten mit seiner Apple Watch zu erfassen, so die Messung von Herzaktionen (wie bei EKGs) oder der Sauerstoffsättigung, und dass die „unblutige“ Glukosemessung nur eine logische Weiterführung dieser Bemühungen ist (z.B. https://www.macwelt.de/news/Smartes-Armband-kann-Blutzucker-ohne-Piksen-messen-10957749.html). Allerdings ist aus den bisherigen Berichten nicht ganz klar, mit welchem Ansatz die Glukose gemessen werden soll.

Quelle: Pixabay

Wie funktioniert die Messung?

Allgemein wird von optischen Messungen gesprochen. Dazu gibt es aber vielfältige Methoden, wie die Messung der Absorption, Infrarotstreuung, Ramanstreuung, Fluoreszenz usw. Alle diese physikalischen Effekte beruhen darauf, dass Licht, in der Regel im nahen infraroten Wellenlängenbereich, in die Haut eindringt, in Wechselwirkung u.a. mit Glukosemolekülen tritt und dabei ein spezifisches Spektrum entsteht, welches dann analysiert wird. Verweisungen auf eingereichte Patente bei der Apple Watch (z.B. USA-Patent mit der Nummer PCT/US2016/049330) lassen auf Absorptionsspektroskopie* schließen. Auf diese Methode bin ich im Bericht in der Blood Sugar Lounge im April 2021 eingegangen. Dort wurde auch dargestellt, dass eine Absorptionsmessung im Unterhautfettgewebe eine große Herausforderung darstellt, weil sowohl der eindringende Lichtstrahl als auch das austretende Glukosesignal auf dem Weg durch das Gewebe wegen der Wechselwirkung mit verschiedenen Strukturen und Molekülen Veränderungen erfahren. Das lässt sich zwar mathematisch analysieren, hat aber trotzdem eine Begrenzung der Messgenauigkeit zur Folge.

Leider gab es nun im März 2021 die Meldung, dass in der zu erwartenden Apple Watch 7 die Option der „unblutigen“ Glukosemessung nicht enthalten sein wird (https://www.chip.de/news/Apple-Watch-7-mit-herbem-Rueckschlag-Smartwatch-Feature-wird-wohl-gestrichen_183313508.html).

Rückschläge und neue Hoffnungen

Menschen mit Diabetes, die sich darauf gefreut hatten, sind enttäuscht. Leider traten in der Vergangenheit schon häufig ähnlich gelagerte Fälle auf. In der Laienpresse oder im Internet fanden sich auch diesmal Marketingaussagen wie „Apple hat ein geheimes Team, das an dem heiligen Gral für die Behandlung von Diabetes arbeitet“. Allerdings wurden keine Daten gezeigt, auch in der Fachpresse nicht. Aus meiner Sicht ist es ausgesprochen verwerflich, in der Laienpresse Erwartungen zu wecken, die dann nicht gehalten werden können. Hoffen wir, dass das diesmal nicht der Fall sein wird und vielleicht irgendwann eine Apple Watch 8, 9 oder 10 die „unblutige“ Messung realisiert.

Vielleicht ist es hoffnungsvoll, dass sich auch Samsung Electronics in seiner zukünftigen „Galaxy Watch“ der „unblutigen“ Glukosemessung verschrieben hat, genauso wie ein japanisches Startup-Unternehmen namens Quantum Operation.

Quelle: Dr. Andreas Thomas

Es gibt allerdings noch eine andere Möglichkeit, die Schwierigkeiten mit der Veränderung des Glukosesignals durch die Wechselwirkung mit Bestandteilen des Gewebes zu umgehen. Dazu baut das belgische Unternehmen Indigo ein miniaturisiertes Spektrometer in einen kleinen Behälter der Größe von etwa 30 mm x 15 mm x 10 mm ein und bringt diesen operativ unter die Haut. Solche Implantationen sind schnell und unproblematisch bei lokaler Betäubung durchführbar. Das Spektrometer, also das Messsystem, liegt damit in der zwischenzellulären Flüssigkeit unter der Haut und soll dort mindestens 2 Jahre verbleiben. Der Lichtstrahl zur Messung und das Messsignal müssen damit nicht mehr den Weg durch das Gewebe nehmen, sondern es wird unmittelbar „vor Ort“ gemessen.

Gemessen werden neben der Glukose auch noch Ketone (diese treten z.B. auf, wenn sich aufgrund von Insulinmangel eine Überzuckerung einstellt und Fett zum Energiegewinnen abgebaut wird, sodass durch die entstehenden Ketone eine Ketoazidose droht) und Laktat (tritt auf, wenn der über die Atmung aufgenommene Sauerstoff nicht ausreicht, um den Energiebedarf zu decken, z.B. bei herausforderndem Sport). Oberhalb des Sensors wird ein Transmitter auf die Haut aufgeklebt, der die Messsignale auf ein Smartphone schickt. Dort werden die Werte in einer App analysiert und angezeigt (Abbildung oben).

Implantierte Systeme

Untersuchungen mit Tiermodellen, verwendet wurden Mini-Schweine, zeigten sehr zuverlässige Messwerte. Diese wurden der Fachwelt auf dem europäischen Diabeteskongress (EASD) 2020 vorgestellt. So wichen die Glukosewerte durchschnittlich nur um 6,5% von den vergleichbaren Messwerten mit einem Laborgerät ab. Das ist eine sehr hohe Messqualität, auch wenn natürlich erst noch Langzeitdaten von Menschen mit Diabetes vorliegen müssen. Dazu zählt auch, dass das unter der Haut platzierte Teil biologisch kompatibel und sicher ist. Optimismus ist aber angebracht. Positive Erfahrungen liegen schließlich mit dem implantierten Glukosesensor „Eversense“ des Unternehmens Senseonics vor, der seit mehreren Jahren auch in Deutschland erhältlich ist.

Zwar sind implantierte Systeme, wie hier vorgestellt, nicht ganz „unblutig“, doch eine Implantation im Rahmen größerer Zeitabschnitte kann man praktisch als solches bezeichnen. Ein weiterer Vorteil ist, dass dabei auch kaum Verbrauchsmaterialien anfallen, das System nach der Erstausstattung im Prinzip keine Kosten mehr verursacht.

Gute Aussichten

Es gibt noch weitere nicht invasive Glukosemessgeräte, die geplant sind, sich im experimentellen Stadium befinden oder sogar schon ein CE-Kennzeichen besitzen. Zukünftig wird immer wieder einmal darüber berichtet werden. Es gibt aber auch viele andere sehr interessante Entwicklungen, z.B. die Systeme für die automatisierte Insulinabgabe, auf welche ich hier in den nächsten Monaten eingehen werde.

*Absorptionsspektroskopie: Wenn Licht in einen Stoff eindringt, so wird durch die darin enthaltenen Atome und Moleküle ein Teil der Lichtenergie aufgenommen, wenn die Lichtfrequenz mit deren Resonanzfrequenz übereinstimmt. Die Absorption zeigt sich als ein charakteristisches Signal, aus dem die Konzentration der Atome bestimmt werden kann. Dieses Signal erscheint als Linie in einem Absorptionsspektrum.


Auch Peter hat vor einiger Zeit seine Gedanken zur Zukunft des Diabetes-Managements mit uns geteilt!

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